Von La Verna nach Assisi: Begleiten Sie Chefredakteurin Sabine Kronberger beim Pilgern am Franziskusweg. Tag 9.
Pilgern legt Anker
In Assisi aufzuwachen hat eine besondere Magie. Unser Hotel, das unweit der Basilica San Francesco liegt, mutet an, eine kleine Burg zu sein. Einerseits, weil die Zimmer mit Gewölben ausgestattet sind, andererseits, weil das Haus direkt an die Stadtmauer anschließt. Dort also, wo wir gestern den berühmten Pilgerort betreten hatten.
Einige Frauen der Pilgergruppe waren schon früh aufgestanden, weil sie die Laudes in der Franziskuskirche besuchten. Der schreibbedingte Schlafmangel der letzten Tage entschied für mich und so blieb ich ausnahmsweise eine Stunde länger im Bett.
Die Sachen einer ganzen Pilgerwoche in den Koffer bzw. den Rucksack zu packen, war eine Herausforderung. Schrumpft das Gepäckstück nur bei mir oder passiert das auch anderen? Ich hatte Mühe, den Koffer zuzudrücken und zu schließen. Doch weil wir heute etwas später starteten, hatte ich genug Zeit, alles zu packen.
Geburtstag in der Pilgergemeinschaft
Beim Frühstück dann der morgendliche Freudenmoment: Pilgerkollegin Karin hatte Geburtstag und zwar nicht irgendeinen, sondern ihren 65.! Eine Pilgerreise so besonders zu begehen, ehrt auch die Mitreisenden. Zum Frühstück überraschten wir sie mit Sekt und einem Franziskusbrot, auch bei der morgendlichen Impulsrunde besangen wir sie mit zwei Liedern und einem Applaus. Für sie und uns ein Moment, den wir im Herzen tragen werden.
Schließlich lag unter uns in der aufgehenden Morgensonne die Basilika, davor der menschenleere Platz, die sattgrüne Wiese sowie dahinter die Unterstadt. Noch einmal reflektierten wir die vergangene Woche, die Gefühlshöhen und Wettertiefen, die Vorfreude und die Ausdauer.
Clara und das besondere Kreuz
Gleich darauf machten wir uns auf den Weg durch die Stadt, hinunter zur Kirche der Heiligen Klara, der Basilica di Santa Chiara, wo der Heilige Franziskus ursprünglich seine letzte Ruhestätte fand, später aber in einer eigenen Grabeskirche in der Basilica di San Francesco beigesetzt wurde.
In der Seitenkapelle der Kirche besichtigen wir das Kreuz, vor dem der Überlieferung nach, Gott zu Franziskus gesprochen und von ihm verlangt haben soll, die Kirche wieder aufzubauen. Der Beginn des Wirkens eines Mannes, der heute wohl so etwas wie ein Superstar, ein Influencer oder hallenfüllender Redner wäre.
Franziskus hatte das Kreuz vor seinem Tod Klara vermacht, die damals in San Damiano lebte. Ein buntes, wunderbares Kreuz, dem wir später noch in allen Souvenirshops begegnen sollten. Durch Christa erhielten wir einen wunderbaren Einblick in das Leben einer besonderen Frau, die in Armut ihrem großen Vorbild Franziskus folgen wollte, durch ihr Frau sein aber nicht mit der Bruderschaft leben durfte. Eine starke Frau, die im Schatten des Franziskus noch weitaus mehr Sonnenlicht vertragen hätte können, damals wie heute. Darüber waren sich die meisten PilgerInnen einig.
So avancierten wir also am letzten Tag unserer Reise von PilgerInnen zu TouristInnen, hatten erstmals keine schlammigen Schuhe oder einen Regenponcho an und waren dank Sonne, geschaffter Distanz und vielen Serotonin- und Dopaminausschüttungen wohl auch ein wenig in spezieller Laune.
Entlang gepflasterter Straßen (was für eine Besonderheit nach all diesen Tagen) machten wir uns gemeinsam auf den Weg zum spirituellen Zentrum San Damiano. Durch Olivenhaine, die voll von alten, ehrwürdig verschlungenen Stämmen der uritalienischen Bäumen gesäumt waren, stiegen wir ab und wenig später, mit vielen weiteren Eindrücken im Gepäck wieder auf.
Jetzt war Freizeit angesagt. In uns erwachten die Mütter, Schwestern, Großmütter und wir machten uns allesamt, als wäre ein stiller Startschuss abgefeuert worden, zum Einkaufen der Souvenirs und Mitbringsel für unsere Kinder, Enkelkinder und Familienmitglieder auf.
Man kann also auch nach einer Woche der inneren Einkehr die Gewohnheiten nicht ablegen. Was ist schon so ein Souvenir gegen eine glücklich rückkehrende Pilgerin, die im Herzen erfüllt von einer bewegenden Reise erzählt? Zugegeben, auch ich habe kleine Geschenke gekauft.
Aber das größte Geschenk hatte ich mir selbst gemacht: Ich habe mir ein Holzkreuz in Tau-Form aus der Olivenbaumwurzel gekauft. Im ersten Jahr als Chefredakteurin, mit so einer wunderbaren frauenstarken Gruppe nach Assisi pilgern zu dürfen, wird mir dadurch doppelt in Erinnerung bleiben. Es soll einen Platz in meinem Büro in Linz bekommen. Und ich bin froh, dass mir das in den Sinn gekommen ist.
Beim Schlendern durch die Straßen folgten wir Christas Tipp und kauften Franziskusbrot. Die Form erinnert an ein Störi- oder ein rundes Kletzenbrot. Mit Baiser-Backwerken füllte ich den leergeglaubten Zuckerspeicher. Nach einer Runde Schaufensterbummel kehrten wir mitten auf dem zauberhaften Platz im Stadtzentrum der Oberstadt ein. Heute musste es Pizza sein. Auch ein Aperol Sprizz, wie die Italienerinnen ihn nennen, gehörte zum Pilgermahl. Ich weiß, nicht wirklich karg, aber himmlisch glücksversprechend und einfach schön.
Nach dem Essen schlenderte ich ein letztes Mal auf die Basilika zu, ließ dieses mächtige, starke und ehrwürdige Gebäude noch einmal auf mich wirken. Ganz alleine saß ich auf der Steinwand. Ist es das „Pilgers-High“ oder wirklich wahr – egal: Hier spürte man etwas Besonderes. Vielleicht ist es wirklich ein Kraftort. Eine Ruhe kehrte in mir ein, eine Zufriedenheit machte sich breit und die Dankbarkeit hielt noch immer an. Lisi, meine Pilgerkollegin, tat es mir gleich. Ich erspähte sie und ersuche sie, ein letztes Bild von mir und diesem Platz zu machen. So will ich es in Erinnerung behalten: Der wirkmächtige blaue Himmel, die wärmende Sonne, der magische Platz.
Mamma pellegrini
Gemeinsam stapften wir den Berg hoch zu unserem Treffpunkt, wo unsere KollegInnen schon warteten. Mit Bussen wurden wir in die Unterstadt gebracht. Christas Vernetzung verdankend, trafen wir dort Angela Maria Serracchioli. Ein nicht alltägliches Treffen, das es nur bei „Weltanschauen“ gibt: Sie ist die Begründerin des Franziskusweges.
Sie hat den Grundstein für diese Fußwallfahrt nach Assisi gelegt und wird deshalb in Italien auch „Mamma pellegrini“ (die Mutter der Pilger) genannt. In bunten Worten und ausgeschmückten Sätzen erzählt sie stolz von ihrer eigenen Pilgererfahrung, von der bereits vierten Auflage und vom Startschuss, den sie für das Pilgern nach Assisi gegeben hatte.
Sie wirkte stolz und war extra für das Treffen mit uns zuvor beim Friseur gewesen. Danach marschierten einige von uns noch durch die Basilica Santa Maria degli Angeli, unter deren Kuppel sie die kleine Portiunkulakapelle sowie die Sterbekapelle des Heiligen Franziskus bewundern konnten. Eine Kugel Eis avancierte zu meiner süßen Draufgabe dieser Reise. Ja, ich hatte in dieser Woche wirklich zu wenig Süßigkeiten zu mir genommen – und das soll der Gesundheit auf Dauer ja auch nicht dienlich sein, nicht wahr?
Assisi als Anker – Sehnsucht nach „Daheim“
Eine beseelte Stimmung machte sich breit, als wir am Bahnhof Assisi eintrudelten und am Bahnsteig Aufstellung nahmen. Mit dem Zug ging es nun nach Hause, erst nach Florenz, nach zwei Stunden Wartezeit mit dem Nachtzug weiter nach Wien.
Meine Vorfreude auf meine großartige Familie wuchs ins Unendliche. Und so ging es allen hier. Die eine schwärmt von ihrem Mann, die andere sehnt sich nach den Enkelkindern, die nächste will zu ihrem Sohn und Ehemann, die während ihrer Abwesenheit an Corona bekamen und wieder eine andere war bei ihren Eltern zum Ankunftsfrühstück eingeladen. So schnell war der Alltag wieder zurück, so schnell tauchte man aus dieser Auszeit wieder auf.
Doch wer zu Fuß den Weg gegangen ist, hat ihn intensiver im Herzen, im Kopf und im Gemüt verankert. Was vor Anker liegt, zeigt sich auch von Alltagsstürmen unbeeindruckt. Wir wollen die Kraft dieser Tage, die Verneigung Franziskus vor Mensch, Tier und Natur sowie die Energie einer Gemeinschaft mitnehmen und so lange wie möglich davon zehren. Im Zug sagte die allzeit gut gelaunte Lisi aus dem Mühlviertel vor sich hin: „Eine Investition in eine Reise ist die einzige Investition, die sich über die Jahre vermehrt.“ Ein Satz, der alles zusammenfasst.
Ich danke Ihnen, dass Sie all diese Tage mit uns gewandert sind.
Ihre Worte, Ihre Kommentare, Ihre Mails, Ihre Nachrichten an mich und Mitreisende waren bewegend, erhebend, beflügelnd und für uns eine Überraschung, dass so viele Menschen ebenso für das Weitgehen und Pilgern brennen. Mein Feuer ist entfacht. Vielleicht hab ich mich sogar anstecken lassen, konnte anstecken und es war nicht zum letzten Mal.
Mit den liebsten Worten Franziskus beende ich dieses Pilgertagebuch:
PACE E BENE – FRIEDE UND HEIL
A la prossima,
Ihre Sabine Kronberger