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03/24

Mein ganz besonderes Abendritual

Mein ganz besonderes Abendritual

Wie ich auf die Idee kam, es mit Unsinn zu probieren. Und warum eine ganze Menge Sinnlichkeit dabei herauskam.

Ich kenne viele Menschen, die gerade Tagebuch schreiben. Einige dieser Tagebücher lese ich online. Da habe ich heute Morgen bei einer Bekannten gelesen: „Ich hab vor ein paar Minuten gemerkt, wie die Vögel mir geholfen haben. Ich hab sie durch die Ohren eingeatmet.“ Dieses Bild hat mir gefallen und mich durch den Tag begleitet. Jetzt, abends, greife ich den produktiven Unsinn auf und erfinde mir mein eigenes Abendritual. So fängt es an: Ich schreibe mir eine Liste aus Stille. Dann gehe ich raus, eine Runde um den Himmel spazieren, um meine Gefühle Gassi zu führen. Ich kaufe am Weg ein bisschen Blau. Treffe ein Hüpfen, ein Schlendern, eine schlafende Fahne, ein Morgen, das zögernd an einer Kreuzung steht und einen einstimmigen Kanon singt. Und Frau Dunkel, die immer nur nachts nach Draußen geht. (Ich weiß, wo sie tagsüber ist. Manchmal im Schrank. Manchmal am Klo. Und im Kühlschrank, wenn er zu ist, so sagt man, aber da habe ich sie noch nie gesehen.) Noch ein paar Happen Luft aus dem Gelb unter der Laterne gezupft, schon finde ich mich wieder vor meinem Haus. Ich drehe den Schlüssel, mein Lächeln springt auf, ich trete ein, ziehe die Restsorgen aus, streife mir das Frieren ab. Vorsichtig packe ich das Blau aus dem flüsternden Zellophan und nehme es mit ins Bett. Ich zupfe mir eine Prise, verreibe sie mir zwischen den Händen und summe mir damit übers Gesicht. Noch einmal nehme ich meine Liste zur Hand und ergänze den Punkt „Frieden“, dann lösche ich das Ticken der Uhr und knipse meine Träume an. Noch einmal mit den Zehen seufzen, noch einmal die Schultern zum Murmeln einladen und dann alles Weitere an den Kopfpolster übergeben. Gute Nacht!

Barbara Pachl-Eberhart

lässt sich gerne inspirieren von den Fragen ihrer kleinen Tochter & denkt vor dem Einschlafen noch gerne an den Traum, den sie gleich haben möchte.
www.barbara-pachl-eberhart.at

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Foto: Alexandra Grill

Foto: Adobe Stock

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  • Veröffentlicht: 29.03.2020
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