Aktuelle
Ausgabe:
Bewegung
04-05/24

Mira und Maria

Mira und Maria
Foto: Jana Mack

Sie ist vielleicht nicht die erste und auch nicht die einzige, aber sie ist mit Sicherheit eine der lautesten: Pastorin Mira Ungewitter hinterfragt das Frauenbild der Kirche klar und deutlich. Sie ist überzeugt: Gott hat kein Problem damit, weiblich zu sein.

Allein der Titel Ihres neuen Buches „Gott ist Feministin“ provoziert sicher schon viele. Dann „outen“ Sie sich, als Pastorin zu tindern. Gab es bisher heftige Reaktionen auf das Buch?

Eigentlich nicht – was mich auch etwas wundert. Meistens lese ich Kommentare im Internet nicht, aber als das Hörbuch erschienen ist, habe ich in die Kommentare dazu geschaut. Da hat jemand geschrieben, in Großbuchstaben, dass es nicht „die“, sondern „der“ Flipchart heiße und dass das mit dem Gendern zu weit gehe. Da wusste ich auch nicht recht, ob das Satire ist. Einen echten Shitstorm gab es bisher nicht – ich denke, das liegt auch daran, dass ich alles in meine Biographie einbette und die Leute vielleicht inhaltlich nicht mitgehen können, aber es verstehen. Man kann übrigens der, die oder das Flipchart sagen.

„Ich habe mich immer für Theologie interessiert – und fürs Feiern. Und ich weigere mich bis heute, zu akzeptieren, dass es nur eines von beiden geben kann.“

Die Mira, die man im Buch kennenlernt, ist ein echter Freigeist, schon als Jugendliche. Wie kamen Sie auf die Idee, dass Theologie das Richtige für Sie ist?

Ich glaube, gerade deshalb, weil ich diese typischen kirchlichen Positionen als Kontrast empfunden habe. Ich konnte kirchliche Strukturen sehr früh von dem trennen, was ich glaube oder was ich Gottesbeziehung oder Spiritualität nenne. Vielleicht, weil meine Mutter mir vorgelebt hat, dass das zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Ich habe mich immer für Theologie interessiert – und fürs Feiern. Und ich weigere mich bis heute, zu akzeptieren, dass es nur eines von beiden geben kann.

Wie war es als Feministin, Theologie zu studieren?

Ich weiß gar nicht, ob ich mich damals schon als Feministin bezeichnet hätte. Ich habe in den 2000er-Jahren an der evangelischen Fakultät in Bonn studiert und ich würde sagen, um mich herum war es feministischer als in mir drin. Es wurde über gendersensible Sprache diskutiert, wozu ich damals noch keine dezidierte Meinung hatte. Dennoch war dies ein Schritt auf meinem feministischen Weg. Aber ich würde sagen, dass es zwischen mir und dem Feminismus erst später eine deutliche Schnittmenge gab, nämlich als ich Pastorin wurde und auf einmal viel Gegenwind gespürt habe. Etwa in der Diskussion, ob eine Frau das überhaupt machen darf. Das hat mich eher geprägt, zusammen mit dem, was ich als säkulare feministische „Neue Welle“ der letzten zehn Jahre bezeichnen würde, mit der ein Feminismus aufkam, der vieles sprachfähig macht. Aber mit 20 Jahren bin ich nicht in der Uni gesessen und habe gesagt: „Ich bin Feministin.“ Dennoch hatte ich eine starke Antenne für Ungerechtigkeit und natürlich auch für geschlechterspezifische Ungerechtigkeiten.

In Ihrem Buch geht es häufig um Missverständnisse. So wurde Adam etwa erstmal gar nicht als männlich definiert.

Es ist wirklich sehr spannend, sich die hebräischen Texte und verschiedene Übersetzungen anzuschauen: „adam“ bedeutet Mensch, „adama“ die Menschheit. Und mit den Polen „männlich“ und „weiblich“ – nicht Mann und Frau – und dem ganzen Spektrum dazwischen wird auf poetische Weise von Geschlechtlichkeit geschrieben. Es gibt also die Menschheit und man stellt fest, dass es diese Pole gibt: männlich und weiblich wie Tag und Nacht. Aber es gibt eben auch die Dämmerung. Ich denke, das ist schon etwas, was nicht nur einer Interpretation unterliegt, sondern etwas, bei dem auch eine sprachliche Analyse und die Einordnung in den Kulturkreis der Zeit sehr sinnvoll sind.

„Die Bibel entstand im patriarchalen Kontext, sie wurde primär von Männern für Männer geschrieben.“

Könnte also vieles davon, womit wir in der Bibel Probleme haben, mit Sprachanalyse gelöst werden?

Die Bibel entstand im patriarchalen Kontext, sie wurde primär von Männern für Männer geschrieben. Sie entstand aber auch über einen sehr großen Zeitabschnitt hinweg. Im Kontext der damaligen Zeit gibt es immer wieder fortschrittlichere Punkte. Es ist aber kein wirklich durch und durch feministisches Buch. Sprachanalyse hilft aber, viele Missverständnisse zu klären. Eine Sprache wie Hebräisch kann ganz anders gelesen werden als Deutsch, sie ist viel unkonkreter, viel schillernder. Es dauert allerdings ewig, bis das von der wissenschaftlich-theologischen Bibelanalyse irgendwann in die allgemeine Wahrnehmung durchsickert. Und ich glaube, es geht grundsätzlich um die Frage, wie ich die Bibel sehe. Nehme ich sie als etwas wahr, das eine Anleitung für mein Leben enthält? Nutze ich sie wie ein Gesetzbuch? Dann habe ich ein Problem, mit diesen historischen Texten durch die moderne Welt zu gehen. Sprache ist wichtig. Und Einordnung ist wichtig. 

Das Thema Schwangerschaftsabbruch bezeichnen Sie in Ihrem Buch als „heißes Eisen“. Warum glüht das Thema immer noch so? Was hindert die Kirche daran, sich gesellschaftlich und feministisch relevanten Themen endlich zu öffnen?

Ich weiß nicht, ob ich diese Frage zur Gänze beantworten kann. Ich würde zwischen zwei Tendenzen unterscheiden: Es gibt Menschen mit einer aufrichtigen Sorge zum Thema ungeborenes Leben und Leben im Allgemeinen. Gleichzeitig blenden diese Strömungen häufig die Lebensrealitäten der Menschen, die ungewollt schwanger werden, aus. Dazu kommt die zu kurz gedachte Idee, dass ein Verbot Abtreibungen verhindern würde. Fakt ist, dass Verbote nicht zu weniger Abbrüchen, sondern zu mehr toten Frauen führen. Das ist für mich unerträglich. Es gibt auch einen klaren Machtanspruch, der sagt: Wir möchten über Frauen bestimmen, wir möchten ihnen diese Selbstbestimmung abnehmen. Dieser Anspruch ist nach wie vor sehr stark zu spüren.

Hat sich Ihr Gottesbild auf der Suche nach dem Feminismus in Gott verändert?

Ja und nein. Ich habe in der Kindheit ein starkes Gottesbild mitbekommen, das bleibt. Wie die Wurzel eines Baumes, die mit Geborgenheit, Trost, Schutz verbunden ist. Die Krone aber geht nach oben weit weg, bleibt offen für neue Perspektiven. Nur wenn er auf eine Art und Weise dynamisch bleibt, kann man, denke ich, einen Glauben behalten. Weil wir Menschen mit Dingen konfrontiert werden, die das Gottesbild und den Glauben immer wieder herausfordern, mit allen Zweifeln und Tälern, durch die man geht. Für mich ist es eine Reise, diese Gottesbilder zu sehen – und auch mein Gottesbild ist immer wieder neu gefordert. Ich bin auch zusammengezuckt, als ich das erste Mal die lateinische Form des Jesaia-Textes gelesen habe, die Luther als „Mutterschoß“ übersetzt hat. Auf Latein wird ein weibliches Gottesbild anatomisch deutlicher, wenn Gott an dieser Stelle über sich selbst sagt: „Mea utero, mea vulva.“ Also: Ja, es hat sich verändert. Es bleibt im Wandel. Und ein Teil ist geblieben.

„Mir geht es nicht darum, jemanden dogmatisch zu belehren, sondern Brücken zu bauen, neue Perspektiven aufzuzeigen.“

Welchen Effekt erhoffen Sie sich bei Ihren LeserInnen nach der Lektüre Ihres Buches?

Meine Hoffnung ist, dass ich meine Begeisterung für die biblischen Frauenfiguren weitertragen kann. Und gerade bei der Frage mit der Abtreibung, die ich mit der sehr persönlichen Geschichte meiner Mutter verknüpfe, wünsche ich mir, diesen Schmerz weiterzutragen – weil es viele Menschen im kirchlichen Kontext betrifft und mit so viel Last und Schuld verbunden wird, die aber gar nicht da sein müssten. Mir geht es nicht darum, jemanden dogmatisch zu belehren, sondern Brücken zu bauen, neue Perspektiven aufzuzeigen. Ich versuche im Buch auch immer wieder zu zeigen, wo sich meine eigenen Perspektiven geändert haben und wo das, was ich früher gedacht habe, durch viele Begegnungen in einen Glauben der Menschlichkeit zerfließt. Es geht also nicht darum, dass man Standpunkte verlässt, sondern neue dazugewinnt.  

Man spürt beim Lesen, wie Sie um Verständnis, um Dialog ringen und darum, alle Seiten in Betracht zu ziehen. Was wünschen Sie sich als Ergebnis dieses Ringens für die Zukunft der Kirche?

Die Wurzel des Christentums ist auch eine weibliche. Ich wünsche mir, dass man sich auch auf sie zurückbesinnt. Dass Mädchen und Frauen im Glauben ihre Stärke wahrnehmen und nicht nur dieses „Verdammtsein“, dieses „Der Mann leitet und die Frau geht hinterher“. Das würde ich mir im kirchlichen Kontext wünschen: dass Menschen damit auch sprachfähiger werden, dass mehr Diskussion und Dialog stattfinden.

Es gibt eine große Ehrfurcht davor, Dinge, die aus dem kirchlichen Kontext stammen, in Frage zu stellen. Steht uns das manchmal vielleicht auch im Weg?

Ich denke, dass wir dabei mehr auf unser Bauchgefühl hören sollten. Ich hatte als Kind oder Jugendliche bei vielen Sachen ein Bauchgefühl, habe ihm aber nicht vertraut – denn vielleicht hat die Bibel oder der Pastor doch recht. Und dann „Nein, das stimmt für mich aber nicht“ zu sagen, ist ein großer Schritt. Wenn man anfängt, darüber zu reden, merkt man von links und von rechts, dass viele das gleiche Bauchgefühl haben, aber auch dachten, sie seien die Einzigen. Und deshalb nehmen nach wie vor viele Menschen Dinge einfach hin. Meine Hoffnung ist, dass sich dies ändert. Nicht um die Ehrfurcht vor etwas Heiligem zu verlieren, sondern um eine neue Schönheit in einer gerechteren Kirche entstehen zu lassen.

Zur Person

Mira Ungewitter (38) ist baptistische Pastorin der „projekt:gemeinde(www.projekt-gemeinde.at) in Wien und Buchautorin („Roadtrip mit Gott“, Herder 2019). Sie ist außerdem überzeugte Feministin und macht sich in ihrem neuen Buch ausgehend von ihrer eigenen Biographie auf die Spur von Frauenfiguren in der Bibel.



Mira Ungewitter:
Gott ist Feministin.
Freiburg im Breisgau: Herder 2023.

„Gott ist Feministin“ ist auch als Hörbuch bei Audible erschienen.



  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 12.12.2023
  • Drucken