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Bewegung
04-05/24

Ob Ostern wird

Ob Ostern wird

Noch sechs Tage. Dann ist Ostern. Alles ist anders in diesem Jahr, und das ist seltsam. Die Kirchen bleiben menschenleer. Familientreffen fallen aus. Und nun?

Ob Ostern wird, fragst du, und deine Stimme klingt ängstlich.
Ich sage: „Natürlich wird Ostern.“ Ich stelle das so in den Raum, obwohl ich selber nichts weiß. Manchmal muss man den Mund voll nehmen. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Ich will nicht glauben, dass Ostern sich nach unseren Familienfeiern richtet. Dass es die Frage stellt, ob genügend Menschen in einer Kirche zusammenkommen und ob das Licht von Hand zu Hand weitergegeben wird. Das alles ist Konfetti. Ich meine das nicht despektierlich, ich finde Konfetti sehr schön. Aber es geht auch ohne. Mit unseren Feiern schmücken wir eine Geschichte, die die Pest überlebt hat, die durch den Dreißigjährigen Krieg gegangen ist; Diktaturen haben sie nicht totsagen können, die Reformation hat manches getrennt, aber die Kraft dieser Geschichte nicht geschmälert: Das Leben siegt über den Tod. Das Licht über die Dunkelheit. Liebe steht alles durch und immer wieder auf.
Diese Geschichte hat Mauern und Gefängnistüren überwunden, Gequälte und Einsame haben sich festgehalten an ihr. Diese Geschichte lebt unbeirrt von unseren Feiern, weil es eine Trotzdem-Geschichte ist. Wenn es hart auf hart kommt, braucht sie keinen Schmuck. Ich glaube nicht, dass sie vor einem Virus kapituliert.

„Aber wer singt die Lieder“, fragst du, „wer bringt das Licht herein, wer steht auf, früh vor der Sonne? Wer erzählt den Toten von der Auferstehung? Wer sagt es den Lebenden? Wer segnet die Angst, wer himmelt die Erde?“

„Du“, sage ich, „und ich. Und die anderen an ihren Küchentischen, zwischen Legosteinen und beim Melken der Kuh. Bei der ersten Schicht an der Tankstelle, nach unruhigem Traum im Krankenbett, mit müden Augen am Taxistand. Im Pausenraum morgens um vier, in Briefen und wackeligen Zoom-Konferenzen, mit handgemalten Regenbögen, zwischen Narzissen und Windrosen, wo immer und überall.“

Susanne Niemeyer

lässt sich gerne inspirieren von Pippi Langstrumpf und der polnischen Dichterin Wisława Szymborska. Vor dem Einschlafen denkt sie an etwas Schönes, denn irgendwas – da ist sie sicher – gibt es immer.

www.freudenwort.de

Foto: privat

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  • Veröffentlicht: 07.04.2020
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