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04-05/24

Jane Goodall: Die sanfte Rebellin wird 90

Jane Goodall: Die sanfte Rebellin wird 90
Foto: The Jane Goodall Institute

Eine innere Riesin, eine stille Revolutionärin, eine Frau, die niemanden, der ihr je begegnet ist, kalt lässt, wird 90 Jahre alt.

Wohin Jane Goodall reist – und das tut sie auch mit knapp 90 Jahren noch an rund 300 Tagen im Jahr –, ist einer immer dabei: Mr. H. Den kleinen Stoffaffen hat sie vor vielen Jahren von ihrem Freund Gary Haun geschenkt bekommen, der mit 25 Jahren sein Augenlicht verlor und daraufhin beschloss, Magier zu werden. Jane Goodall fand seine Geschichte so inspirierend, dass das kleine Stoffäffchen von nun an stets mit dabei sein sollte, als Botschafter dafür, dass man seine Träume nie aufgeben sollte – egal, wie unrealistisch sie erscheinen mögen. 

Auch die kleine Jane hatte in jungen Jahren einen vermeintlich unrealistischen Traum. Schon Ende der 1930er-Jahre träumte sie als Volksschülerin in England davon, in Afrika zu leben, wollte Tiere beobachten, so wie es in einem ihrer Lieblingsbücher „Dr. Doolittle“ beschrieben war. Ein Traum, der unerfüllbar schien, erst recht für ein Mädchen. Es war ihre Mutter Vanne, die Jane darin bestärkte, an ihren Zielen festzuhalten und niemals aufzugeben, die sagte: „Wenn du wirklich etwas erreichen willst, musst du hart dafür arbeiten, die Gelegenheiten am Schopf packen und niemals aufgeben.“

Auf nach Afrika

So hielt Jane auch in der Zeit des Zweiten Weltkrieges und während ihrer Ausbildung zur Sekretärin an ihrem Traum fest, ignorierte alle, die sagten: „Es ist zu gefährlich.“ Oder: „Wie willst du nach Afrika kommen? Es ist viel zu weit weg.“ Und erst recht jene, die meinten: „Du bist nur ein Mädchen, das ist nichts für dich.“ Stattdessen ergriff sie die erste Möglichkeit, die sich ihr bot: Eine Freundin, deren Eltern eine Farm in Kenia gekauft hatten, lud sie ein, dorthin mitzukommen. Monatelang schuftete sie als Sekretärin und Kellnerin, um das Geld für die Überfahrt zusammenzubekommen.

Foto: Vincent Calmel
„Es war einer jener Momente in Goodalls Leben, in dem sie kurzerhand eine Gelegenheit ergriff, die sich ihr bot.“

Dort angekommen lernte sie den bekannten Paläoanthropologen Louis Leakey kennen, der auf der Suche nach einer Sekretärin war. Jane Goodall nahm die Stelle an (endlich hatte sich ihr „langweiliger Sekretärinnenkurs“, wie sie in einem Interview sagte, gelohnt) und war von Menschen umgeben, die all ihre Fragen über die Fauna Afrikas beantworten konnten.

Sie erzählte Leakey, der ihr Mentor werden sollte, von ihrem Wunsch, Tiere in der Wildnis zu beobachten. Und wie es der Zufall wollte, suchte dieser nach einer Person, die nicht nur irgendwelche Tiere erforschen sollte, sondern ganz konkret unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen. Es war einer jener Momente in Goodalls Leben, in dem sie kurzerhand eine Gelegenheit ergriff, die sich ihr bot. Der Rest ist Geschichte.

„Mit ihrer unvoreingenommenen, fast kindlichen Art, sich den Tieren zu nähern, löste sie eine Revolution aus.“

Stift, Notizbuch, Fernglas

Mit nur 23 Jahren bezog sie 1957 ein Zelt am Ufer des Tanganjikasees im tansanischen Gombe-Stream-Nationalpark. Ihre Ausrüstung bestand aus Stift, Notizbuch und Fernglas. Damit und mit ihrer unbändigen Faszination für wilde Tiere machte sie sich auf, um Schimpansen zu beobachten.

„Goodall versuchte, mit den Tieren zu kommunizieren, ahmte ihre Schreie und ihr Grunzen nach, kletterte wie sie auf Bäume und erkannte ihre Rituale.“

Mit ihrer unvoreingenommenen, fast kindlichen Art, sich den Tieren zu nähern, löste sie eine Revolution aus. Nie zuvor waren Tiere auf diese Weise gesehen worden. Sie gab ihnen Namen (undenkbar!), schrieb ihnen Charaktereigenschaften und Emotionen zu (unvorstellbar!) und erkannte, dass die Menschenaffen dazu in der Lage waren, Werkzeuge zu benutzen. Goodall versuchte, mit den Tieren zu kommunizieren, ahmte ihre Schreie und ihr Grunzen nach, kletterte wie sie auf Bäume und erkannte ihre Rituale. Als sie einen verletzten Schimpansen gesundpflegte, verabschiedete er sich mit einer Umarmung, bevor er in den Wald zurückkehrte.

Von der Forscherin zur Aktivistin

Weit weg vom Urwald wurden ihre Beobachtungen von den Gelehrten als unwissenschaftlich abgetan – diese junge Frau hatte ja nicht einmal ein naturwissenschaftliches Studium absolviert! Wie konnte sie nur Tieren menschliche Züge zuschreiben! Und es stimmte: Sie hatte keinen universitären Abschluss vorzuweisen. Doch 1962, als ihre Forschungen längst bekannt geworden waren, wurde ihr eine Ausnahmegenehmigung erteilt, und sie promovierte an der Universität Cambridge zu Dr. Jane Goodall.

Mehr als 20 Jahre widmete sich Goodall der Erforschung von Schimpansen – bis sich 1986 eine neue Dimension für sie auftat. Auf einer Konferenz in Chicago berichteten ForscherInnen von der Abholzung des afrikanischen Urwaldes und der damit einhergehenden Gefährdung seiner Bewohner. Das war für sie der Anstoß, sich für den Schutz der Umwelt und des Lebensraums „ihrer“ Schimpansen einzusetzen, statt sie „nur“ zu beobachten.

„In 31 Ländern der Erde – darunter auch Österreich – arbeiten eigenständige Ableger ihrer Organisation zusammen an einem ganzheitlichen Umweltschutzprogramm.“

Schon 1977 hatte sie das „Jane Goodall Institut“ gegründet. Und nun beschloss sie, die Forschung ihren Mitarbeitenden zu überlassen und sich fortan weltweit als Aktivistin für Tier- und Umweltschutz einzusetzen. In 31 Ländern der Erde – darunter auch Österreich – arbeiten eigenständige Ableger ihrer Organisation zusammen an einem ganzheitlichen Umweltschutzprogramm, ganz im Sinne Goodalls. Außerdem gründete sie 1991 das Programm „Roots & Shoots“ („Wurzeln & Triebe“), das junge Menschen ermutigt, selbst aktiv zu werden und Projekte umzusetzen.

„H“ wie Happy Birthday

Das „H“ im Namen ihres Stoffäffchens steht nicht nur für den Namen ihres Freundes Gary Haun. Es steht auch für „Hoffnung“. Ein Wort, das in Goodalls Leben eine tragende Rolle spielt. Denn Hoffnung hat sie immer noch: Sie schöpft sie aus der Energie und Leidenschaft junger Menschen, aus der menschlichen Lernfähigkeit und der Belastbarkeit und der Regenerationsfähigkeit der Natur. Deshalb glaubt sie nach wie vor daran, dass wir den Planeten retten können. „Ich habe Hoffnung“, sagt sie, „und werde den Rest meines Lebens dafür kämpfen, dass wir es schaffen.“ 

Am 3. April feiert die große Jane Goodall ihren 90. Geburtstag. Wenn sie dann auf ihr bisheriges Leben zurückblickt, wird sie feststellen, dass sie es tatsächlich geschafft hat. Sie hat nicht nur bewiesen, dass ein kleines Mädchen aus England alles erreichen kann, was es möchte. Sie hat auch das Verhältnis zwischen Tier und Mensch neu definiert. Und ist darüber hinaus zu einer Ikone für Umweltschutz und Aktivismus geworden. Wir sagen: Happy Birthday, Jane Goodall! Auf viele weitere inspirierende Jahre.

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  • Veröffentlicht: 25.03.2024
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