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04-05/24

Man soll wissen, woher man kommt

Man soll wissen, woher man kommt

Ein Roman in sechs Teilen verheißt aufs Erste wohl weniger Spannung als präzise Recherche, geht es hier vordergründig doch um die Freundschaft eines reichen Mädchens mit seiner Sklavin. Der erste Teil des Romans hält die Ereignisse von November 1803 bis Februar 1805 fest. Was für eine bescheuerte Floskel, als könne das Buch auch nur versuchen, die vielen Details festzuhalten und damit womöglich auch noch uns LeserInnen zu fesseln. Sagen wir also: zu faszinieren. Denn hier wächst Kapitel für Kapitel die Wut über die Unterdrückung der Sklaven, der Ausgrenzung der Frauen in Gesellschaft und Kirche(n), den Sieg der Angepassten über die Aufmüpfigen.

Die zehnjährige Hetty, Handful genannt, ist eine Sklavin wie auch ihre Mama, von ihr Mauma, von den anderen, den Herrschaften Charlotte, genannt. Hetty/Handful ist klug und stolz und bekommt häufig den Stock der Missus, der feinen Dame Grimke in ihrem Rücken zu spüren. Die Missus brachte ihren Sklavinnen knappe Bibelverse bei wie „Jesus weinte“ und war sicher, dass auch Gott ihr Lieblingsthema „Gehorsam“ teilt. Wer dabei einschläft, wird geschlagen, da hat auch Gott nichts dagegen! Hetty und ihre Mauma sind die Meisterinnen im Umgang mit Nadel und Faden, am liebsten arbeiten sie gemeinsam an Quilts. Kaum hat man sich lesend auf diese innige Mutter-Tochter-Beziehung eingestellt, erkennt man in den Szenen rund um Sarah Grimke, dass die Besitzenden andere Spiele spielen: Sarah bekommt Hetty als Sklavin geschenkt, ihre Mutter wünscht sich eine angepasste Tochter, die weniger Flausen im Kopf hat. Hier wächst keine fördernde Beziehung, hier wird die kluge Sarah daran gehindert, Hetty das Lesen beizubringen, ihr Bücher zu schenken und mit ihr Geschichten zu teilen. Sarah will wie ihr Vater und ihre Brüder Jura studieren und wird, kaum hat sie diesen Wunsch geäußert, beschämt, verspottet und vor der Teegesellschaft der Lächerlichkeit preisgegeben. Hetty muss miterleben, wie ihre Mama mit einer besonders schmerzvoller Methode ausgepeitscht und vor den Augen aller körperlich misshandelt wird. So entsteht Hass in den beiden Mädchen, der sie wachhält, der sie den Widerspruch lieben lehrt.

Hier der Heiratsmarkt der Oberschicht für deren jungen Töchter, dort der Sklavenmarkt, auf dem die bessere Preise erzielen, die ihre Zähne geputzt haben. Hier passiert aber keine Gleichmacherei, Sarah hat das bequemere und sichere Leben, das stellt die Autorin außer Frage. Sie widersetzt sich: ihrer Familie, ihrer Kirche, allen, die sich davon abhalten wollen, für die Rechte der Frauen und die Freiheit der Sklaven einzutreten.

 Mir war aufgetragen worden, die heutige Bibelstelle vorzulesen und zu erklären, doch als es mir endlich gelungen war, die Kinder auf die Kissen zu setzen, und ich in ihre Gesichter sah, erschien mir das wie Travestie. Wenn alle so darauf versessen waren, die Sklaven zu christianisieren, warum brachte ihnen dann niemand bei, selbst in der Bibel zu lesen?

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Mut, Aus- und Aufbruch, Hingabe, Weiterführung von „Onkel Toms Hütte“, Metaebenen, wenn Mauma etwa in ihren Quilts ihr Leben und das ihrer Vorfahren erzählt, Empathie, einen gut erzählten Roman, der perfekt konzipiert ist – Darstellung der Ereignisse aus zwei unterschiedlichen Sichtweisen, Passagen mit Briefwechsel zwischen den zwei Schwestern Grimke, auch hier ein Generationenwechsel wie bei Mauma und Handful.

 

Die Autorin hat mit diesem Roman erneut einen Bestseller gelandet. Ihr Werk „Die Bienehüterin“ wurde wie „Die Meerfrau“ in die Bestenlisten katapultiert und hielt sich dort hartnäckig an den Top-Plätzen.

 

 

Sue Monnk Kidd:

Die Erfindung der Flügel.

Roman.

Aus dem amerikanischen Englisch von Astrid Mania.

München: btb Verlag 2015

 

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  • Veröffentlicht: 16.09.2015
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