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04-05/24

Kuss bei Frauen-WM: „Sein Verhalten muss Folgen haben“

Kuss bei Frauen-WM: „Sein Verhalten muss Folgen haben“
Foto: Hannah McKay / REUTERS / picturedesk.com

Fußballverbandschef Luis Rubiales küsste Spielerin Jennifer Hermoso nach dem WM-Sieg Spaniens auf den Mund. Ex-Fußballprofi Viktoria Schnaderbeck spricht mit uns über den Eklat. Eine Analyse über weltweite Disbalancen und halbherzige Entschuldigungen

Wir wollen es mal von der positiven Seite sehen. Vor 15 Jahren hätte bei so einer Szene kaum jemand reagiert. Das Ganze wäre eher totgeschwiegen als diskutiert worden. Die Gesellschaft und die Medien hätten das Vorgefallene, wenn überhaupt, in einem Nebensatz erwähnt, vermutlich mit der klassischen Täter-Opfer-Umkehr. Jetzt war der Aufschrei sofort groß, die Diskussion ging in der Sekunde los, in der Luis Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbandes, Jennifer Hermoso, eine der Spielerinnen, bei der Siegesfeier der Fußballweltmeisterschaft auf den Mund küsste. „Es ist eine Form der sexuellen Gewalt, die wir Frauen täglich erleiden und die bisher unsichtbar war und die wir nicht normalisieren dürfen“, meldete sich Spaniens Gleichstellungsministerin Irene Montero auf X, vormals Twitter.

Klarer Fall von Grenzüberschreitung

Rubiales kommentierte die Szene in ersten Interviews mit: „Es gibt überall Idioten – und dumme Arschlöcher.“ Damit meinte er nicht sich selbst, sondern all jene, die hinter dem Kuss eine klare Grenzüberschreitung sehen. Das Ganze sei „in der Emotion des Augenblicks“ passiert, sich darüber aufzuregen, wäre bloß „Zeitverschwendung“. Viktoria Schnaderbeck, die Ex-Kapitänin des ÖFB-Teams, sieht das definitiv anders: „Euphorie hin oder her, er hat ganz klar eine Grenze damit überschritten. Eine, die er offensichtlich nicht kennt. Und genau das zeigt die ganze Problematik.“

„Hat mir nicht gefallen“

Vor allem auch, weil der Kuss scheinbar nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Jennifer Hermoso zeigte sich in einem Livestream kurz nach dem Kuss wenig begeistert darüber und sagte in die Kamera: „Hat mir nicht gefallen“. Genau das thematisierte Montero in ihrem öffentlichen Posting: „Wir sollten nicht davon ausgehen, dass Küssen ohne Zustimmung etwas ist, das ,passiert‘ … Die Zustimmung steht im Mittelpunkt. Nur ein Ja ist ein Ja.“ Später beschwichtigte Hermoso in einer offiziellen Stellungnahme: „Der Präsident und ich haben ein großartiges Verhältnis zueinander. Sein Verhalten uns allen gegenüber war ausgezeichnet, und es war eine natürliche Geste der Zuneigung und Dankbarkeit.“

Foto: Alexandra Grill
Viktoria Schnaderbeck, Ex-Kapitänin des ÖFB-Teams
„Diese Szene haben Millionen von Menschen gesehen, darunter unglaublich viele Kinder, die dadurch ein komplett falsches Bild vorgelebt bekommen.“
Viktoria Schnaderbeck

Fehler müssen Konsequenzen haben

Aber was bleibt ihr in so einer Situation anderes übrig? „Der Verband, der hinter einem steht, will natürlich so gut wie möglich davonkommen. Die erwarten sich, dass man kein Fass aufmacht. Das Übliche … Man kennt es“, weiß Schnaderbeck, „Mir tut Hermoso leid. Da wirst du vermutlich ein einziges Mal in deinem Leben Weltmeisterin. Statt das uneingeschränkt und ausgelassen feiern zu können, musst du dich für etwas rechtfertigen und erklären, wofür du nicht einmal was kannst.“ Der Zugzwang, so die Ex-Fußballerin, liege ganz klar bei Rubiales. „Sein Verhalten muss Folgen haben. Allein schon, um ein Zeichen zu setzen und aufzuklären. Diese Szene haben Millionen von Menschen gesehen, darunter unglaublich viele Kinder, die dadurch ein komplett falsches Bild vorgelebt bekommen. Er hat einen Fehler gemacht und wenn man sich falsch verhält, muss man mit den Konsequenzen leben.“

„Die Spanier sind halt impulsiv“

Viele, die im Netz zum Geschehenen Stellung nehmen, sehen es wie Schnaderbeck. Dazwischen finden sich aber immer wieder Ausreißer unter den Postings wie: „Die Spanier sind halt impulsiv.“ Schnaderbeck: „Klar, die Südländer haben ein anderes Temperament, aber das ist noch lange keine Entschuldigung für solche Szenen.“ Auch nicht, erklärt sie weiter, dass es im Sport körperlicher zugeht als etwa im Büro: „Ja, der Chef im Office gibt dir vielleicht kein High Five, wenn du eine Sache gut erledigt hast, aber Sportlerinnen sind deshalb nicht weniger feinfühlig, wenn es um Grenzüberschreitungen geht.“

Globale Angelegenheit

Es ist eine Problematik, die sich nicht auf den Einzelfall beschränkt. Es betrifft uns alle weltweit. Und vor allem sind Frauen die Betroffenen, Männer die Täter. Schnaderbeck findet klare Worte: „Es hat sich in den letzten Jahren schon viel getan, aber es muss sich unbedingt noch mehr tun, um diese große Disbalance zwischen Männern und Frauen, die noch immer herrscht, endlich auszugleichen. Wir reden hier von systemischen Veränderungen, die es braucht, damit Menschen in Machtpositionen, das sind eben vorwiegend noch immer Männer, ihre Power nicht mehr ohne Konsequenzen ausspielen können. Ein paar Schritte sind wir schon gegangen, der Weg ist aber noch weit.“

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  • Veröffentlicht: 22.08.2023
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