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04-05/24

Krabbelt da noch was?

Krabbelt da noch was?

Das Insektensterben ist Realität, und es hat Folgen. Für den Artenschutz aktiv zu werden, ist existenziell und gar nicht so schwierig. In diesem Sinne: Weg mit dem Golfrasen, her mit der Gstätten!

Schauen Sie sich doch um: Überall fahren Rasenroboter, statt lebender Hecken gibt es Gabionen, und Blumenwiesen sind durch japanische Gräser ersetzt. Oder wir pflanzen Forsythien und glauben, wir tun den Bienen damit einen Gefallen. Sie können statt der Forsythie auch eine Wäschespinne aufstellen, die hat den gleichen Nährwert.“ Der Linzer Biologe Fritz Gusenleitner hat zum Schutz der Insekten viel Überzeugendes zu sagen. Zunächst einmal plädiert er eindringlich dafür, heimische Gärten wieder in naturnahe Oasen zu verwandeln. „In Österreich gehen wir von rund 90.000 Hektar Fläche an Privatgärten aus. Nutzt man dieses Potenzial, kann man wirklich etwas Gutes bewirken!“

Jetzt oder nie

Dafür scheint es allerhöchste Zeit zu sein. Aus allen Ländern dieser Welt kommen Zahlen zum dramatischen Rückgang der Insektenpopulationen. Doch alles der Reihe nach: Anfang 2019 machte eine Veröffentlichung der Umweltwissenschaftler ­Francisco Sánchez-Bayo von der Universität Sydney und Kris Wyckhuys von der Universität Queensland die Runde. Sie werteten 73 Untersuchungen aus Europa und den USA zum Insektensterben aus und kamen zum Ergebnis: 40 Prozent der Insektenarten sind bedroht. Vor allem Schmetterlinge, aber auch Hautflügler wie Bienen, Wespen oder Ameisen und Käfer. Bei Libellen sowie den Stein- und Köcherfliegen, die zu den wasserlebenden Insekten gehören, seien schon viele Arten verloren gegangen.

Minus 80 Prozent

Für heimische ExpertInnen kamen diese Ergebnisse nicht überraschend, denn bereits 2017 sorgte die „Krefeld-Studie“ für Aufsehen: BiologInnen des „Entomologischen Vereins Krefeld“ hatten über die Jahre in verschiedenen Naturschutzgebieten im Nordwesten Deutschlands Fluginsekten in Fallen gefangen, gezählt und einen drastischen Rückgang bemerkt. Um bis zu 80 Prozent sei die Biomasse fliegender Insekten seit 1989 zurückgegangen. „Man darf nicht vergessen: Die Krefeld-Studie basiert auf Messungen in Naturschutzgebieten, nicht auf irgendwelchen Äckern“, erklärt Gusenleitner, der lange Jahre Bereichsleiter für Naturwissenschaften und Sammlungsleiter im Bereich der Entomologie im Biologiezentrum Linz war.

Die Folgen des Insektenrückgangs von 80 Prozent macht er gleich an einem Beispiel deutlich: Eine Meisenpaar brauche im Jahr 200.000 Fluginsekten als lebensnotwendige Nahrung zur Aufzucht der Nachkommen. Wenn nun von zehn Insekten nur noch zwei zur Verfügung stünden, lässt sich die Brut nicht mehr versorgen.

Insekten sichern Leben

Damit sind wir bei den existenziellen Funktionen angelangt, die Insekten für das gesamte Ökosystem haben: Mehr als 60 Prozent aller bekannten Tierarten sind Insekten. Sie bilden das Nahrungsfundament für Amphibien, Reptilien, Fische und Vögel. Sie sichern die Nahrung des Menschen, indem sie Obst, Gemüse und Futterpflanzen bestäuben. Sie verwerten Abfälle und organisches Material und helfen dabei, diese wieder in den Nährstoffkreislauf zurückzuführen. Kommt es zu einem massenhaften Ausfall der Insekten, dann droht ein ökologischer Kollaps. „In Österreich gibt es an die 40.000 Insektenarten, jede Art hat ihren eigenen ökologischen Anspruch. Wenn wir so weitermachen wie bisher, landen wir dort, wo die Chinesen heute schon sind: Menschen bestäuben mit Gänsefedern die Bäume in den Apfelplantagen“, warnt Gusenleitner. Er meint damit die chinesische Region Sichuan, eines der wichtigsten Obst- und Gemüseanbaugebiete Chinas. Dort wurden durch jahrzehntelangen Pestizideinsatz fast alle Bestäuberinsekten getötet.

Lebensfeindlicher Lebenswandel

„Wenn wir so weitermachen wie bisher“: Gemeint ist damit die intensive, industrielle Landwirtschaft, aber auch die zunehmende Verstädterung, die den Insekten den Lebensraum raubt. Dazu kommen Faktoren wie der Klimawandel, der Verkehr und die Giftorgien in den privaten Gärten. Auch die nächtliche Lichtverschmutzung macht den Tieren zu schaffen. Manche bleiben dadurch unnatürlich lange aktiv und sterben vor Erschöpfung. Der Flächenverbrauch durch Bebauung – in Österreich beträgt er zwischen 17 und 19 Hektar täglich – führt außerdem dazu, dass Lebensräume nicht mehr verbunden sind, Insekten ihre Habitate nicht mehr versorgen können, Arten isoliert werden und letztlich aussterben. „Zu den Verlierern zählen neben Bienen und Schmetterlingen viele Wespen-, ­Libellen-, Heuschrecken- und Käferarten. Mit dem Insektensterben hängen aber auch starke Rückgänge bei Vögeln und die hohe Gefährdung von Fleder­mäusen oder Amphibien und Reptilien in Österreich zusammen“, konkretisiert Leonore ­Gewessler, Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation „Global 2000“.

Auch die in Gewässern lebenden Eintagsfliegen, Libellen und Köcherfliegen werden weniger, weil zunehmend Düngemittel und Pestizide in die Gewässer gelangen. „Schädlinge, die sich von Obst und Gemüse ernähren, werden mit Pestiziden bekämpft, die aber auch die Nützlinge töten. Das ist der Teufelskreis, den es mit dem Einsatz alternativer Pflanzenschutzmittel, mithilfe einer abgestimmten Fruchtfolge und durch mehr Biolandwirtschaft zu durchbrechen gilt“, kommentiert Gewessler. Dazu brauche es die Zusammenarbeit mit den LandwirtInnen, die ja auch Interesse daran hätten, ihre Lebensgrundlagen zu erhalten.

Es soll wieder summen

Einer, dem der Rückgang der Arten seit Jahren auffällt, ist Edgar Honetschläger, Filmemacher und bildender Künstler. Der Österreicher verließ seine Wahlheimat Japan nach dem Reaktorunfall von Fukushima 2011 in Richtung Europa, genauer gesagt in Richtung Rom. Dort mietete er sich in einem Haus ein, legte einen Gemüsegarten an. Nach Jahren der Trockenheit stellte er 2017 fest: Da summt und brummt nichts mehr, nicht einmal die für den Landstrich so typischen Zikaden sind zu hören. Er recherchierte, reiste unter anderem nach Australien und stellte fest, dass industrielle Landwirtschaft, Monokulturen und das Insektensterben weltweite Phänomene sind.

„Ich konnte mich nicht einfach weiter mit Kunst, mit Ästhetik befassen und dabei zusehen, wie die Welt kollabiert. Ich wollte etwas tun“, erzählt er von seinem international angelegten Projekt „Go Bugs Go“, das er vor wenigen Wochen auch in der Linzer Landesgalerie präsentierte. Einfach gesagt geht es darum: Die UnterstützerInnen des Projekts kaufen gemeinsam Land, das sich selbst überlassen bleibt und den „Bugs“, also den Insekten, ungestörten Lebensraum bietet. Jede und jeder kann mitmachen, es gibt verschiedene Möglichkeiten der Beteiligung. In Österreich sei unter anderem gerade ein Stück Land im Waldviertel für eine solche „Insektenwildnis“ im Gespräch, generell sei das Interesse am Projekt größer, als er gedacht hatte, sagt Honetschläger. Vielleicht ist es genau diese Möglichkeit, sich selbst als „NaturerhalterIn“ einzubringen, ohne in die Natur einzugreifen, die überzeugt. „Uns sollte auch wieder bewusst werden, welch schöne Wesen wir da vor uns haben. Wenn Insekten nur über ihre Gesamtbestäubungsleistung definiert werden, macht mich das regelrecht wütend.“ (www.gobugsgo.org)

Genug gegiftelt

Noch einmal zurück in den heimischen Garten: Will man den Boden für eine insektenfreundliche Wiese aufbereiten, dann sollte das Mähgut unbedingt weggeräumt werden, weil es die Wiese zusätzlich düngt. Blumenwiesen mögen sandige, trockene und nährstoffarme Böden. Und was es mit der Forsythie auf sich hat, deren Nährwert Biologe Gusenleitner mit dem einer Wäschespinne verglichen hat, sei hier aufgeklärt: Nicht alle Pflanzen liefern Nektar und Pollen in gleicher Menge, manche – zum Beispiel gefüllte Rosen – liefern gar nichts davon. Und dazu zählt, obwohl sie so verlockend gelb leuchtet, eben auch die Forsythie. Als Alternative sollte man sich besser für den bienenfreundlichen Dirndlstrauch entscheiden.

Das große Heupferd aus der Familie der Heuschrecken ernährt sich von Pflanzenteilen und von Insekten. Es mag Wiesen, Brachen und Gärten mit (Wild-)Kräutern und Sträuchern.

Der Nashornkäfer steht unter Naturschutz. Er ernährt sich von toten Pflanzenteilen und austretenden Baumsäften. Lebensraum findet er in Altholz und im Komposter.

Libellen brauchen natur­nahe Gewässer und artenreiche Wiesen. Sie sind Maßstab für den Klima­wandel: Wärmeliebende Arten aus Afrika und dem Mittel­meerraum ­wandern neu ein.

Wildbienen wie die Hummel ­suchen Pollen und Nektar von Wild­pflanzen. Von ­Bedeutung für ihr Überleben sind Laubgehölze, Obstbäume und ­Naturwiesen.

Schmetterlinge wie der Kleine Fuchs flattern gern in Wiesen und Gärten. Die Raupen brauchen die Brennnessel als Nahrung, die Falter den Nektar von Blütenpflanzen und Wildblumen.

Der Rosenkäfer ernährt sich von Rosenpollen, sie sind bei den meisten Rosensorten vor­handen. Seine Larven speisen gern im Kompost und helfen dort bei der Entwicklung von Humus.

Insektenfreundliche Bücher und Internet-Adressen

Cynthia Nagel zeigt am Beispiel ihres eigenen Gartens, wie man Lebensraum für Insekten gestaltet. Das Buch ist eine wahre Fundgrube an ­Pflanzen- und Tierporträts, liefert Wissenswertes über biologische Zusammenhänge und praktische Tipps zum ökologischen Gärtnern.

Cynthia Nagel: Mein summendes Paradies. So wird aus jedem Garten eine Oase für Bienen und Insekten. Verlag Gräfe und Unzer, 29,99 Euro

Käfer, Falter und Co. sind die stärksten, nützlichsten, erfolg­reichsten und arten­reichsten Tiere unserer Erde. In diesem kunstvoll gestalteten Buch werden die spannendsten Exemplare vorgestellt – von der Zwergwespe über das Glüh­würmchen bis zum größten Schmetter­ling der Welt.

Bart Rossel/Medy Oberendorff: Die wunderbare Welt der Insekten. Gerstenberg Verlag, 26,00 Euro

Gärtnern ohne Gift: www.global2000.at/publikationen/gaertnern-ohne-gift

Viel Wissenswertes rund um Artenschutz und Co. findet man auf „www.naturschutzbund.at“. Dort sind auch Naturschutzeinsätze aufgelistet, an denen man sich persönlich beteiligen kann.

Infos und Tipps für den Garten oder Balkon gibt es auf „www.nabu.de“ (Naturschutzbund Deutschland). Hier kann man sich auch eine Gratis-App zur Insektenbestimmung herunterladen.

Damit es wieder kreucht und fleucht

Sommerblumen für die Bienen, Nützlingshotels für die Larven, Laub im Garteneck und Lavendel auf dem Balkon: Jede und jeder kann jetzt gleich Lebensraum für Insekten schaffen.

Wichtige Nützlinge im Garten sind neben Bienen, Wildbienen und Hummeln auch Laufkäfer, Marienkäfer, Schwebfliegen, Florfliegen, Spinnen, Vögel und Igel.

Heimische Gehölze bieten Insekten wichtige Nahrung. Ganz vorne dabei sind Schlehe, Weißdorn und Eiche, in und an denen mehr als 400 Insektenarten leben. Koniferen bzw. Thujen bringen es im Gegensatz dazu auf maximal zehn Arten, denen sie Lebensraum bieten. Weitere Heckenpflanzen, die Insekten mögen, sind Hasel und Holunder.

Für die Bienen sind zum Beispiel folgende Sommerblumen wichtig: Sonnenblume, Ringelblume, Kapuzinerkresse, Lavendel, Kugeldistel, Taubnessel, Löwenzahn, Klee, Distel und Schafgarbe.

Wichtige Nahrungspflanzen  für Schwebfliegen sind Dille, Disteln, Fenchel, Löwenzahn, Ringelblume, Wilde Karotte und andere Doldenblütler.

Rund 50 Schmetterlingsarten nutzen die Brennnessel als Nahrungsquelle. Manche Spezialisten wie die gefährdeten Arten Kleiner Fuchs, Tagpfauenauge und Landkärtchen können ohne Brennnesseln nicht überleben.

Selbst angesetzte Auszüge aus Pflanzen wie Löwenzahn, Ackerschachtelhalm, Kamille und Brennnesseln sind als Dünger und Pflanzen­stärkungsmittel wertvoll.

Die Wiese im Garten sollte idealerweise aus zertifizierten Saatgutbeständen, die an die Region angepasst sind, gewachsen sein. Kaufen Sie keine Blumen- und Gartenerde, die Torf enthält. Bei der Gewinnung von Torf werden Moorlandschaften zerstört.

Auch BalkonbesitzerInnen können etwas für die Insekten tun, indem sie ihnen Lavendel, Thymian, Salbei und Minze, Ringelblumen und Sonnenblumen anbieten.

Ein Komposthaufen ist Lebensraum für viele Insekten­arten, zum Beispiel auch für die gefährdeten Nashorn- und Rosenkäfer. Sie sind außerdem nützlich, weil sie den Stoffumsatz im Kompost beschleunigen.

Ein Insektenhotel bietet mit seinen Abteilungen aus gelochten Baumscheiben, Lochziegeln, Schilfrohr, Zweigen oder Stroh einer Vielzahl nützlicher Insekten einen geeigneten Brutplatz. Praktische Bauanleitungen dafür findet man im Internet.

Sparen Sie mit Steinwüsten und mit Kiesbeeten – sie bieten keinen Lebensraum für Insekten. Auch bei den von Rasenrobotern penibel rasierten Rasenflächen sollte es wenigstens in einem Garteneck eine Ausnahme geben.

Totholz in einer Ecke des Gartens bietet wertvollen Unterschlupf für Insekten. Gleiches gilt für eine Stelle, an der man einen Haufen an Laub liegen lässt.

Welt der Frauen Juni 2019

 

Mehr zum Thema in unserer Printausgabe: Interviews mit Helene Binder (Bundesleiterin der Österreichischen Landjugend) & Leonore Gewessler (Geschäftsführerin von „GLOBAL 2000“). Möchten Sie den Artikel gern ungekürzt und in gedruckter Form noch einmal nachlesen? Dann bestellen Sie hier die Ausgabe Juni 2019, in der er erschienen ist.

Fotos: rcphotostock, AdobeStock

 

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  • Veröffentlicht: 01.06.2019
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