Sie könnten es doch alle so gut haben. Der Soziologieprofessor Max Paul mit seiner Frau, beide gemeinsam mit ihren beiden Töchtern und die auch mit ihren Partnern, die eine sogar mit Mann und zwei Kindern. Und die wieder mit den beiden Hamstern und dem Hund. Soweit zur Idylle. Die trügt ganz beachtlich und das mitten in diesem hoch gelobten Finnland, wo alle so gut lesen können. Lesen kann diese Intellektuellen-Gang natürlich auch, die Dialoge sind witzig, die Leute sind so interessant, das man sie gleich mal in Helsinki besuchen möchte, scheinen auch ordentliches Essen auf den Tisch zu bringen. Ob ich jetzt spinne? Ob ich jetzt nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden kann? Doch, kann ich, will ich aber gerade nicht.
Denn selten habe ich einen Roman so nahe kommen lassen, mitsamt seinem Personeninventar. Vielleicht auch deshalb weil gleich am Anfang die Geschichte mit dem Hamster und seinem Tod erwähnt wird. Vielleicht auch, weil der Autor seine Ehepaar, also das von ihm erfundene Paar – sehen Sie, ich kann trennen! – über Küchen reden lässt, über eine weiße Küche. Ich habe eine weiße Küche, seit 2014; habe ich eine übersehen Krise? Weiter im Text: Eigentlich ist bei Max Paul und den Seinen eigentlich alles gut, der alkoholkranke Vater ist bereits beerdigt und die Mutter scheint ihren Schlaganfall gut – einigermaßen gut – überstanden zu haben. Wir lernen den jungen Finnlandschweden Max – Familiennamen Paul – kennen, der Soziologie studiert und anfänglich die heißen Diskussionen an der Uni nicht recht zu lieben scheint. Dann nimmt er Fahrt auf, mit ihm sein Studium und er wird Professor, ein richtig berühmter. Welche Seitenhiebe setzt Philip Teir da gegen die Campus-Wesen, die einerseits verzagt, andererseits recht geil und dann wieder auch ein wenig neidisch sind. So Finnland-Woody-Allens, schon immer politisch korrekt und auch an der Neurobiologie interessiert und fast gar nicht verklemmt, vielleicht liegt das ja wirklich am vielen Sauna-Gehen.
Den Hamster der Enkelkinder einzufrieren war der erste Fehler gewesen, den Max und Katriina in diesem Winter begangen hatten – bis zu ihrer Trennung sollten noch viele folgen.
Ein Ehepaar, das es gut miteinander hat. Eine Tochter namens Eva, die in London Kunst macht und sich vom bipolaren Dozenten – schon wieder so ein Campus-Typ – schwängern lässt und auch viel über Kunst und das Leben redet. Helen, die andere Tochter, ist Lehrerin, hat besagt zwei Kinder und einen wirklich unsympatischen Ehemann, die machen es auch nicht mehr lange miteinander. Aber immer gibt es Frühstück, man redet, man kocht und man isst. Die Ex-Studentin führt zu Max Pauls 60. Geburtstag ein Interview mit ihm und daraus wird ein bisschen Geknutsche und dann auch noch ein bisschen mehr. Katriina, die Ehefrau, hat die Nase voll und gewinnt an Profil, Seite für Seite werden Lebenslügen lauter und Zweifel größer. Das letzte Wort hätte der Professor beinahe auch noch gekriegt, aber nur fast. Ein Bildungs- und Gesellschaftsroman, der skurill, hintergründig, witzig und völlig einnehmend ist. Vielleicht sollte ich bald einmal nach Helsinki fahren?
Philip Teir:
Winterkrieg.
Roman.
München: Blessing 2014.