Aktuelle
Ausgabe:
Familie
11/12/24

Mit Frau Klein und Herrn Pribil auf die Barrikaden

Mit Frau Klein und Herrn Pribil auf die Barrikaden

Ein neuer Rossmann-Krimi ist da. Keine Vesna und keine Mira, kein Gourmet-Küche, keine Katzen und keine Weinphilosophien. Dafür schlendere ich mit Frau Klein, die ist verdammt wie die Frau Gertrude aus dem genialen You-Tube-Video drauf, durch Wien. Herrn Pribil hat die rüstige Dame auch schon zu Fall gebracht, ist ihm einfach ins Radl reingestolpert, na ja, gewackelt hat der einstige Widerstandskämpfer auch vorher schon. Alte und Junge, Geflüchtete und Einheimische, Menschen aus der Pfarre und aus dem Umkreis der Medien-Society werden hier durchgemischt, das Ganze darf inclusive Dank 343 Seiten lang durchziehen.

Ja, es ist ein Krimi, ja, es gibt einen Toten und was für einen: Sessler, der Vorsitzende der Patriotisch Sozialen ist ans Kreuz genagelt worden. Aufruhr im Netz, Hetze, Gewaltphantasien und natürlich ein ES, das die Hetze anführt. Wer Ingrid Brodning phantastisches Buch „Hass im Netz“ gelesen hat, findet hier, im fiktionalen Text Eva Rossmanns, Bekanntes wieder, wer selbst Facebook affin ist, ist gar nicht mehr überrascht: Fake News, Postfaktisches … lauter Lügen und Verdrehungen und Verunglimpfungen häufen sich hier. Eigentlich nichts Neues, doch eingebettet in den Handlungsablauf, in die klare Sprache des Erzählens ein wenig grauslich in der Diktion. Daran darf man sich wohl nicht gewöhnen, daher tut der Kontrast sehr gut: Man freut sich wieder auf Frau Klein und ihr rühriges Eintreten für eine geflüchtete Familie. Aber auch hier gibt es nicht die rein Guten, auch Sina belügt Frau Klein und deren Enkel, will ihre Liebsten in Österreich und in der Heimat schützen. Wer hat sie damals im Camp angesprochen, wer war der verdeckte Schlepper? Sesslers Tod wird untergetauchten Flüchtlingen zugeschrieben, die Zeitung Ö! schreibt sicher die Wahrheit, der Rest ist der Lügenpresse zuzurechnen.

Neben diesem Hauptstrang erzählt Eva Rossmann von Wech, der eigentlich schon alles verloren hat: Job, Frau, Tochter, Ansehen. Gut, er spricht Arabisch und stürzt, als ihm seine Tochter Jenny mitteilt, sie sei schwanger – von einem Türken!!! – ins Wasser. Gut, die Tochter hat ihn gerettet! Von einem Türken schwanger, einem Türken, der angeblich Medizin studiert! Aber der ist jetzt in die Türkei abgetaucht, will sich dort über seine Zukunft klar werden, das riecht doch nach Sitzenlassen? Einfach macht es sich die Autorin hier nicht: Sie impft ihren Leser*innen nicht ein, es gäbe die rein Guten und die rein Schlechten. Der junge Türke ginge bereits mit ins Baby-Yoga, nein, der muss sich auch neu orientieren, die junge Frau arbeitet erfolgreich in der Polit-Redaktion und fürchtet auch um ihren Vater.

„Während der Rede des Fernsehdirektors, er könnte zumindest ihr Sohn sein, sieht sich Frau Klein um. Wie heißt das, wenn einer bedeutungsschwangeres Zeug von sich gibt, ohne einen Satz formulieren zu können? Labern. Oder gehört das inzwischen zu den ausgestorbenen Wörter? Wie Lavoir, Bassena, Schackerlstoßen und geile Torten? Jetzt sind ganz andere Dinge geil. Der Außenminister! (S. 103)“

Am Ende des Romans steht ein Heiratsantrag, davor die Erkenntnis, dass die Welt ein Irrenhaus sei und natürlich die Aufklärung des vermeintlichen Mords am Vorsitzenden der Patriotisch Sozialen: Endlich ist Sesslers Videobotschaft aufgetaucht und Lautmalereien sind eine Stärke von Eva Rossmann.

Und zum Schluss noch ein Hinweis.

„Natürlich sind die handelnden Personen rein fiktiv. Viele der Zitate sind allerdings der Wirklichkeit entnommen. Man kann sie auf Facebook, in Presseaussendungen und Medienberichten finden. Es gibt sie, die Fakten. Wir dürfen bloß nicht aufhören, sie zu suchen. (S. 342)“

 

Die Autorin, Jahrgang 1962, ist Verfassungsjuristin, Journalistin, Moderatorin und seit 1994 freie Autorin und Publizistin. Sie kocht phantastisch und hat das auch gelernt, sie äußert ihre Meinung und war Mitinitiatorin des Frauenvolksbegehrens, sie lebt nicht im Elfenbeinturm, sondern im Weinviertel.

 

Was Sie versäumen, wenn Sie den Roman nicht lesen: Anstand, Vielfalt, Differenziertheit, Diversität, Rationalität, hier schaut jemand hinter die Äußerlichkeiten, hier eröffnet jemand Spielraum für Entwicklungen, hier hält einem jemand den Spiegel vor, eine ältere agile Frau, die die Wahrheit liebt, die kritisch ist, die ihre Möglichkeiten nutzt, um Schwächeren zu helfen. Keine heile Welt, aber eine Absage an Österreichs Populisten und politisches Opfer-Gewäsch.

Eva Rossmann:

Patrioten.

Roman.

Wien – Bozen: Folio Verlag 2017.

Christina Repolust

wurde 1958 in Lienz/Osttirol geboren. Sie schloss das Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg ab. Seit 1992 ist sie Leiterin des Referats für Bibliotheken und Leseförderung der Erzdiözese Salzburg und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Zudem leitet sie Literaturkreise und Schreibwerkstätten für Groß und Klein. Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.“

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 14.09.2017
  • Drucken