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03/24

Mitten in Harrys Herz

Mitten in Harrys Herz

So manche Flasche haben Harry-Hole-Fans mit ihm geleert, keine Kneipe ließen sie aus. Sie waren an der Seite dieses bemerkenswerten Helden, der bei allem Alkohol noch immer klarsichtiger ist, als jene Beamte, die Dienst nach Vorschrift machen. Doch dieser Roman, es ist der zwölfte, ist anders, schmerzhafter, verwinkelter und hoffnungsloser als alle Abenteuer Harry Holes zuvor.

Die Liebe seines Lebens, Rakel, ist tot, wurde in ihrem Haus ermordet und Harry steckt seine blutverschmierte Hose in die Waschmaschine. Zeitgleich treibt sich Svein Finne auf dem Friedhof in Oslo herum, er ist ein gerade aus dem Zuchthaus entlassener Vergewaltiger. Nach 20 Jahren im Gefängnis nähert er sich einer Frau, vergewaltigt sie, will sie befruchten, um sie schließlich zu nötigen, das Kind auszutragen. So gebe er sein Andenken weiter, schaffe eine Art Rudel. Und man weiß: Svein Finne hasst Harry Hole, er will ihn zerstören.

Bevor wir als Leserinnen und Leser in diese Geschichte einsteigen, liefert uns Jo Nesbo einen leicht zu lösenden Fall. Harry Hole brilliert, er hat durchschaut, wie viel Familienmitglieder füreinander machen, um beisammen zu bleiben. Und wie in jeder Familie gibt es auch in dieser Hass, Liebe, Betrug und Zusammenhalt in sauberer, feiner Ikea-Umgebung, alles ist an seinem Platz. Dann kommt der Anruf, es ist wieder etwas geschehen!

„Ermittlung, dachte er. Das ist eine Ermittlung. Ich träume, aber mit Ermittlungen kenne ich mich aus. Die kann ich auch im Schlaf. Wenn ich es richtig anstelle, alles einfach treiben lasse, wache ich nicht auf, und solange ich nicht aufwache, ist das auch nicht wahr.“
Seite 69

Harry Hole ist Ermittler und Tatverdächtiger zugleich, er ist Verlassener und Kämpfer für die Wahrheit, dabei muss er sich zuerst durch den Nebel der Tatnacht kämpfen. Ein großer Roman über Freundschaft, Betrug, kleine und große Lügen. Da ist Rakels Sohn, der ebenfalls Polizist ist und zu Harry hält. Da sind die Freunde vom Revier, die sich um Harry sorgen. Da gibt es das Ermittlerpaar mit dem Baby, das unausgeschlafen sein Bestes gibt, Katrine ist seine Vorgesetzte, der kleine Gert ein aufgewecktes Kerlchen. Und da ist eine frühere Geliebte, die ihren eigenen Schmerz pflegt. Viele Spuren legt Nesbo hier aus, man folgt ihnen, immer wieder sicher, nun die richtige erwischt zu haben. Lassen Sie sich nicht täuschen!

„Er sah noch einmal auf die Abflugtafel. Orte, an denen ein Mann verschwinden konnte.“
S. 574

Jo Nesbo:
messer. Ein Fall für Harry Hole.
Ullstein Verlag 2019.
Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob.
576 Seiten.

Christina Repolust

wurde 1958 in Lienz/Osttirol geboren. Sie schloss das Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg ab. Seit 1992 ist sie Leiterin des Referats für Bibliotheken und Leseförderung der Erzdiözese Salzburg und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Zudem leitet sie Literaturkreise und Schreibwerkstätten für Groß und Klein. Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.“

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  • Veröffentlicht: 07.03.2019
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