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03/24

Kerstin & ihre flüsternden Pferde

Kerstin & ihre flüsternden Pferde

Kerstin Brein aus Oberösterreich gehört zu den wenigen Frauen in Europa, die die Kunst der Freiarbeit beherrschen – mit bis zu 13 Pferden gleichzeitig! Stricke und Kandaren braucht sie nicht. Ihre Pferde folgen ihr freiwillig.

Stroheim im Hausruckviertel. Auf der Weide neben dem Hof mit der modernen Reithalle steht das Gras kniehoch. Darin versteckt liegt Kerstin Brein (36). Ihre Arme hat sie im Nacken verschränkt, ihre Augen sind geschlossen. Doch sie träumt nicht. Vielmehr erinnert sie sich an ihre Reise ins saudi-arabische Dschidda im vergangenen Juli und die neugierigen Blicke ihrer Pferde, die für die dreiwöchige Show im Wüstenstaat sogar erstmals ein Frachtflugzeug bestiegen haben.

Ein lautes Wiehern reißt Brein ins Hier und Jetzt. Sie erhebt sich aus der Wiese. Die zwei Junghengste, die soeben noch Rangkämpfe ausgetragen haben, beenden ihr Gezanke. Und auch ihre zehn Showpferde, mit denen Brein seit zwölf Jahren auf internationalen Revuen auftritt, hören zu grasen auf und recken die Köpfe. „Chico, Querido, Xenos, Bentley, Fiona, Cojote, Cameron, Hollywood, Edi und Doso“, ruft Brein, und schon galoppieren die Warm- und Vollblüter auf sie zu, positionieren sich um ihre 1,61 Meter kleine Trainerin und grummeln zur Begrüßung. Auch Brein sagt Hallo – in der Sprache der Pferde, das heißt, sie streckt jedem ihrer Schützlinge die Hand entgegen, damit sie daran schnuppern können. Denn auch Pferde beschnuppern sich, wenn sie einander begegnen.

WEDER HALFTER NOCH STRICKE
Die Tiere verstehen Breins Geste sofort. Ihre Augen blitzen, speziell die des Schimmels Querido. „Er genießt es total, im Rampenlicht zu stehen. Wenn er bei Shows auf mein Kommando steigt und auf der Hinterhand ein paar Schritte macht, kommt sein ganzer Stolz zum Ausdruck. Aber auch beim Hinsetzen und Verbeugen blickt er so lange majestätisch um sich, bis ihn aus jedem Winkel der Arena Jubelrufe erreichen“, lacht die Pferdetrainerin. Dass ihre vierbeinigen Artisten und sie über die Grenzen Europas hinaus gefragt sind, liegt nicht nur an den Kunststücken, mit denen sie das Publikum begeistern, sondern auch an ihrem einträchtigen Zusammenspiel. Brein ist nämlich Spezialistin für „Freiheitsdressur“ und verwendet bei den Choreografien weder Sättel noch Trensen, Halfter oder Stricke. Auch ihre Stimme setzt sie nur punktuell ein. Bloß eine Gerte, die ihr als „verlängerter Arm“ dient, hilft ihr beim Dirigieren.

Da stellt sich die Frage, wie sie mit den vielen Pferden kommuniziert. Das lärmempfindliche Pony Xenos bekommt vor Auftritten wegen der lauten Musik sogar stets Ohrstöpsel verpasst. Wie kann es dann ihre Anweisungen verstehen? Sind Pferde Lippenleser? „Mehr noch!“, sagt Brein. „Sie lesen meine Körpersprache und ich ihre.“ Statt langwierig zu erklären, demonstriert sie es einfach, denn Pferde reagieren auf „klare, leicht verständliche Instruktionen“. Ruhig stellt sie sich vor ihre zehn Kameraden. Während die Wallache ihre Augen konzentriert auf Brein richten, rubbelt Stute Fiona ihre Nüstern noch seelenruhig am rechten Vorderbein. Brein nimmt diese Regung sofort wahr. Doch statt Fiona zu rügen, bleibt sie gelassen und wartet, bis diese so weit ist.

ACHTSAMES MITEINANDER
„Mit Drill geht bei Pferden gar nichts. Sie sind hochsensible Wesen mit einer eigenen Persönlichkeit. Über ihre Blicke und Bewegungen drücken sie aus, was sie empfinden. Es sind also die Pferde, die sozusagen ‚flüstern‘, nicht wir Menschen. Nur wenn ich auf dieses leise Flüstern reagiere und ihre Bedürfnisse achte, spüren sie, dass ich sie sehe und höre und steigen in den Dialog ein“, erklärt Brein. In jungen Jahren habe sie den Pferden noch ihren Willen aufzwingen wollen, weil dies in vielen Reitställen so gelehrt werde. Doch schon damals habe sie die alte Macht-und-Unterwerfung-Methode nicht übers Herz gebracht und beschlossen, ihrem „Team“ auf andere Weise zu begegnen.

Inzwischen ist auch Fiona bereit und wartet gespannt auf Breins Signal. Diese macht sich nun klein, streckt ihre Arme einladend nach vorne aus und geht ein paar Schritte zurück. Prompt folgen ihr die Pferde, denn sie haben begriffen, dass Brein sie näher bei sich haben möchte. Als Nächstes schickt Brein sie auf Distanz. Dafür macht sie sich groß. Auch diesen Code verstehen die Pferde und weichen zurück. „Energie und eine authentische Körpersprache sind entscheidend“, sagt Brein. Freiarbeit gleiche einem partnerschaftlichen Tanz, bei dem sich „die Wahrheit zwischen Pferd und Mensch“ offenbare. Ein harmonisches Miteinander habe nichts mit Hexerei oder einer mystischen Verbindung zu tun, umso mehr aber mit Vertrauen.

DIE TRICKS VON KOMMISSAR REX
Weil Pferde Fluchttiere sind und das Weite suchen, wenn sie sich fürchten, versucht Brein stets, „ein sicherer Ort“ für sie zu sein und ihnen fair und positiv gestimmt zu begegnen. Das erfordert viel Selbstdisziplin und eine neutrale innere Haltung. Emotionen wie Wut, Frust oder Ärger sind fehl am Platz: „Nur wenn Pferde sich geborgen fühlen, sind sie aufnahmefähig und folgen einem aus freien Stücken.“ Genauso wichtig sei aber auch Respekt. Habe ein Pferd vor seinem Menschen keine Achtung, werde es ihn nie als Führer akzeptieren und ihn bei jeder Gelegenheit ignorieren. Denn Pferde bräuchten eine Rangordnung und ein starkes Leittier, das Halt gebe. „Ihre Augen sind der Spiegel ihrer Seele, ihrer Gefühle. Wenn ich mit meiner Herde eine Einheit bilde, scheint nichts Trennendes mehr zwischen uns zu existieren“, sagt Brein. Dann neigt sie ihren Kopf zur Seite, als Zeichen für „Lasst uns gehen!“, und lotst ihre Herde zur Tränke im Stall.

Ihre Affinität zu Pferden entdeckte sie bereits als Fünfjährige. Ihre Mutter Elisabeth war eine spätberufene Reiterin und hatte Brein und deren Schwester Astrid oft mit in die Reithalle genommen. Brein stand dann an der Bande und sah begeistert zu. Mit sechs Jahren bekam sie Reitunterricht, mit neun ihr erstes Pony. „Domino war nur 110 Zentimeter groß, aber eine harte Nuss. Hatte er beim Reiten oder Longieren keine Lust mehr, legte er sich hin und war nicht mehr zu bewegen“, erinnert sie sich. Fast sei sie an seinem trotzigen Verhalten verzweifelt. Doch eines Tages, als er sich wieder demonstrativ in einen Strohhaufen setzte, begriff sie, dass sie sich einen anderen Weg überlegen musste, um ihn für die Mitarbeit zu gewinnen. Da fielen ihr die Tricks ein, die sie sich aus der Fernsehserie „Kommissar Rex“ schon für ihre Hündin abgeschaut hatte. „Spontan ließ ich mich auf Dominos Spiel ein, zog ihn hoch und sagte: ,Ab jetzt machen wir diese Zirkusnummer absichtlich!‘ Dann tippte ich mit einem Stick so lange sein Vorderbeinchen an, bis er sich niederlegte. Es funktionierte! Bald beherrschte mein Vifzack noch andere Lektionen.“

„Meine 22 Pferde und ich sind wie eine Familie. Wir gehören zueinander, aber sie gehören mir nicht.“
Kerstin Brein

EIN TRAUM WIRD WAHR
Während die Pferde im Stall fressen und anschließend dösen, erzählt Brein von ihren fünf ersten eigenen Pferden, dem Garten ihrer Familie, der kurzerhand zur Koppel umfunktioniert wurde, und dem Bauernhof, den sie später anmieteten. Nach der Scheidung ihrer Eltern seien ihre Schwester und sie bei ihrem Vater geblieben. So habe sie früh gelernt, „anzupacken“. Wie auf Zuruf schnappt sie sich die Heugabel, befüllt die Boxen mit ­frischem Stroh und erzählt nebenher von früher. Vom ­Connemara-Wallach Milford Fergus, mit dem sie auf Turnieren brillierte. Vom Gestüt, auf dem sie anderen Kindern nach der Schule Reitunterricht gab. Und von ihrem Mädchentraum, nach der HBLA-Matura Hotelrezeptionistin zu werden, um sich mit dem verdienten Geld einen eigenen Reitstall leisten zu können. Doch dann, sagt sie, sei alles noch viel besser gekommen: „2003 half ich auf der Welser Pferdemesse aus und traf dort Lorenzo, der mit seiner waghalsigen Stehnummer auf dem ­Rücken galoppierender Pferde als bester Show­reiter der Welt gilt. Da ich nach der Matura ins Ausland wollte, absolvierte ich ein Praktikum bei ihm in seiner Heimat, der südfranzösischen Camargue. Mein Aufenthalt in Saintes-Maries-de-la-Mer, dem Dorf, in dem Lorenzo lebt, hinterließ einen bleibenden Eindruck, denn die Leute dort reiten und voltigieren ohne Sattel, probieren vieles aus und führen dann ihre Attraktionen bei traditionellen Pferde­festen vor. Von ihnen lernte ich, meiner Fantasie und Kreativität noch mehr Raum zu geben.“


Auch bei der Pferde­show „Apassionata“ waren Brein und ihre Pferde dabei.
Im Herbst ist eine weitere Show in ­Saudi-Arabien geplant.

SPIELEND ZUM ERFOLG
Die Liebe zu Lorenzo bewog Brein dazu, ihn bei seinen Shows zu begleiten. Gemeinsam mit ­Lorenzo bezog sie einen Hof im Mühlviertel und tat einen Winter lang nichts anders, als mit ihrem Pony Chico an akrobatischen Übungen zu tüfteln. Als Lorenzo sah, wie leicht ihr das von der Hand ging, schenkte er ihr den weißen Pablo und nahm sie mit zu einer Pferdeshow nach Avignon. Schon Breins erster Auftritt war ein Erfolg. Prompt folgte eine Tournee durch Frankreich, Belgien, Holland, Deutschland, Spanien und Portugal. Doch dann verübte ein Neider von Lorenzo einen Giftanschlag auf die Pferde, bei dem auch Pony Pablo qualvoll verendete.

„Dieser Verlust riss mir den Boden unter den Füßen weg. Monatelang war ich nicht in der Lage zu trainieren. Erst später, als mich eine Stimme in mir zum Weitermachen motivierte, setzte ich meine Arbeit fort“, sagt sie. Seit der Trennung von Lorenzo 2011 widmet sie sich hier in Strohheim noch intensiver ihrer Passion. Ihr Lebensgefährte Thomas Arthofer, der auch Pferdetrainer ist und nur fünf Minuten von ihr entfernt wohnt, unterstützt sie dabei. Ist sie mit den Pferden auf Tournee, kümmert er sich um die gemeinsame Tochter Hannah (4).

NUR EHRLICHE BEZIEHUNGEN
Voller Freude marschiert Kerstin Brein nun mit ihren Pferden in die Reithalle zum Üben. Ob sie die Arbeit mit ihnen verändert? „Und wie! Durch sie lerne ich, zufrieden zu sein, nicht mehr zu wollen, als mein Gegenüber geben kann. Sie tragen dazu bei, dass ich authentisch lebe und mir nichts mehr aus Äußerlichkeiten mache. Pferden ist egal, wie du aussiehst. Für sie zählt nur dein Charakter. Bist du ihnen gegenüber korrekt, werden sie dich verehren. Bist du unfair, werden sie gehen, wenn sie dich sehen. Diese Aufrichtigkeit schätze ich auch bei Menschen, auch wenn es von dieser Sorte nicht viele gibt. Deshalb vermeide ich Kontakte, wenn ich das Gefühl habe, dass jemand nicht ehrlich ist. Denn die Pferde haben mich gelehrt, nur noch ehrliche Beziehungen zu leben.“

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  • Veröffentlicht: 18.09.2019
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