Herz-Kreislauf-Erkrankungen galten lange vorwiegend als Männerleiden. Medizinerin und Longevity-Expertin Runa Rahman erklärt, warum aber gerade Frauen besonders gefährdet sind und was man für ein gesundes Herz tun kann.
Unser Herz ist der Motor, der alles am Laufen hält. Jeden Tag schlägt es circa 100.000 Mal. Dabei pumpt es bis zu 10.000 Liter Blut durch unseren Körper. Ununterbrochen versorgt es Organe und Gewebe mit Sauerstoff sowie wichtigen Nähr- und Mineralstoffen. Es verteilt Immunzellen und Antikörper im menschlichen Organismus, die helfen, Infektionen und Entzündungsherde zu bekämpfen. Ob Mann oder Frau – anatomisch betrachtet gibt es keinen großen Unterschied. Und doch spielt das Geschlecht eine gravierende Rolle, wenn es um die Gesundheit des Herzens geht.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen in der westlichen Welt zu den häufigsten Diagnosen. Zwei Drittel der PatientInnen sind Männer. Aber: Erkranken Frauen daran, sterben sie doppelt so häufig – und das, obwohl Herzkrankheiten lange als „Männerproblem“ angesehen wurden. Dies wurde hauptsächlich auf bestimmte Risikofaktoren zurückgeführt, die bei Männern häufiger vorkommen, darunter Rauchen, Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte, ein ungesunder Lebensstil und Stress. Vor allem letzterer betrifft aber Frauen mehr denn je, weiß auch die Allgemeinmedizinerin und Longevity-Expertin Runa Rahman: „Frauen haben schon seit jeher viele Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen. Die meisten davon sind – noch immer – unbezahlt: Familie, Pflege, Haushalt. Die Anforderungen im Job tun ihr Übriges. Der Mental Load ist enorm, die Entlastung bei den meisten sehr gering. All das wirkt sich nachteilig auf die Psyche und Gesundheit aus.“
Der Mann als Norm
Mittlerweile gibt es deshalb in vielen Kliniken, auch hierzulande, eigene Frauenherzsprechstunden, um den Fokus auf die Geschlechterunterschiede in der Medizin zu legen und die Forschung diesbezüglich voranzutreiben – ist diese zumeist doch vor allem auf Männer ausgerichtet. Ein weiterer Gender-Aspekt, den man, so Rahman, unbedingt diskutieren muss, ist die Tatsache, dass „Frauen mit Herzbeschwerden wesentlich häufiger zu PsychiaterInnen oder PsychologInnen geschickt werden“. Auch die Symptome sind bei Frauen oft andere: Müdigkeit, Erbrechen, Schwindel, Oberbauch- oder Rückenschmerzen. Nicht immer muss der klassische Brustschmerz, der bis in die Arme zieht, unter den Anzeichen sein.
„Wenn wir permanent psychischem Stress ausgeliefert sind, muss das Herz dauernd mehr als normalerweise arbeiten, der Herzmuskel wächst und kann ab einem bestimmten Punkt nicht mehr ausreichend versorgt werden.“
Wechseljahre als Risikofaktor
Frauen nach der Menopause sind besonders gefährdet. Bis dahin haben sie, erklärt Rahman, einen natürlichen, hormonell bedingten Gefäßschutz. Mit den Wechseljahren sinkt aber der Östrogenspiegel. Das Hormon hat eine schützende Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System, da es dazu beiträgt, den Cholesterinspiegel zu regulieren, die Blutgefäße zu erweitern und die Entzündungsreaktionen zu reduzieren. Auch der Fettstoffwechsel kann sich verändern, was zu einem Anstieg des schlechten LDL-Cholesterins und gleichzeitig zu einem Abfall des guten HDL-Cholesterins führen kann. Mit der Menopause einhergehende psychosoziale Faktoren können sich ebenfalls negativ auf die Herzgesundheit auswirken, etwa Veränderungen des Selbstbildes, der Umgang mit dem Älterwerden, soziale Isolation oder Depressionen. „Wenn wir Probleme mit uns mitschleppen, spüren wir es oft am Herzen“, erklärt Rahman. „Kummer, Ängste und Stress wirken sich auf unseren Kreislauf aus und beeinflussen die Pumpfunktion des Herzens erheblich. Massive emotionale Belastung kann zu einem Broken-Heart-Syndrom führen, einem plötzlichen Funktionsverlust des Herzens, von dem überwiegend Frauen betroffen sind. Ähnlich gefährlich ist es, wenn wir permanent psychischem Stress ausgeliefert sind. Das Herz muss dauernd mehr als normalerweise arbeiten, der Herzmuskel wächst und kann ab einem bestimmten Punkt nicht mehr ausreichend versorgt werden.“
„Der Alltag der meisten sieht ähnlich aus: Wir sitzen, arbeiten, essen schnell irgendwas nebenbei, sind permanent gestresst und kommen irgendwann abends müde nach Hause.“
Moderate Bewegung
Umso wichtiger, so die Medizinerin, ist es, auf die Herzgesundheit zu achten. Ein ausgewogener Lebensstil gehört genauso dazu wie genügend Schlaf und eine gesunde Ernährung mit viel Gemüse, wichtigen Nährstoffen und Vitaminen sowie ausreichend Bewegung. Rahman: „Der Alltag der meisten sieht ähnlich aus: Wir sitzen, arbeiten, essen schnell irgendwas nebenbei, sind permanent gestresst und kommen irgendwann abends müde nach Hause. Wir hetzen durch den Alltag, und viele von uns laufen dann auch noch beim Sport auf Hochtouren.“ Das ist aber laut Expertin falsch. Sie rät zu Sportarten, die den Körper ganzheitlich und schonend bewegen, etwa Nordic Walking, Yoga oder Schwimmen. „HIIT-Workouts sind sehr gut, wenn es darum geht, Gewicht zu reduzieren. So intensive Einheiten beanspruchen aber auch unsere Mitochondrien sehr stark, vor allem wenn man im Alltag schon permanent unter Stress steht. Das kann Zellschäden verursachen und oxidative Stressreaktionen auslösen, die mit Entzündungen, Alterungsprozessen und verschiedenen Krankheiten in Verbindung gebracht werden.“ Also das Gegenteil von dem, was eigentlich bewirkt werden soll.
„Im Zweifel lieber einmal mehr ausruhen.“
Stressmanagement und mehr Achtsamkeit
Deswegen plädiert die Allgemeinmedizinerin für Selbstfürsorge: sich immer wieder bewusst Ruhe gönnen, runterfahren, runterkommen. Die eigenen Bedürfnisse kennen und einfordern. Grenzen setzen und sich Zeit nehmen, um das körperliche wie auch emotionale Wohlbefinden in Balance zu halten. Aus ihrem Arbeitsalltag im Biocannovea Longevity Medical Center in Wien weiß sie: „Besonders Frauen müssen sich ihrer Mehrfachbelastung bewusst werden und dürfen genau in ihren Körper hineinhören und spüren. Es fängt mit den kleinsten Symptomen wie Erschöpfung und Müdigkeit an, die man nicht ignorieren sollte, weil dahinter oft erste Mangelerscheinungen stecken, die später zu ernstzunehmenden Krankheiten führen können.“ Rahman plädiert dafür, den Körper als Ganzes zu sehen und ganzheitlich auf ihn zu achten. „Alle Organe arbeiten zusammen und beeinflussen sich gegenseitig, aber auch die psychische Gesundheit ist für die körperliche wesentlich – und umgekehrt. Eine gesunde Zelle ermöglicht ein gesundes Organ und das wiederum einen gesunden Körper und Geist. Eine langlebige Gesundheit wird nur dann möglich sein, wenn wir es uns bewusst erlauben, auf uns zu schauen. Also im Zweifel lieber einmal mehr ausruhen.“