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04-05/24

Kommen Sie mir doch nicht mit Fakten!

Kommen Sie mir doch nicht mit Fakten!
Gematschkert haben die Österreicher ja immer schon gerne. Doch langsam scheinen viele die Relationen zu verlieren. Gott, geht es uns schlecht! Und dann noch die Fremden, die Wirtschaft, die Politik, alles mies! Und wenn man etwas anderes behauptet?

Sie sind wohl naiv!“, schmetterte mir eine Anruferin kürzlich empört entgegen. Ich hatte gegen die Angstmache eines Politikers, der von heraufziehendem „Bürgerkrieg“ in Oberösterreich fantasierte, öffentlich Stellung bezogen. „15 Millionen Afrikaner wollen nach Europa! Habe ich heute erst gehört“, setzte die Anruferin noch nach. In der Schnelligkeit fiel mir nichts Besseres ein, als ihr zu sagen: „Ja, und die kommen alle mit Schlauchbooten. Einhundert haben in einem Boot Platz. Rechnen Sie sich aus, wie lange das dauert, bis all 15 Millionen herüben sind.“ Das war zugegeben etwas polemisch. „Erinnern Sie sich, als die EU-Ostöffnung kam? Damals haben die Schwarzmaler behauptet, dass uns 15 Millionen Russen überrollen würden. Wie viele sind tatsächlich gekommen?“, fragte ich. Daraufhin war es am Telefon kurz still, dann meinte die verängstigte Dame: „Ja, haben S’ eh recht.“

Warum ich das erzähle? Weil mir immer öfter Menschen begegnen, die mit unglaublichen Zahlen und Horrorszenarien um sich werfen. Woher sie die haben? Sicher nicht aus Medien, die gründlich Fakten überprüfen und verantwortungsvoll mit Information umgehen. Schon eher aus sozialen Medien und „sicheren Quellen“, die, so raunen die Misstrauischen, in der „gleichgeschalteten Presse“ keine Chance hätten. Das Erstaunliche ist, dass die Widerlegung von Behauptungen durch Fakten von diesen Menschen nicht geglaubt wird. Man wird dann als „naiv“ bezeichnet oder als Opfer der „Lügenpresse“. „Mein Vorurteil lass ich mir durch Fakten nicht ruinieren“ scheint die Devise. Besonders gerne wird dieses Muster beim Thema „Asylwerber“ angewendet. Das Vorurteil lautet beispielsweise: Die Kriminalität ist explodiert, seit „die“ da sind. Stimmt nicht. Das wird aber nicht geglaubt.

Was heißt es nun, wenn Menschen sich ihre Ängste gar nicht nehmen lassen wollen, wenn man mit Fakten nicht mehr an sie herankommt? Erstens finde ich es geradezu frevelhaft – um ein altes Wort zu bemühen –, sich gute Verhältnisse schlechtzureden. Wohin soll das führen? Man verdrießt sich die guten Tage und sehnt die schlechten herbei. Geht es noch verrückter? Zweitens öffnet es VerführerInnen aller Art Tür und Tor. Im harmlosesten Fall drehen sie uns um teures Geld sinnlose Sicherheitssysteme an. Im schlechtesten Fall bringen sie uns dazu, unsere Freiheit selbst zu beschränken. Drittens wird plötzlich eine Politik salonfähig, die ihrerseits nicht auf Fakten, sondern auf Emotionen basiert. Da gibt es Notverordnungen ohne Not, und die zuerst verbale, dann legale Jagd auf Minderheiten gehört zum Tagesgeschäft.

Nun rede ich nicht einer blauäugigen Naivität das Wort. Es gibt schon Probleme, die bedrücken. Wer arbeitslos ist oder in Armut lebt, dem nützt auch eine rosa Brille nicht. Dass unser Wirtschaftssystem in einem Umbruch steckt, merken wir. Krieg und Terror, die wir in der Mitte Europas schon fast vergessen hatten, rücken wieder näher. In unserer Ratlosigkeit verhalten wir uns aber wie panische SchülerInnen vor der Prüfung: Man glaubt, gar nichts mehr zu wissen. Beispielsweise nicht mehr, wofür man denn nun steht, welche Werte zählen, was man kann, worauf man sich verlassen und manchmal auch stolz sein kann.

Das ist ganz schön viel. Wir sind eine freiheitliche, offene, demokratische Gesellschaft. Wer da zynisch lacht, der sollte einmal auf Reisen gehen und sich ansehen, wie es anderswo politisch zugeht. Wir haben ein Rechtssystem, das auf Menschenrechten basiert, und diese werden in der Regel sogar eingehalten. Glücklich die Menschen, die so was von sich sagen können, mehrere Milliarden auf der Erde können es nicht. Wir haben Bildung, wir haben Gleichstellung von Männern und Frauen. Vor allem aber haben wir Freiheit. Freiheit im Denken, Freiheit im Handeln, Freiheit im Reden und im Tun. Das gering zu schätzen, ist in höchstem Maße dumm, um es ganz direkt zu sagen. Ist die Freiheit einmal verloren, gewinnt man sie nur schwer zurück. Ein Blick in autoritäre Staaten zeigt das. Es kann Jahrzehnte dauern, und die Zeit dazwischen ist wirklich nicht lustig.
Was ansteht, ist, dass wir die Geister, die uns so im Griff haben, nicht beschwören, sondern klären. Was nährt und stärkt uns, was nimmt uns Ängste, was hält die Tore des Lebens offen, was können wir vor allem selbst beitragen, damit es gut weitergeht? Opfer zu sein ist immer schlecht, vor allem, wenn es um das eigene Leben geht. Klingt naiv? Vielleicht bin ich es ja doch.

Christine Haiden beunruhigt, wenn viele Menschen lieber an den „Worst Case“ als an den „Best Case“ glauben.

„ÖsterreicherInnen bleiben pessimistisch“

  • „Wir leben in einer Umfragedemokratie“ hat kürzlich ein Regionalpolitiker gemeint. Das ist nicht von der Hand zu weisen.
  • Kaum eine Woche vergeht, da uns nicht ein Meinungs-forscher mitteilt, wie wir die Welt angeblich sehen. Meist pessimistisch. Da wird selbst jemand, der bisher seinen Blick auf das Gelingende gewandt hatte, misstrauisch. Täusche ich mich womöglich? Lebe ich in einer Wohlfühlblase, und rundum herrscht das Unglück?
  • Umfragen manipulieren auch. Sie bestätigen und sie beschwören. Derzeit scheint Pessimismus Trumpf. Eine gefährliche Entwicklung, wenn man wirklich daran glaubt. Man wählt womöglich dann jene, die Erlösung von der Gefahr versprechen. Doch welche Interessen verfolgen die? Es lohnt sich, nicht nur Umfragen, sondern auch Fakten zu vertrauen.

Was ist Ihre Meinung dazu? Schreiben Sie uns! [email protected]

Erschienen in „Welt der Frau“ 11/16 – von Christine Haiden

Illustration: www.margit-krammer.at

 

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  • Veröffentlicht: 24.11.2016
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