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11/12/24

Karl Hellmann sucht das Glück

Karl Hellmann sucht das Glück

Wer hat noch nicht davon gelesen: Das kleine Königreich Bhutan setzt auf das Bruttonationalglück und könnte doch damit Vorbild für die sogenannte westliche Welt werden. Ausgerechnet Karl Hellmann, linkisch, zurückgezogen, ständig im inneren Monolog hat sich aufgemacht, Menschen nach ihrem Glück zu fragen. Er, der pensionierte Lehrer, will Leute – die er wirklich sorgfältig als Sample ermittelt hat – treffen, sie fragen, was sie glücklich macht, welche Rituale sie haben, welche Visionen. Lebenszufriedenheit, ja, das käme in etwa hin, daher bricht er auf, nimmt sich ein Zimmer und startet sein Projekt.

Doch so schnell geht es im Roman nicht. Da fährt Karl weg, im inneren Monolog mit sich und mit Margit, die so schlecht mit Zimmerpflanzen kann und sehr spitzfindig im Begründen ist. Überhaupt ist Margit kompliziert, sie will jetzt sicher wissen, warum Karl einfach losgefahren ist. Der Protagonist testet sein Aufnahmegerät, ja, das funktioniert. „Aufbruch heute, zwanzigster Oktober, elf Uhr zehn. Der Ort wurde durch Zufallsprinzip ermittelt.“ Die Wirtin im Hotel Post erscheint ihm als „schnelle Frau“, die hier auf beinahe verlorenem Posten die Heizung abdreht und fürs Sparen steht und mit keinem Wort verrät, dass Hellmann derzeit ihr einziges Gast ist. Aber vielleicht kommt der Schnee und mit dem Schnee die Gäste, aber auch die kriegen keine wohlig-warmen Zimmer. Wofür auch!

Mit Bedacht kauft er sich eine Wurstsemmel, der Verkäufer trägt den Schriftzug „Kapitän“ auf seiner Schürze, ob das eine Vorstufe des Glücks ist? Dieser Verkäufer mag seine Arbeit, er tratscht mit den KundInnen und legt ihnen einen Kalender zur Bestellung dazu, eine kleine Geste, ein kleines Geschenk. Hier werden Termine noch in diese Kalender eingetragen, die wir alle von unseren Großmüttern kennen, wenn das nicht eine Spur Gemeinwohl ist? So streng die Wirtin beim Heizen ist, so gütig ist sie zu Annemarie, dem Hund, den ein Gast namens Annemarie einfach im Hotel vergessen hat. Szene reiht sich hier an Szene, alles mit Sorgfalt gestaltet und inszeniert: Hier hat es niemand eilig, hier will niemand sich selbst optimieren, hier werden alte Frauen im Rollstuhl schon einmal am Balkon vergessen. Nein, es ist nur eine und die ist an sich gut umsorgt: Nach diesem Roman ist man für immer für Selbsthilfebücher und Ratgeber versaut, man hat Lust darauf, eine Wurstsemmel beim Kapitän zu kaufen, den Leuten beim Reden zuzuhören und eine Runde spazieren zu gehen. Karl Hellmanns „Ich“ setzt aktiv in seinen Selbstgesprächen mit Margit ein, manchmal führt er den Dialog auch nur um den verlegten Garagenöffner.

Während Karl die letzten Butterreste auf das dritte Brot streicht, wartet er darauf, dass Margits Theorie der unerträglichen Stille greift. Gibt jemand wenig Auskunft, kann es hilfreich sein, in Stille abzuwarten, dass das Gegenüber in einen Redeschwall gerät. Aber die Wirtin schweigt. Sie liest weiter Zeitung und schaut nur kurz aus dem Fenster, als draußen ein Auto vorbeifährt. Die Fenster der Gaststube sind niedrig, man hat einen guten Blick. Jetzt, denkt Karl, als keine Butter mehr übrig ist, er räuspert sich, er sagt: Ich hätte eine Frage an Sie, beziehungsweise wären es mehrere, wenn Sie gestatten. (S. 26)

Hellmann kehrt nach einigen Interviews zurück nach Hause in den Jupiterweg sieben: Eigentlich müsste ihn Margit doch gehört haben? Er erkennt: Wir dürfen nicht aufhören, Fragen zu stellen und wir müssen viele sein.

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: bizarre Charaktere, Lust an Einsamkeit, Lust auf Selbstbestimmung, Lust, sofort in düstere Orte und noch düstere Hotels, Gasthäuser/Gasthöfe zu ziehen, Freude daran, dass es diese Orte noch gibt, für die niemand wirbt, Ehrlichkeit, Redlichkeit, Irrsinn.

 

Die Autorin, 1984 in Linz geboren, lebt seit 2002 in Wien; 2012 erscheint ihr Roman „Der Winter tut den Fischen gut“, für den sie u. a. den Preis der Leipziger Buchmesse erhält.

 

 

Anna Weidenholzer:

Weshalb die Herren Seesterne tragen.

Roman.

Berlin: Matthes und Weitz Berlin 2016.

190 Seiten.

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  • Veröffentlicht: 20.02.2017
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