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09/24

Katie Sandwina: Österreichs vergessener Zirkusstar

Katie Sandwina: Österreichs vergessener Zirkusstar

1884 kommt in einem Zirkuswagen nahe Wien ein Mädchen namens Katharina Brumbach zur Welt. Unter dem Künstlernamen Katie Sandwina wird sie in den USA eine atemberaubende Zirkuskarriere hinlegen. Sie besiegt den erfolgreichsten Gewichtsheber ihrer Zeit, jongliert bis zu drei Männer auf einmal und wird als „Lady Hercules“ weltweit gefeiert. Die Geschichte der „stärksten Frau der Welt“.

An diesem Sommerabend im Jahr 1900 ist halb Zwickau in Bewegung. Der Zirkus ist in der Stadt, und jeder, der kann, drängt heute zur Abendvorstellung in das gestreifte Zelt. Der Zirkusdirektor, ein riesenhafter Mann namens Philipp Brumbach, hat nämlich eine besondere Attraktion angekündigt. Wer es schafft, seine sechzehnjährige Tochter Katharina im Ringen zu besiegen, gewinnt hundert Mark. Viele versuchen ihr Glück, doch Katharina, ein großes, kräftiges Mädchen mit dunklem Haar, besiegt sie alle. Unter den Zusehern ist an diesem Abend auch Max Heymann, ein junger Akrobat. Katharina fasziniert ihn. „Na, traut sich noch jemand?“, dröhnt der Zirkusdirektor durch das Zelt. „Ich!“, sagt Max Heymann. Er steigt hinunter in die Manege und stellt sich Katharina gegenüber auf. Noch bevor er blinzeln kann, liegt er schon rücklings auf dem Boden. Während er nach Luft ringt, sieht er über sich Katharinas zufrieden lächelndes Gesicht. „Entschuldigung“, sagt er, „willst du mich heiraten?“

Katharina Brumbach wird im Frühsommer 1884 in einem Zirkuswagen nahe Wien geboren. Ihre Eltern, Johanna und Philipp, touren bereits in zweiter Generation mit dem Zirkus Brumbach durch Europa. Die kleine Katharina und ihre vierzehn Geschwister erlernen schon in frühester Kindheit verschiedene Kunststücke. Doch bekannt sind die Brumbachs vor allem für ihre beachtliche Kraft. Schon Vater und Mutter sind von mächtiger Statur, und auch Katharina und ihre Schwestern sind bald nicht nur größer, sondern auch stärker als die meisten Männer. Als sie mit sechzehn Jahren den jungen Akrobaten Max Heymann besiegt, macht er ihr prompt einen Heiratsantrag. Und Katharina sagt Ja. Max wird nicht nur die Liebe ihres Lebens, sondern auch ihr Partner in der Manege.

Doch das junge Paar hat es schwer, denn Katharinas Eltern sind von ihrer Beziehung nicht gerade begeistert. Heimlich heiraten die beiden und setzen sich nach Norwegen ab. Dort werden sie als Ausreißer von der Polizei festgehalten. Doch ihre Ehe ist rechtsgültig, und als Katharina und Max zurückkehren, akzeptiert auch ihr Vater die Verbindung. Von nun an treten die beiden gemeinsam auf. Katharina stemmt ihren achtzig Kilo schweren Ehemann mit einer Hand in die Höhe und wirbelt ihn über ihrem Kopf durch die Luft. Immer wilder und ausgefallener werden ihre Kunststücke. Bei einem Auftritt in Paris entdeckt sie schließlich der berühmte amerikanische Zirkusunternehmer John Ringling.

Ringling möchte, dass Katharina im „Ringling Brothers Circus“ auftritt. Und sie ergreift die Chance: Gemeinsam mit ihrem Vater besteigt sie einen Dampfer und kommt am 24. Oktober 1901 in New York an. Dort wird sie innerhalb von kürzester Zeit zum Star. Denn Katharina stellt die damaligen Vorstellungen von einer „perfekten Frau“ völlig auf den Kopf: Sie wirbelt ihren eigenen Ehemann spielerisch durch die Luft, ist unfassbar stark und gleichzeitig sehr hübsch. Die „herkuleshafte Venus“ tritt stets in seidenen Trikots und hochhackigen Stiefeln auf. „Schönheit und Kraft“, künden darum die Zirkusplakate, „die stärkste Frau der Welt mit der perfekten Figur!“ Rund um sie entsteht ein regelrechter Kult. Um ihre Kraft zu beweisen, wird sie aufgefordert, öffentlich gegen den berühmten Gewichtheber Eugen Sandow anzutreten. Und Katharina stemmt ein Gewicht von 136 Kilo über ihren Kopf, während Sandow daran scheitert. Von da an nennt sie sich Katie Sandwina – als weibliche Form von Sandow.

Als „Lady Hercules“ ist sie ab da jahrzehntelang ein Fixstern in der US-amerikanischen Zirkuswelt. Katie trägt ein Karussell auf den Schultern, auf dem sich mehrere Menschen um sie drehen, stemmt eine Brücke, über die Pferde und Reiter traben, und jongliert nicht nur ihren Max, sondern bis zu drei Männer gleichzeitig. Von Zeit zu Zeit legt sie sich auch auf ein Nagelbrett und stellt einen schweren Amboss auf ihren Bauch, auf den mehrere Männer mit Hämmern einschlagen. Auch als sie schwanger wird, tritt sie weiterhin auf. 1909 kommt ihr erster Sohn Theodore, genannt „Teddy“, zur Welt. Ein Familienporträt aus dieser Zeit zeigt Katie, die ihren Ehemann auf dem Arm trägt, während dieser wiederum den kleinen Teddy hält. Neun Jahre später wird der zweite Sohn des Paares, Alfred, geboren.

Katie bleibt dem Zirkus treu, bis sie beinahe sechzig Jahre alt ist. Dann eröffnet sie mit ihrem Mann und den beiden Söhnen ein Lokal im New Yorker Stadtteil Queens. Ein Schild über der Tür verkündet, dass die Besitzerin die stärkste Frau der Welt ist. Um ihre Gäste zu unterhalten, führt Katie ab und zu noch kleinere Kunststücke auf. Raufereien, so heißt es, habe es in ihrem Lokal nie gegeben, denn mit Katie wollte sich niemand anlegen. Im Winter 1952 verstirbt Katie mit 67 Jahren an Krebs. Ihr Sohn Teddy macht ihr alle Ehre: Unter ihrem Künstlernamen Sandwina wird er ein erfolgreicher Schwergewichtsboxer, wie es sich für den Sohn der „stärksten Frau der Welt“ gehört.

Ricarda OpisRicarda Opis

wurde 1996 in Graz geboren und studierte ebendort Journalismus und Public Relations (PR). Sie erzählt am liebsten die Geschichten von Frauen und Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Für diese Serie verbindet sie ihre beiden größten Leidenschaften, indem sie die Geschichten großer Frauen nicht nur erzählt, sondern auch bebildert. Wenn sie nicht gerade schreibt oder zeichnet, begeistert sie sich für alles, was sonst noch kreativ ist, und die Geschichte, Kulturen und Politik des Nahen Ostens.

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  • Veröffentlicht: 14.07.2020
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