Ach, das waren Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, das Landleben beschaulich war und Wiesen und Wälder bevölkert von geheimen Wesen wie Feen, Elfen und Zwergen! In einer solchen Wunschvergangenheit, in der man „bei Nebel oft weiße Gestalten durchs Mondlicht schweben“ sah, spielt das wunderschöne Märchen „Greta und die magischen Steine“ von Altmeister Paul Maar.
Darin lebt die kleine Greta mit ihrer Mutter in zunehmend verzweifelter Armut, seit der Vater dem Ruf des Goldrauschs jenseits des Meeres gefolgt und nicht wiedergekommen ist. Als eines Tages eine seltsame alte Frau mit schneeweißem Haar und Mantel an der Tür steht und um einen kostenlosen Becher Milch bittet, zeigt Greta Mitleid. Dafür gibt ihr die mysteriöse Alte einen Stein und rät ihr, aufzubrechen und den schmerzlich vermissten Vater zu suchen. Worum es hier geht? Um Verlust, Zuversicht und die magischen Rituale, mit denen wir den Schmerz zu bändigen versuchen, den das Leben für uns bereithält. Gretas Geschichte handelt aber mindestens so sehr von Selbstermächtigung und ist deshalb ein gutes Rezeptbuch gegen das Gefühl kindlicher Ohnmacht. Ein bisschen Unterstützung von weißen Wesen kann dabei nicht schaden.
Keine Angst vor Spinnen
Um ganz andere weiße Wesen geht es in „Hirameki Wolkenkino“. Kinderkunst-, Mal- und Kritzelbücher sind ein großer Trend, aber nur wenige lassen der Fantasie so viel Spielraum wie diese Buchreihe mit seitenweise bunten Farbklecksen, aus denen man mit wenigen Strichen Figuren, Tiere oder Szenerien gestalten kann. Im neuen Hirameki-Buch dienen Wolkenfotos als Ausgangspunkt fürs Zeichnen. Eine ebenso simple wie geniale Idee! Jene, die wie Michel aus Lönneberga im Gras auf dem Rücken liegend schon alle möglichen Dinge in vorüberziehende Wolken hineinfantasiert haben, werden begeistert sein.
Nicht Do-it-yourself-Kunst, sondern eine berühmte Künstlerin steht im Zentrum von „Lied für Louise“. Es erzählt das „bunte Leben von Louise Bourgeois“. Die Leidenschaft der großen französischen Bildhauerin (1911–2010) für textile und metaphorische Gewebe hing mit ihrer frohen Kindheit in der Tapisserie-Werkstatt ihrer Eltern zusammen und hat sich in Bourgeois’ eigener Kunst in den – äußerst positiv besetzten – Zentralmotiven Spinne und Netz niedergeschlagen. Im Buch wird dem in wunderschön vernetzten Malereien und Sätzen Rechnung getragen. Ein Kunstwerk von Kinderbuch; und nein, es gefällt nicht nur den Eltern. Das ist ausgetestet.
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Mein liebstes Kinderbuch
Astrid Reichel: Bei diesen Läusen juckt es mich
Mit meinem Papa, einem begeisterten (Vor-)Leser, war ich von klein auf Stammkundin in der örtlichen Buchhandlung und der Bücherei. In Letzterer führte mich mein Weg zuerst immer dorthin, wo „Der alte und der junge und der kleine Stanislaus“ stehen sollte. Mich faszinierte die sich konsequent durchziehende Dreiheit, beginnend beim Autorinnennamen, und ich liebte das Fantastische, Überraschende und teilweise Absurde, das den drei Stanisläusen und den drei Veronikas begegnete.
Vera Ferra-Mikura/Romulus Candea: Der alte und der junge und der kleine Stanislaus. Verlag Jungbrunnen, ab 5 Jahre, 13,95 Euro
Töchter Rosalinde (7) und Liselotte (2): Velwelchsern ist cool!
Lustig finden wir das Buch „Der Wechstabenverbuchsler“. Darin lernen eine Mama und ihr Kind, Susi und Nina Pappe, einen Mann kennen, der die Buchstaben verwechselt, seitdem er in einer Drehtür stecken geblieben ist. Er sagt witzige Wörter wie Letterschming, Schnutenpitzel und „Es lud mir teid“. Susi, die er am Ende heiratet, ist seine Schnimtzecke. Als er einmal mit Nina kopfüber von einer Stange baumelt wie eine „Mederflaus“, merken sie, dass er verkehrt herum richtig spricht.
Mathias Jeschke/Karsten Teich: Der Wechstabenverbuchsler. Boje Verlag, ab 4 Jahre, 6,70 Euro
Dagmar Hruby: Muttersprache und Pfanzenliebe
Die Bücher meiner Kindheit waren auf Tschechisch. Damals war mein Lieblingsbuch „Voni?ka“, zu Deutsch „Düftchen“, von Jarmila Urbánková mit Zeichnungen und Gedichten über Blumen. Das Kinderbuch, das ich jetzt meinen Kindern am liebsten vorlese, ist „Rigo und Rosa“, eine Geschichte über die Beziehung zwischen einem Leoparden und einer Maus. Es geht um Freundschaft, Einsamkeit, Freiheit, Angst und Vertrauen. Es ist ein Buch voller Aha-Momente, das ich bestimmt auch schon fünfmal verschenkt habe.
Lorenz Pauli/Kathrin Schäfer: Rigo und Rosa. Orell Füssli Verlag, ab 5 Jahre, 17,40 Euro
Kinder Theo (4) und Maya (6): Unwahrscheinlich und urlieb
Das Buch heißt „Die Bommels brausen los“. Die Bommels hängen sich an Leute und sind voll lieb. Die Menschen bemerken gar nicht, dass die Bommels auf Hauben und Schals sitzen, weil sie so mit sich selbst beschäftigt sind. Man denkt erst an die Bommeln auf der Haube, und dann leben die aber wirklich. Geschichten, wo etwas anders ist, als man zuerst glaubt, sind die besten. Wenn die Bommels sprudelnde Brauselimonade trinken, können sie fliegen. Aber das dürfen nur die Bommel-Eltern, die einen Führerschein haben.
Dagmar Geisler: Die Bommels brausen los. Ravensburger Buchverlag, ab 4 Jahre. (antiquarisch erhältlich)
Buchtipps:
Erschienen in „Welt der Frau“ 03/17