Warum Hinwendung, ohne Gegenleistung zu erwarten, glücklich macht.
„Was Sie hier in den Slums von Kalkutta tun, würde ich für kein Geld der Welt machen“, soll einst jemand zu Mutter Teresa gesagt haben. „Ich auch nicht!“, entgegnete die gebürtige Mazedonierin.
Am 27. August 1910 geboren, wurde Agnes Gonxha Bojaxhiu im Schoß einer albanisch-katholischen
Familie mit tiefer Religiosität erzogen. Als die „Nächstenliebe in Person“ gilt sie weit über ihren Tod am 5. September 1997 hinaus bis heute. In der noch immer schwelenden Coronakrise, in der über viele Monate hinweg zunehmend gespaltenen Gesellschaft und in einer Zeit, in der das „Ich“ ein „Wir“ zu überholen droht, kommt sie mir in besonderer Weise in den Sinn.
Nächstenliebe – gelebte Praktik
Hat Mutter Teresa je überlegt, welcher Gefahr sie sich aussetzt, wenn sie aus dem sicheren Hafen ihres Loretto-Ordens in Bengalen, Indien, in die gefährlichen Tiefen der Slums von Kalkutta eintaucht? Sterbenden, Waisen und Kranken, besonders Leprakranken, galt das Interesse der tiefgläubigen Frau. Die Nächstenliebe, nach der sie später auch ihren selbst gegründeten Orden benannte, war innere Vorgabe und gelebte Praktik zugleich. Sie ist es auch, die in allen Weltreligionen die auf verschiedene Weise ausformulierte zentrale Wertedefinition bildet.
Wie gelingt Nächstenliebe?
Aber wie gelingt uns diese Nächstenliebe, die selbst noch in Immanuel Kants kategorischem Imperativ steckt als die
Forderung, das eigene Handeln stets auf seine Verallgemeinerbarkeit hin zu prüfen und die eigenen Interessen zugunsten der Allgemeinheit zurückzustellen? Sind die kindlichen Vorbilder wie etwa der heilige Martin noch schillernd genug, um uns Inspirationsquelle für das Teilen und das Miteinander zu sein? „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, heißt es im Alten Testament.
Doch die Gewichtung dieser Worte scheint in Tagen wie diesen einseitig zu werden. Anstatt das Aufeinander-Zugehen zu leben, geben wir der Spaltung Raum. Dabei belegen auch neurologische Studien, dass das Miteinander, die Nächstenliebe, die Hinwendung zu anderen das „Belohnungszentrum“ in unserem Gehirn aktivieren. Wer also seinen Nächsten liebt, belohnt sich selbst. Die Glücksrechnung wäre demnach wirklich ausgesprochen einfach …
Zahlreiche Beispiele unserer Geschichte lehren uns, dass der Gebende durch den Akt der Nächstenliebe mindestens genau so erfüllt werden kann, wie der Nehmende, meint Sabine Kronberger.
Die Kolumne ist in der „Welt der Frauen“-Ausgabe Dezember 2021 erschienen. Hier können Sie sich das Einzelheft nachbestellen!