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03/24

Ist das das Leben oder doch nur ein Luftholen?

Ist das das Leben oder doch nur ein Luftholen?

Die Frau, die sich Marie nennt und eigentlich Laetitia heißt, rauscht der Ringstraße entlang, kommt endlich ins Cafe und stolpert im Staunen und Schauen. Der, der zuerst dem Kaffee beim Auslaufen und dann Marie, die ja eigentlich Laetitia heißt, direkt in die Augen schaut, heißt Jakob. Wirklich Jakob. Dass Marie so gern gemocht wird und deshalb auch so viel lächelt, ist bald klar und man gewinnt diese Heldin schnell lieb, will sie beschützen und ihr zurufen: Mädchen, pass auf, schau auf, lass dir nicht das Herz zertreten!

In der Wohnung ihrer Großmutter hat es nach Usambaraveilchen und Rosenseife gerochen, jetzt wohnt Maries Vater dort, sie mag den aktuellen Geruch – Fußschweiß, Aschenbecher und Steirer Schlosskäse – nicht. Der Vater kann sich nicht einmal mehr an Joe, Maries Ex-Freund, erinnern, Jakob schickt ihr ein SMS, schon eilen wir lesend zur nächsten Szene. Die Autorin reiht Minitiatur an Miniatur, man kennt Typen wie ihren Vater, auch Menschen wie Jakobs Eltern: Ist ja echt eine Frechheit, dass die Politik wieder über Neuwahlen nachdenkt. Alles von unserem Geld. Es ist Wien, es ist Österreich, es ist nicht zeitlos und genau verortet, es ist manchmal auch nur zum Schreien.

 Wer beschäftigt ist, hat keine Zeit zu denken, und wer nicht denkt, der begreift das ganze Ausmaß der Sinnlosigkeit nicht. Oder warum glaubst du, haben wir den ganzen Lärm erfunden, die Baumaschinen, die dröhnende Musik? Was ist das anderes als das Ritual primitiver Buschbewohner, die irgendeinem Götzen huldigen, den es nicht gibt?

Diese Gedanken denkt Gery seinem Freund Joe nach, eigentlich sind diese Gedanken genau Joes Worte und Gedanken und Gefühle. Wer Joe ist? Na, der Typ, mit dem Marie zusammen war, an den sich deren Vater nicht einmal mehr erinnern kann. Ja, Joe hat sich das Leben genommen, ist in den Donaukanal gesprungen. Aber war es wirklich Selbstmord? Waren Joes Sprünge von der Rossauer Brücke – und derer gab es viele und die waren alle keine Suizidversuche gewesen – einfaches Nachdenken übers Leben? Gedanken und Experimente, während wieder woanders das Essen auf Rädern geliefert wird und eine Tochter denkt: Warum macht das denn so einen weichen Stuhl? Und was hat das Ganze da mit mir zu tun? Junge Menschen treffen auf die frühere Generation, denken über Essen auf Räder und Psychopharmaka und deren Dosierung nach. Erinnerungen in Sätzen, Worten, in Gerüchen nach Blumen oder Steirer Schlosskäse. Man spricht von Erzählfäden und die hält Margarita Kinstner fest und liebevoll in ihren Händen.

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Aufgeweckt werden, an Ihre Eltern zu denken, vielleicht auch an Ihre Kinder, wenn die schon über 20 sind, Atemlosigkeit, Gedanken über Arbeit.

 

Die Autorin: 1976 in Wien geboren, Pädagogin, veröffentlichte vor „Mittelstadtrauschen“, ihrem ersten Roman, in Anthologien und Literaturzeitschriften. Arbeitet in der Fortbildung für PädagogInnen.

http://margasmagazin.wordpress.com/

 

 

Margarita Kinstner:

Mittelstadtrauschen.

Roman.

Wien: Deuticke.

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  • Veröffentlicht: 14.01.2015
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