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Buchempfehlung: Lesen bedeutet auch, in den Spiegel zu schauen

Buchempfehlung: Lesen bedeutet auch, in den Spiegel zu schauen

Wir fanden uns beim Lesen immer wieder, in der Effi Briest, die erst zur Ehe gedrängt und dann als Ehebrecherin verstoßen wurde. Dann riss uns die Protagonistin in Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ aus Realität und Alltag.

Wissen to go

Der Roman „Effi Briest“ erschien 1986 als Buch, davor wurde er in sechs Folgen in der Deutschen Rundschau abgedruckt. Er ist ein wichtiger Frauen- und Gesellschaftsroman: Effi, das 17-jährige Mädchen, wird von seiner Mutter gedrängt, den 34-Jährigen Baron von Instetten zu heiraten.
Sommers Weltliteratur to go – YouTube – fasst den Roman sehr gut zusammen.
Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ erschien 1963. Eine Frau gerät in völlige Isolation, bleibt im Jagdhaus ihrer Freunde zurück und all das an einem Frühlingstag. Hund, Katze, Kuh und ein weißer Rabe sind die einzigen Lebewesen in ihrer Umgebung, die gläserne Wand zeigt Leben im Stillstand dahinter. Papier und Bleistift eröffnen eine neue Dimension in der Isolation.

Im Kreislauf von Liebe, Unglück und Macht

Bereits im Prolog schreibt Lisa Taddeo Klartext. Sie schildert, wie ihre Mutter Jahre lang auf ihrem Arbeitsweg von einem Mann verfolgt wurde, der nur wenige Meter hinter ihr masturbierte. Die Autorin studierte für ihr Buchprojekt drei junge Frauen, hörte ihnen zu, hütete und bewahrte ihre Sehnsüchte. Da ist Lina, Hausfrau in Indiana, mit schönem Haus und anscheinend geregeltem Tagesablauf. Sie sehnt sich danach, begehrt zu werden, hält den Alltag am Laufen und wischt Kinderspucke weg. Maggie wächst mit ihren alkoholkranken Eltern auf, Zuwendung kommt und geht. Sie begreift, wie brüchig Beziehungen sind und verliebt sich in ihren Lehrer, begehrt und umwirbt ihn: mit Erfolg, mit Leid und mit Verrat. Aus Phantasien werden heimliche Treffen, werden Lügen. Maggie verliert, der engagierte Lehrer, Ehemann und Familienvater steigt die Karriereleiter hoch. Auch Sloane, selbstbewusste Restaurantbesitzerin, ist unter der klaren Fassade sehr verletzlich. Sie genießt es, wenn ihr Ehemann ihr zusieht, wenn sie Sex mit einem/einer anderen hat: Die Erotik ist die Triebfeder dieser Paarbeziehung, doch auch sie ist brüchig.

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen

Frauenleben, Träume, Innigkeit, Schmerz, die Entwicklung von drei jungen Frauen, die Erkenntnis, wie Umgebungen/Familien prägen, kleine Hoffnungsfunken, Lust, Begehren.

Die Autorin Lisa Taddeo

schreibt Features für Elle, Observer, New York.

Lisa Taddeo:
three women – drei frauen.
Aus dem Amerikanischen von Maria Hummitzsch.
Piper: München 2020.
416 Seiten.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

Mehr Lesestoff von Christina Repolust erscheint regelmässig in der „Welt der Frauen”, Rubrik Staunen & Genießen. Hier können Sie ein kostenloses Testabo bestellen.

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  • Veröffentlicht: 09.04.2020
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