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03/24

Keine Selbstverständlichkeit

Keine Selbstverständlichkeit

Es war ein Abend, der wohl noch länger nachwirken wird und an dessen Ende sich alle einig waren: Was sich heute selbstverständlich anfühlt, war und ist es nicht. 100 Jahre Frauenwahlrecht, aktiv und passiv, sind 100 Jahre weiblicher Mitbestimmung. Damit das auch so bleibt, braucht es Engagement, Mut und Veranstaltungen wie diese.

Zum zweiten Teil der Veranstaltungsreihe zu „100 Jahre Frauenwahlrecht“, der von der katholischen Frauenbewegung (kfb), dem Frauenreferat NÖ, der NÖ Versicherung und der Welt der Frauen gemeinsam ins Leben gerufen wurde, kamen über 200 Besucherinnen und einige Besucher im niederösterreichischen Neulengbach zusammen. Unter dem heimeligen Gewölbe des Lengbacher Saales lauschten sie gebannt den Frauen, die auf dem Podium ihre Geschichten erzählten. Moderiert von „Welt der Frauen“ – Chefredakteurin Christine Haiden erzählten so Anna Rosenberger, Vorsitzende der kfb der Diözese St. Pölten und Elisabeth Brückler von der Niederösterreichischen Versicherung, wie wichtig es ist, Frauen zu mehr Engagement zu ermutigen – politisch oder unpolitisch, ehrenamtlich oder hauptberuflich, im Verein oder der Gemeinde. Maria Rigler, Stadträtin in Neulengbach, berichtete davon, dass jedes Engagement sich lohnt. „Die Ergebnisse des eigenen Wirkens zu sehen ist beflügelnd!“

Eine, die sich für volles Engagement entschieden hat, ist Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister Sie berichtete von ihrer Entscheidung für ein politisches Amt, die nach wie vor wenige Frauen für sich treffen. „Auch wenn wir in Niederösterreich statistisch besser dastehen als andere Bundeslänger“, sagte die Landesrätin, „ist ein Anteil von 12 Prozent Bürgermeisterinnen immer noch wenig.“ Sie ortete als Gründe dafür nach wie vor die Frage der Vereinbarkeit und das schlechte Gewissen, das viele Frauen ihrer Familie gegenüber haben. Und: den Perfektionismus. „Wir müssen nicht immer perfekt sein, sondern einfach tun“, sagte Christiane Teschl-Hofmeister, selbst Mutter zweier kleiner Kinder. „Und es kann auch einmal schiefgehen.“

MUT FÜR DEN EIGENEN WEG
Diese Einstellung vermittelt sie auch ihrem Mentee, Laura Strobl, die im Rahmen des Politik-Mentoring-Programmes des Landes NÖ der Landesrätin über die Schulter schauen darf. „Ich habe in den letzten Monaten viel gelernt“, sagte die junge Niederösterreicherin, die neben einer Führungsposition bei einem großen Lebensmittelkonzern ihre ersten politischen Schritte wagt. „Vor allem, den Mut zu haben, selbstbewusst den eigenen Weg zu gehen, auch wenn man das Gefühl hat, gegen eine gläserne Decke zu stoßen. Aber auch, dass ich mich nicht für Politik oder Familie entscheiden muss, sondern beides haben kann. Und, dass man sich engagieren soll, aktiv einbringen, und nicht Jammern.“

Eine, die vor Engagement nur so strotzt, ist Irene Hartberger-Neumann, Präsidentin der NÖ Bäuerinnen, einem Verein, dem 40.000 Frauen angehören. „Ich stamme selbst aus einer traditionellen Bauernfamilie und habe in eine Bauernfamilie eingeheiratet“, erzählte die Landesbäuerin. Ein Umfeld, in dem es für Frauen oft schwieriger ist, sich zu engagieren und ihre Ziele klar und deutlich zu machen. „Ich bin durch Türen nach kurzem Überlegen immer durchgegangen. Denn man wächst mit der Aufgabe. Und das Umfeld wächst mit.“

An ihren Aufgaben gewachsen ist auch Agnes Schierhuber, die ihren Weg über die Bauernvertretung in die Politik gegangen ist und schließlich als Parlamentarierin in Brüssel Karriere machte. „Dabei habe ich nur die Landwirtschaftsschule abgeschlossen“, sagte sie. „Mein Mann hat mich bestärkt, er meinte: du wirst nur einmal gefragt. Probiere es aus und zeige was du kannst. Draus sind 15 Jahre in Brüssel geworden.“ Eine Pionierin, die nicht müde wird, sich für die EU einzusetzen. „Europa bringt uns seit über 70 Jahren Frieden. Und ohne Frieden ist alles nichts. Wir müssen uns unser Europa, das in der Unterschiedlichkeit lebt, erhalten!“

DAS „UNPOLITISCHE“ GESCHLECHT
Von Pionierinnen berichtete auch Gabriella Hauch, Historikerin und Professorin für Frauen- und Geschlechtergeschichte. Sie erzählte von den ersten acht weiblichen Nationalratsabgeordneten, Frauen, über die wir nur sehr wenig wissen, darunter Therese Schlesinger, Maria Tusch, Hildegard Burjan und Adelheid Popp, Frauen, die völlig neue Wege beschritten – allein schon, weil Frauen bis dahin als das „unpolitische Geschlecht“ gegolten hatten. „Feiern wir die 100 Jahre Frauenwahlrecht“, sagte Gabrielle Hauch, „aber vergessen wir nicht, dass die Parlamentarische Demokratie nicht automatisch Gerechtigkeit garantiert. Sie öffnet nur den Raum, in dem die Macht- und Geschlechterverhältnisse immer wieder neu ausverhandelt werden müssen.“

Für die musikalische Umrahmung sorgte Sängerin Tini Kainrath. Sie fand genau die richtigen Lieder, um die Stimmung des Abends noch zu vertiefen. Sie sang von starken Frauen, sang Texte aus der Feder von starken Frauen wie Carole King, Dolly Parton – und ihrer eigenen. So endete ein Abend, der stimmungsvoll war, zum Nachdenken anregte und spürbar machte, wie wichtig es ist, sich auf bereits Erreichtes zu besinnen und darauf, dass Geschlechtergerechtigkeit keinesfalls selbstverständlich ist.

Nachbericht der Veranstaltung „100 Jahre Frauenwahlrecht“ am 16. Jänner 2019 in Neulengbach

v.l.n.r.: Christiane Feigl (WdF), Christine Haiden (WdF), Gabriella Hauch (Uni Wien), Agnes Schierhuber, StR Maria Rigler, LR Christiane Teschl-Hofmeister, Laura Strobl, Tini Kainrath, Elisabeth Brückler (NÖ Vers.), Irene Hartberg-Neumann, Anna Rosenberg (kfb)

Anna Rosenberger

Das Pionierin-Sein von dem heute Abend gesprochen wurde, erlebe ich gerade in der katholischen Kirche. Da sind Frauen nach wie vor Mangelware in den obersten Ebenen. Heute habe ich so viel Motivation und Schwung erlebt, dass ich gestärkt in diese Thematik gehe.

Elisabeth Brückl

Die Rechte, die wir Frauen heute haben, sind nicht selbstverständlich. Es hat Frauen gegeben, die für uns gekämpft haben und wir haben allen Grund dazu, dankbar zu sein. Es ist auch eine gewisse Warnung dabei: setzen wir uns dafür ein, dass es so bleibt.

Agnes Schierhuber

Es geht um die Zukunft. Man muss wissen, woher man kommt, damit man für die Zukunft agieren kann. Mir ist wichtig, dass der Jungend – Männern und Frauen – bewusst wird, dass alles, was wir haben, erarbeitet, erkämpft und erreicht wurde und nichts selbstverständlich ist und immer wieder darum gekämpft werden muss.

Maria Rigler

Vor 100 Jahren haben Frauen das Wahlrecht bekommen, bis in die 1970er Jahre hat es gedauert, dass drei Frauen mehr im Nationalrat waren als 1919. Eine Veranstaltung wie diese schafft Bewusstsein und regt zum Nachdenken darüber an, was unsere Urgroßmütter erlebt haben. Die haben gekämpft, also können wir das heute auch.

Laura Strobl

Sich für Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte einzusetzen bedeutet nicht, dominant zu sein, es heißt nicht, dass wir gegen die Männer arbeiten sollen, sondern miteinander. Tatsächliche Gleichstellung können wir nur gemeinsam schaffen.

Christiane Teschl-Hofmeister

Diese Veranstaltungsreihe liegt mir am und im Herzen. Heuer feiern wir 100 Jahre Frauenwahlrecht und ich sehe und höre die wunderbaren Frauen hier und denke mir: Vorbilder können nicht allein historische Figuren sein, sondern auch lebendig. Ich freu mich schon aufs nächste Mal.

Irene Hartberg-Neumann

Ich finde, dass auf Veranstaltungen, wo explizit die Mehrheit an Frauen zu Gast ist, eine ganz eigene Stimmung und Dynamik herrscht. Man spürt förmlich die Motivation, an seinen Themen dran zu bleiben und weiterzumachen und sich weiterhin zu engagieren.

Tini Kainrath

Ab und zu schaut man auf das, was fehlt und vergisst, was wir schon erreicht haben. In Wirklichkeit sind wir gut unterwegs. Vor 100 Jahren waren wir quasi Leibeigene und man darf nicht vergessen: Das ist ja keine Zeit, 100 Jahre. Wir müssen uns das erhalten, was wir uns erarbeitet haben. Das ist gar nicht so einfach. Alles, was so selbstverständlich wirkt, kann von einen Tag auf den anderen mühsam werden.

Gabriella Hauch

Wir sind in einer historischen Phase, in der wir an einem Scheideweg zwischen Demokratie und illiberaler Demokratie stehen. Und illiberale Demokratie geht auf Kosten der Frauen und der Frauenrechte. Siehe Ungarn, wo die Genderstudies verboten worden sind. Geschlechtergerechtigkeit ist nicht automatisch und selbstverständlich, man dafür eintreten. Und zwar nicht nur, wenn man Lob dafür bekommt, sondern auch, wenn ein kalter Wind entgegenweht.

Sigrid Thaler

Ich finde es großartig, dass man sich immer wieder ein Beispiel nehmen kann an so mutigen und starken Frauen wie jene, die heute gezeigt haben, was man bewegen kann, wenn man daran glaubt und sich mit Mut und Stärke dafür einsetzt. Wir Frauen haben die Tendenz, diesen gläsernen Plafond hinzunehmen und uns davon abschrecken zu lassen.

Marlies Kleemann

Ich bin schon in der Generation aufgewachsen, wo es einem selbstverständlich erscheint, alle Chancen zur Bildung zu haben und auch die Möglichkeit, das eigene Leben selbst zu gestalten. Aber das ist es nicht. Das wurde mit heute wieder bewusst. Diese Bewusstseinsbildung und das Erinnern finde ich ganz, ganz wichtig.

Christa Sehnal

Es war ein sehr schöner Abend, es ist nie fad geworden und war so verständlich, von der Sprache her sehr angenehm. Ich lebe am Land und mir fällt manchmal auf, dass die Frauen übereinander herziehen und dass viel getratscht wird. Nach diesem Abend nehme ich mir vor, öfter zu sagen: Was ist mir der Solidarität?

Reinhard Komosny

Ich kann nur „Ja“ sagen zu allem, was heute Abend gesagt wurde. Nur gleichberechtigt können wir zusammenleben. Die Frauen haben die Komponente, die so wichtig ist, sie sind auf das Gemeinsame, das Verbindende aus. Wir Männer sind mehr auf Erfolge und Ziele fixiert. Und nur gemeinsam können wir es schaffen.

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  • Veröffentlicht: 24.01.2019
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