In der Debatte um sexuelle Übergriffe scheinen Frauen moralisch die Oberhand gewonnen zu haben. Manche meinen, das wäre eine trügerische Überlegenheit. Das eigentliche Problem sei die fortgesetzte Kränkung der Männer.
Aufgeregte Diskussionen haben es an sich, dass sie ungerecht sind. Oder zumindest so wirken. #MeToo hat wie selten zuvor das Ausmaß sexueller Übergriffe zumindest in unserer westlichen, sich selbst für relativ zivilisiert und gleichberechtigt haltenden Welt zutage gebracht. Das ist nicht angenehm. Weder für jene, auf deren Konto die Übergriffe gehen, und schon gar nicht für die Betroffenen. Diese sind manchmal regelrechte Opfer, weil ihnen bleibende psychische Schäden etwa durch Vergewaltigung zugefügt wurden. Das darf man nicht kleinreden. Dennoch empfinden gar nicht so wenige Männer #MeToo als ungerecht. Wieder einmal werde pauschalisiert und der Mann an sich an den Pranger gestellt. So entstehe ein Generalverdacht gegen alle Träger des Y-Chromosoms. Ein Teil der Männer, die sich derart ins Eck gedrängt fühlen, reagiert nur ärgerlich, ein anderer schlägt offensiv zurück. In Zeiten von Genderwahn und Frauenquote habe man als Mann, noch dazu als heterosexueller, ohnehin längst ausgedient. In der Vielzahl der Ebenen, die in emotionalen Diskursen eine Rolle spielen, könnte man bei dieser einhaken. Was wie die Aussage einer beleidigten Leberwurst klingt, wie die eines entthronten Patriarchen, der seine alte Macht im Schwinden sieht, enthält womöglich eine Botschaft, die man sich genauer anschauen sollte.
Schon bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen gab es eine Gruppe, die Donald Trump besonders inbrünstig folgte. Sie wurde als die der „enttäuschten weißen Männer“ bezeichnet. Der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer vermutet dahinter eine Kränkung, die für die politische Entwicklung bedeutsam ist. „Gekränkte Männer sind eine gefährliche Spezies“, sagt er. Sie hätten das Gefühl, als Mann nicht mehr über die Bedeutung als Beschützer, Ernährer und Liebhaber zu verfügen. Frauen verdienten heute ihr eigenes Geld, manchmal sogar mehr als ihre Männer, in friedlichen Gesellschaften sei auch der Beschützer nicht gefragt, und für Liebhaber seien die gewohnten Ordnungen auch auf den Kopf gestellt. Übersetzt könnte man sagen, dass Frauen eine Fülle von Lebensmöglichkeiten dazugewonnen haben, viele Männer das aber als Verlust ihrer gelernten Aufgaben empfinden. Nehmen wir an, diese Einschätzung des Sozialpsychologen trifft zu. Welche Schlüsse sollten wir daraus ziehen? Gekränkte, sich ins Abseits gestellt oder der Lächerlichkeit preisgegeben fühlende Menschen sind nicht nur für sich, sondern auch für andere ein Problem. Sie werden die Macht suchen, um sich zu rächen. Die Weltgeschichte ist voll mit Herrschern, die Gefühle von Unrecht und Kränkung für Krieg instrumentalisiert haben. Aber auch wenn man es nicht so dramatisch sieht, ist es im Zusammenleben der Geschlechter schwierig, wenn man in einen Wettbewerb der Kränkungen geht. Wie kommen wir in einen konstruktiven Dialog? Beispielsweise wäre es gut, von einem „Verdacht“ zu reden, solange kein Beweis für einen Übergriff erbracht wurde. Dann ist gerade im persönlichen Gespräch die einfache Frage einer Frau an den Mann oder umgekehrt hilfreich: „Wie geht es dir mit der Debatte?“ Und der könnte die nächste Frage folgen: „Was können wir gemeinsam tun, um zu einer besseren Kultur des Miteinanders zu kommen?“
Kränkungen haben es an sich, dass sie im seelischen Untergrund arbeiten, wenn sie nicht mit dem Sauerstoff der Aussprache versorgt werden. Könnte da möglicherweise eine Aufgabe für Organisationen liegen, die einerseits Frauen und andererseits Männer vertreten? Statt getrennt voneinander übereinander zu reden, könnte man auch miteinander zueinander sprechen. Die #MeToo-Debatte kann uns einen Schritt weiterbringen, wenn wir daraus lernen, dass es kein Monopol der Kränkung gibt, und unser Ziel, in Respekt als Männer und Frauen miteinander zu leben, stärker angestrebt wird als zuvor.
Christine Haiden verfolgt die #MeToo-Debatte mit gemischten Gefühlen.
Rühr mich nicht an!
- Selten hat eine Debatte über so lange Zeit die Öffentlichkeit beschäftigt wie #MeToo. Begonnen hat es mit den Vorwürfen gegen den amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein. Neu war, dass auch prominente Männer zugaben, dass sie von den Gerüchten längst gewusst, aber aus falsch verstandener Solidarität oder um Ärger zu vermeiden, geschwiegen hätten.
- Die kommunikative Wucht des Internets hat #MeToo eine nahezu globale Dimension gegeben. Auch in Österreich kam die Debatte an. Sie mündete etwa im vorläufigen Rücktritt des Listenführers Peter Pilz und in den Vorwürfen von Nicola Werdenigg gegen den Österreichischen Skiverband. Welche der vorgebrachten Übergriffe strafrechtlich belangt werden, ist derzeit noch offen.
- #MeToo wurde vorgeworfen, ohne Differenzierung Frauen als Opfer von Übergriffen zu sehen. Außerdem sei bloßes Anprangern zu wenig. Das müsse in rechtsstaatliche Maßnahmen münden, um Verdächtigten die Chance zu geben, sich zu verteidigen, und um gesetzliche Maßnahmen anzupassen.
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Erschienen in „Welt der Frauen“ Jänner/Februar 2018
Illustration: www.margit-krammer.at