Wann bin ich so ganz ich? Töchter und andere Fragen helfen bei der Antwort.
,,Papa, hupe!“, schreit mir meine zweieinhalbjährige Tochter vom Rücksitz unseres Autos zu. Wir stehen hinter einem Wagen in der Linksabbiegespur, deren Ampel auf Rot steht. Aus ihrem Blickwinkel sieht sie nur die grüne Ampel der Hauptspur und die Autos, die rechts an uns vorbeiflitzen. Am liebsten möchte ich laut hupen vor lauter Lachen, so viel erzählt mir ihre Aufforderung über mich und meine offensichtlich lautstarke Aggressionsbereitschaft im Straßenverkehr.
Tage später komme ich mit meiner vehementen Aufforderin über Prinzessinnen ins Gespräch, ohne sie als solche zu bezeichnen. Sie entgegnet mir vehement: „Ich bin keine Prinzessin! Ich bin Alma!“ Lachend nehme ich zur Kenntnis, dass sie viel besser als ich weiß, wer sie ist, und denke mir stolz: „Starke Frauen braucht das Land“ – und dass wir Eltern zumindest in diesem Punkt etwas ganz richtig machen.
Unsere ältere Tochter (5) teilt mir am gleichen Tag mit: „Papa, ich bin sowieso viel normaler als du.“ Die Frage danach, wer ich bin, habe ich aus Erfahrung längst zugunsten der Fragen „Wofür brenne ich?“, „Was treibt mich?“ und „Wofür stehe ich?“ zurückgestellt. Ich stelle mir diese Fragen oft. Was in meinem Fall zu einem unruhigen Dasein führt, das vermag ich mit relativer und auch von meiner Frau vielfach bestätigter Sicherheit zu sagen. Was ist schon normal, wenn es für mich normal ist?
Ich wünsche mir auf alle Fälle, dass unsere Kinder ihren Bedürfnissen, Leidenschaften und Neigungen so auf der Spur sein und sie ausleben können, dass es normal ist. Selbstredend soll dies niemals auf Kosten anderer gehen. Was ihnen gefällt, sollen sie selbst bestimmen, und sie sollen zu sich stehen lernen, auch wenn es anderen nicht gefällt. Umgekehrt sollen sie Respekt vor anderen Normalitäten haben.
Sie müssen zugeben, dass ich in der Aufrufbereitschaft meiner Tochter in nichts nachstehe. (Ich lache gerade, was sie nicht hören, aber sich vielleicht vorstellen können.) Ernsthaft, solange wir über uns selbst lachen können, mag die Lage vielleicht aussichtslos sein, aber niemals hoffnungslos. Sogar der scheinbar gegensätzlichen, österreichischen Variante – es sei hoffnungslos, aber nicht aussichtslos – liegt das Prinzip Hoffnung zugrunde.
In diesem Sinne bleiben wir unentwegt gestaltungswillig, vernachlässigen wir gnadenlos die eigenen Bequemlichkeiten und treten jenen mit Bestimmtheit entgegen, die nie im Leben über sich lachen würden. Manchmal bin ich als hupende Prinzessin unterwegs. Wenn Sie mir dabei begegnen, bitte lachen Sie mit mir über mich!
Norbert Trawöger ist Vater zweier Töchter, Ehemann, Musiker, Intendant des „Kepler Salon“ und Künstlerischer Direktor des „Bruckner Orchester Linz“.
Erschienen in „Welt der Frauen“ 04/19