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03/24

Rückkehr und Aufbruch

Rückkehr und Aufbruch

Lila war noch nie eine Freundin von Kompromissen, so hat sie den Verlockungen ihres Alltags – Ehe, gesicherter Alltag im Wohlstand – mit geradem Rücken entsagt. Brutal liest sich ihre aktuelle Tätigkeit „Arbeiter in einer Wurstfabrik“.Wie viel las man in der Vorgängerbänden von den Delikatessen, dem Luxus und der Hoffnung, Lila würde noch einmal als kluge, feinsinnige Künstlerin entdeckt werden. Auch Elena ist gegangen, man nennt es wohl Aufstieg, die Familie des Freundes gebildet, sie selbst an der Universität beendend und ihren ersten Roman veröffentlichend. Na ja, da geht es los, das intellektuelle Gerangel, worum es in ihrem Roman eigentlich geht, ob dieser Realismus geduldet werden darf.

Elena leidet unter den harschen Rezensionen und staunt über die guten; alte Gefährten und noch mehr deren Väter mischen sich ein und wollen erklären, was Elenas Roman gemeint haben könnte. Jetzt, mit dem Sohn einer wohlhabenden, intellektuellen norditalienischen Familie verheiratet, wagt sie es, ihre Familie in Neapel zu besuchen. Ob die sich freut? Sich richtig benimmt? Immer wieder greift die angesehene Familie ein, besorgt etwa eine hübschere Wohnung in Florenz, die Wohnung ist schön, ja, man bekam sie zum Freundschaftspreis vermietet.

Beide Freundinnen haben ihre Grenzen erkannt, spielen immer wieder mit dem Feuer, die eine als Arbeiterin, die andere als Intellektuelle: Verletzlich sind sie beide geblieben, wachsam und noch immer mit ungestillten Sehnsüchten in sich. Wohl sind auch in diesem Band beide Freundinnen bereit, Türen aufzureißen, an ihre Grenzen zu laufen und ihre Träume endlich Wirklichkeit werden zu lassen. Selbstverständlich gelingt es, diesen Roman zu verstehen, die Charaktere zu begreifen, ohne die Vorgängerbände gelesen zu haben, doch der Ehrgeiz der beiden jungen Frauen hat seine Wurzeln in ihrer Kindheit und die gibt es nur im ersten Band. Und wie! Auch grausam, auch gewalttätig gegeneinander und jede gegen sich selbst.

„Die Art und Weise, wie die Ehe von Lila und Stefano zu Ende gegangen war, konnte nicht als Beispiel dienen, das waren andere Zeiten gewesen, ohne gesetzliche Regelungen. Ich rechnete mit einem respektvollen Umgang auf einer rechtlichen Grundlage, der zeitgemäß und uns angemessen war.“

Dieser dritte Band der neapolitanischen Saga spart wie seine zwei Vorgänger nicht mit Straßen- und Lokalszenen, lässt die Dialoge vibrieren und gierig saugt man die erzählte Zeit, die Jahre 1969 bis 1976 in unzähligen Episoden in sich auf. Frauen, so stark sie auch sind, sind in dieser Zeit die Verliererinnen, werden als Schriftstellerinnen hinterfragt, in ihrer Moral auf den Prüfstand gestellt. Hier die Professorenfamilie in Florenz und dort die Wurstfabrik, beide Orte voller subtiler Gehässigkeiten, beide Orte, die man verlassen will. Die Camorra gibt die Begleitmusik, die Mütter verraten ihre Töchter, die Brüder verbrüdern sich mit den Ehemännern. Ehrlicher sind die Typen rund um die Wurstfabrik, ehrlicher ist Lilas Kampf, Elena erinnert an Ibsens Nora, die ihr Puppenheim mit Büchern einrichtet, aber ihm doch entfliehen will.

 

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen: Fortsetzung der bisherigen Geschichte, Politik, Erlebnisse einer Aufsteigerin, Zerrissenheit zwischen Herkunft und Weiterentwicklung in die intellektuelle Schicht, Erfolg der Schriftstellerin, viel Hass und Neid auf die Erfolgreiche.

Elena Ferrante: Die Autorin hat sich für die Anonymität entschieden und das seit 1992, das Jahr, in dem ihr Debütroman erschien.

Band 1: Meine geniale Freundin.
Band 2: Die Geschichte eines neuen Namens.
Im Februar 2018 erscheint Band 4: Die Geschichte des verlorenen Kindes.

Karin Krieger: übersetzt aus dem Italienischen und Französischen, darunter auch die Werke von Claudia Magris, Andrea Camilleri, Alessandro Baricco.

Elena Ferrante:

Die Geschichte der getrennten Wege.

Erwachsenenjahre.

Band 3 der Neapolitanischen Saga.

Roman.

Aus dem Italienischen von Karin Krieger.

Berlin: Suhrkamp 2017.

540 Seiten.

Christina Repolust

wurde 1958 in Lienz/Osttirol geboren. Sie schloss das Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg ab. Seit 1992 ist sie Leiterin des Referats für Bibliotheken und Leseförderung der Erzdiözese Salzburg und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Zudem leitet sie Literaturkreise und Schreibwerkstätten für Groß und Klein. Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.“

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  • Veröffentlicht: 18.10.2017
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