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04-05/24

Ist Engagement vererbbar?

Ist Engagement vererbbar?

Die Welt lebt von Menschen, die mehr tun, als sie müssten. Woher kommt der Wille mitzugestalten, und was haben Eltern und Kinder dabei gemeinsam? Drei ­Beispiele aus dem echten Leben.

Ein Haus der starken Frauen

Christl Holztrattner lebt ihr Engagement in der Pfarre und der Katholischen Frauen­bewegung, ihre Tochter ­Christine in der Gemeindepolitik und ihre Tochter Magdalena in der Katholischen Sozialakademie.

„Ich habe meinen Töchtern sicher das Widerständige mitgegeben, kritisch und ehrlich zu sein – aber nie verletzend und von oben herab –, die Menschenliebe und die Überzeugung, dass wir für die Zukunft verantwortlich sind“, fasst Christl Holztrattner zusammen. Diese Haltungen haben in der weiblichen Linie der Familie Tradition. Christls Mutter stimmte beispielsweise 1938 gegen den Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland, ihre Großmutter, eine Salzburger Bäuerin, weigerte sich, an die Winterhilfe für die Wehrmacht zu spenden, lieber gäbe sie etwas für die Zwangsarbeiter beim Kraftwerk Kaprun. Einem Abtransport in das Konzentrationslager Dachau entging sie nur, weil jemand für sie eintrat und meinte, sie sei „nicht ganz gescheit“. Christl Holztrattner wurde 2002 mit dem Troll-Borostyáni-Preis des Landes Salzburg ausgezeichnet, weil sie sich gegen die Abschiebung einer kosovarischen Familie starkgemacht hatte, in der die Mutter gerade hochschwanger war. Damals hat Christl Holztrattner auch erlebt, wie die Geister sich scheiden, wie manch brave KirchgängerInnen sie nicht mehr gegrüßt und dafür andere großzügig gespendet haben.

EIN PLATZ FÜR JEDEN
„Natürlich wird Engagement vererbt“, sind sich ihre Töchter Christine und Magdalena einig. Vor allem das Vorleben sei ein starkes Moment. So hätte es in der Familie der Mutter immer ein starkes Zusammenhalten gegeben, und am Familientisch seien die kritische Diskussion und der Austausch über aktuelle Themen üblich gewesen. Zudem sei oft jemand am Tisch gesessen, der sonst kein warmes Essen gehabt hätte. Und alle erinnern sich an den „Seppi“, der über Jahre bei Familie Holztrattner eine Art privaten Hort hatte, weil er Halbwaise war und in recht prekären Verhältnissen groß werden musste.

DIE POLITIKERIN IN DER FAMILIE
Interessanterweise ist das gesellschaftspolitische Engagement in der Familie Holztrattner nicht auf die beiden Söhne übergegangen, sondern auf die Töchter. Christine, die Älteste, die beruflich im Kongressmanagement für MedizinerInnen Fuß gefasst hat, ist vor fünf Jahren in die Gemeindepolitik „gestolpert“, wie sie sagt. Als Listenführerin der Fraktion der „Grünen“ in Mattsee versucht sie konkrete Projekte umzusetzen, sei es ein weiterer Nachtdienst fürs Seniorenwohnheim, ein neues Jugendzentrum oder eine mobilitätsfreundliche Abfallwirtschaft im Ort. „Das ist manchmal sehr zäh. Aber ich sage mir: ‚Steter Tropfen höhlt den Stein‘, ich glaube an das Gute, und der Weg ist das Ziel. Wenn ich dann doch etwas erreiche, beglückt mich das.“ Als Älteste der Familie habe sie zudem früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Magdalena ist dagegen mit ihrer Berufswahl in die Fußstapfen des Vaters gestiegen, der Religionslehrer und Pastoralassistent war. Sie hat Theologie studiert und ist bald hinaus in die Welt gezogen und leitet nun die Katholische Sozialakademie Österreichs in Wien.

Die Erfahrung, wie Kirche in Bolivien und El Salvador gelebt wird, habe sie besonders geprägt. „Dort sind Menschen, die unglaublich gute Arbeit machen, dort wird der Einzelne aufgebaut und die Gemeinschaft gestärkt. Wegen dieser Menschen, die leben, was das Reich Gottes sein könnte, zahlt es sich aus, in meiner Position auch etwas zu tun.“

DER BLICK ÜBER DEN TELLERRAND
Ihr gehe es um eine Kirche, die von der Praxis ausgeht und die etwas tut, damit mehr Leben in Freiheit möglich wird. Dass die katholische Kirche ein globaler Player ist, sei dabei „cool“. Christl Holztrattner, die Mutter, hat diesen Blick auf die ganze Welt durch ihr Engagement für die „Aktion Familienfasttag“ der Katholischen Frauenbewegung bekommen. „Ein gutes Leben für alle, darum geht es.“ Sie engagiert sich außerdem seit Jahren in einer „Peru-Gruppe“, und im Vorjahr hat sie ihren Hausgarten zu einem „interkulturellen Garten“ umfunktioniert. Weil die Kinder aus dem Haus sind, brauchte sie nicht mehr die gesamte Anbaufläche für eigenes Gemüse und hat Anfragen von Frauen „aus aller Herren Länder“, ob sie ein Stück abtrete, mit einem Ja beantwortet.

ZUTRAUEN UND VORLEBEN
Die Holztrattner-Kinder wurden früh zur Selbstständigkeit erzogen. Im Haushalt mitzuhelfen, war selbstverständlich. Wer ein neues Fahrrad wollte, musste dafür seinen eigenen Verdienst aus einem Ferialjob verwenden. Schon früh lernten die Kinder, dass die Eltern ihnen etwas zutrauen. Beide Töchter erinnern sich an eine Zugfahrt nach Assisi, die sie mit der MinistrantInnengruppe unternommen haben. „Wir waren 15 und die ältesten Betreuer waren 18, und es gab noch kein Handy“, schmunzelt Magdalena.

GRENZEN ZIEHEN
Auf das Engagement ihrer beiden Töchter ist Christl Holztrattner stolz: „Wir haben eine Basis geschaffen, und sie sind willens, daraus etwas zu machen. Und sie gehen dabei auch in eine Weite, die wir noch nicht hatten.“ Eine gesunde Portion Kritik an Obrigkeiten gefallen Mutter und Töchtern: „Schwache Führungspersönlichkeiten haben es bei uns schwer.“ Sie hätten gelernt, immer zuerst den Menschen und nicht dessen Position zu sehen. Bewusst abgrenzen von der Art des mütterlichen Engagements wollen sich beide Töchter nicht. Vermutlich falle ihnen das Neinsagen etwas leichter als ihrer Mutter. Was die kontert: „Für mich ist aber auch eine Grenze, wenn ich nicht ernst genommen werde. Ich will nicht der Dodel für alle sein.“ Da ist er, der Widerstandsgeist.

„Im Engagement haben wir einfach den Reichtum des Lebens erfahren.“
Christl Holztrattner

Lesen Sie das Porträt von Johanna Tschautscher und Laura Grossmann in der Printausgabe.

Erschienen in „Welt der Frauen“ 06/2019

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  • Veröffentlicht: 01.06.2019
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