Maria Moosbrugger hängt sogar die Wäsche grazil auf. Ihr Mann Josef ist auch anders als die anderen Männer im Dorf: schweigsam, klar, sehr sehr reinlich. Mit dem Bürgermeister macht er, der Randständige, der am Rand des Bergdorfes mit seiner Familie wohnt, gern Geschäftchen. Die Kinder sind brav, gemeinsam geht man in die Kirche.
Als Josef mit anderen aus dem Dorf „einrücken, in den Krieg“ (Erster Weltkrieg) zieht, kümmert sich der Bürgermeister um seine Frau und die Kinder. Er wirft Blicke auf die schöne Frau, er schmeichelt ihr und nimmt sie – und zu seinem Bedauern auch die älteren ihrer Kinder – mit zu einem großen Markt. Die schöne Frau sucht nach schönen Stoffen, liebt es, die Stoffe zu fühlen, sich vorzustellen, welches ihrer Kinder daraus etwas Nötiges von ihr genäht bekommen könnte. Ein junger Mann kreuzt ihren Weg, das Geplänkel kannte sie so nie, der Rothaarige aus Bremen schaut ihr lange nach und sie ihm. Vom Bürgermeister gibt es Schulsachen für die Kinder und einen Stoffballen für sie. Ob sie fremdging? Wo der Fremde, der sie schließlich in ihrem Haus besuchte, wohl übernachtet hat?
„Dann stand er vor der Tür. Der Fremde, der Georg hieß. Nicht angemeldet. Nie hat sich jemand bei Maria und Josef angemeldet. Wie auch? Warum auch? Erst einen schicken, der sagen soll, man kommt dann und dann? Was hätte das für einen Sinn?“
Der Hass gegen die Frau wächst, nach einem Fronturlaub ihres Mannes ist sie schwanger, doch niemand will diese Vaterschaft so recht glauben, der Pfarrer wütet gegen die fünffache Mutter. Dieses Kind ist die Mutter Monika Helfers, Grete heißt sie, ein stilles Kind soll sie gewesen sein, niemals vom eigenen Vater auch nur berührt. Die Bagage bleibt unter sich, der heimgekehrte Vater prügelt sich mit dem Bürgermeister, die Mutter stirbt früh, zwei Söhne kamen nach der Grete: Es ist Kathe, die älteste Tochter, die die Vollwaisen durchbringt, sich ihr Leben lang um die Brüder und ihre Nichten und Neffen kümmert. Sie spricht wenig, beobachtet alles und erzählt Gretes Tochter schließlich vom Fremden, dem Überfall des Bürgermeisters auf die Mutter, den wahren Grund, warum sie die Kinder daraufhin lieber im Haus behielt, als sie in die Schule zu schicken. Die einen stehen wohl im Licht, die anderen werden dank Autorinnen wie Monika Helfer spät, aber doch gehört. Ein starkes Buch, das ohne Pathos davon erzählt, wie eine stolze, schöne Frau zum Feindbild der Mehrheitsgesellschaft wird. Aber dieses Wort kannte man damals noch nicht, „Bagage“ aber schon.
Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen
Poesie, genaues Hinsehen, Details, Lebensgeschichten, Randständige, die Verlogenheit der Kirche, Präpotenz, große Lieben, scheue Blicke, die Macht des Erzählens, das Abgestempeltsein schon damals, wunderschöne Augenblicke einer wunderschönen Frau.
Die Autorin Monika Helfer
1947 in Au im Bregenzerwald geboren, lebt heute noch in Vorarlberg, jede Lesung ein Genuss, deutliche Ansagen gesellschaftlich, poetische Aussagen für jede Leserin, jeden Leser, zieht einen rein in ihre Geschichten und Romane, wechselt Perspektiven, weiß um die Macht der Andeutung. Ganz neutral: Ich bin ein großer Fan von Monika Helfer!
Monika Helfer:
Die Bagage.
Roman.
München: Hanser 2020.
158 Seiten.
Christina Repolust
Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at
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