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03/24

Ist die Weltrettung weiblich?

Ist die Weltrettung weiblich?

Wenn es um das Klima, die amerikanische Präsidentschaft oder auch nur eine österreichische Übergangskanzlerin geht, scheinen die Frauen als Nothelferinnen hoch im Kurs. Eine logische Rolle?

Wer heute Greta Thunberg nicht kennt, hat die Welt nicht verstanden. Die 16-jährige Schwedin hat für die einen Kultstatus und ist für die anderen ein Feindbild. Wer sich hinstellt und beschließt, das Weltklima zu retten, gilt als prophetisch oder größenwahnsinnig. Doch Greta hat den Nerv der Zeit getroffen, vor allem den der jungen Menschen. Wann hat man zuletzt eine fast weltumspannende Jugendbewegung wie „Fridays for Future“ erlebt? Eine ähnliche Berühmtheit hat im Sommer dieses Jahres die Deutsche Carola Rackete erlangt, die Kapitänin der „Sea Watch“, jenes Schiffes, das Bootsflüchtlinge in Seenot vor der libyschen Küste aufgenommen und in Italien illegal an Land gebracht hat. Als der italienische Innenminister Salvini sie zur „nationalen Gefahr“ erklärte, spaltete sich auch in ihrem Fall die Welt in glühende VerehrerInnen und erbitterte GegnerInnen. Warum ist das so? Man könnte idealistischerweise sagen, weil diese Frauen so etwas wie das lebende Gewissen verkörpern. Die eine, Greta Thunberg, weil sie mit einfachen Worten sagt, was ohnehin jede und jeder weiß: Alles hängt ökologisch mit allem zusammen. Wenn wir daher unseren Lebensstil nicht ändern, droht alles kaputtzugehen. Die menschliche Hybris, nie genug zu haben und zu bekommen, rächt sich an sich selbst. Nur leider gibt es auf diese Erkenntnis keine einfachen Antworten, kein Rezept, den komplexen Knoten von Wohlstand, Wachstum und sozialem Frieden zu lösen. Mit Demonstrationen kann man zumindest sagen: „Denken wir doch endlich drüber nach!“ Carola Rackete führt uns eine andere Seite unseres moralischen Dilemmas vor Augen. Menschen einfach im Mittelmeer ertrinken zu lassen, geht nicht, Italien mit den Bootsflüchtlingen alleinzulassen, geht auch nicht. Genauso wenig gibt es schnelle Lösungen für die Probleme globaler wirtschaftlicher Verflechtungen und die lokalen desas­trösen Entwicklungen, die Menschen ein besseres Leben anderswo suchen lassen. Aber zumindest vergewissert sich in der Person der Kapitänin ein Teil der Menschheit der ethischen Standards, die man nicht unterschreiten möchte, im Idealfall, wohlgemerkt. In Amerika scheint mit ­Kamala Harris eine farbige Kandidatin bei den Demokraten zur Gegenspielerin von Donald Trump zu werden – wie es Nancy Pelosi schon eine im Kongress ist –, und in Österreich darf eine Frau nach dem Ibiza-Schlamassel wieder Ordnung in den Staat bringen. Sind Frauen Heilsbringerinnen der besonderen Art? Ganz sicher haben sie den Vorteil, weniger in lange etablierte Machtstrukturen integriert zu sein. Das macht sie im Fall der Krise als Außenseiterinnen glaubwürdiger. Beim Klimaschutz und den Menschenrechten mögen auch fest verankerte Geschlechterzuschreibungen eine Rolle spielen. Frauen sind als Gebärerinnen auch Lebensschützerinnen. Vermutlich haben sie es auch medial einfacher. Wer sie angreift, schießt sich, gerade wenn sie Gutes tun, selbst ins Knie. Soll man nun solche Idealbilder von Frauen ablehnen, weil sich in ihnen auch jahrtausendealte Rollenklischees spiegeln? Ich denke, man sollte vorsichtig sein und den Faktor Frau nicht überbewerten. Am Ende kommt es doch darauf an, ob sich etwas zum Besseren verändert. Greta Thunberg und ihre Bewegung werden das Klima nicht retten, aber sie können den Druck ausüben, den es braucht, damit etwas in Bewegung kommt. Carola Rackete wird keine Lösung für die globale Migration sein, aber als Symbol eines vergessenen und allzu gerne verdrängten Problems ist sie wichtig. Dass Frauen als Gegenbild zu den gegenwärtig Mächtigen auftreten können, ist dem geschuldet, dass wir noch immer in einer „men’s world“ leben. Man muss das nicht nur beklagen. Man kann es auch als Stärke sehen. Frausein hat Macht in sich, eine Power, die nicht klein beigibt und den Finger dorthin legt, wo es wehtut. Keine gute Rolle? Allemal besser, als am Schlamassel schuld zu sein.

Christine Haiden beobachtet, dass Frauen in der öffentlichen Wahrnehmung gerade wieder mehr als „die Guten“ gesehen werden.

HELDINNEN, HISTORISCH GECASTET

Dass Frauen als Retterinnen in der Not gegen Unrecht, falsche Ent­wicklungen und Unmenschlichkeit auftreten, ist ein historisch vielfach tradiertes Muster. Wem fällt nicht sofort Jeanne d’Arc ein, die französische „Jungfrau“, die einen Trupp verzagter französischer Soldaten gegen die übermächtigen Engländer siegreich anführte? Den Platz als Nationalheldin hat ihr danach niemand streitig gemacht, obwohl sie auf dem Scheiterhaufen endete. Als die „rettende Frau“, obwohl anfangs ungeliebt, erschien auch Maria Theresia, die Habsburger Herrscherin, die das Reich ihrer Vorfahren mit großem Geschick und einer „Pragmatischen Sanktion“ im Rücken zusammenhielt und zu neuer Blüte führte. Oder denken wir an Sophie Scholl und ihren mutigen Kampf gegen das Unrechtsregime der Nazis. Oder an Freda Meissner-Blau, die erste Gallionsfigur der Grünen in Österreich. Frauen haben dann ihre Sternstunde, wenn die bisherigen Helden auf den Sockeln wanken. Dass derzeit wieder viele Frauen Beachtung finden, lässt auf größere Erschütterungen des Gewohnten schließen.

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  • Veröffentlicht: 20.09.2019
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