Menschen, die zu uns kommen, werden aufgefordert, sich bitte schön zu integrieren. Das klingt oft wie ein Befehl. Wie erleben sie selbst das Wechselspiel von Ankommen und Angenommenwerden? Drei Frauen erzählen.
ESRA ÖZMEN (29)
Die Wiener Rapperin hat türkische Wurzeln und spielt mit ihrem sozialen „Tschuschenkind“-Status.
Ich wurde im Wiener Wilhelminenspital geboren, bin also Österreicherin, und trotzdem höre ich, dass ich mich integrieren soll, weil ich ein Tschuschenkind bin. Mein türkischer Großvater kam in den 1970ern als Gastarbeiter hierher. Aus lauter Dankbarkeit, da sein zu dürfen, verhielt er sich so untertänig, dass sein Anpassungsstreben einem Selbstmord glich. So will ich nicht leben! Ich lebe Integration, wie ich sie für richtig halte. Die Dosis ist dabei sehr wichtig, sonst erleidet man einen Identitätsverlust. Daher lasse ich mich weder von der österreichischen noch von der türkischen Community auf eine Welt reduzieren, sondern gehe meinen eigenen Weg. Ich kenne zwei Sprachen, zwei Kulturen, bin zwei, bin mehr! Das ist ein Gewinn.
So selbstbewusst bin ich aber erst, seit ich mit meinem Bruder Enes als Duo „EsRAP“ auf wienerisch-arabeske Weise Klischees gegen den Strich bürste. Ich rappe über das Vergnügen, Ausländerin zu sein, und das freche Schicksal, über das ich schon als Teenager traurige Gedichte schrieb. Das Schreiben war wie Therapie, wenn ich wieder einmal fertiggemacht wurde. Heute weiß ich, dass nicht das Leben per se schwierig ist, sondern das System das Leben schwierig macht.
„Das beste Beispiel für Integration ist wohl mein jüngerer Bruder. Er liebt Schnitzel und spielt Akkordeon.“
Bereits als Kind spürte ich, dass es bei Integration um Macht und Vorherrschaft geht und nicht um Inklusion und das Finden einer Mitte, die wichtig ist, damit wir alle gut miteinander leben können. Im Hof unseres Ottakringer Gemeindebaus drohten „Menschenpolizisten“ – so nannten wir die besorgten BürgerInnen, die auf „ihre Gesellschaft“ aufpassten –, uns spielenden Tschuschenkindern mit Anzeigen. In der Schule wurde ich sogar von LehrerInnen gemobbt und ausgelacht, wenn ich „der“, „die“ und „das“ verwechselte. Das ruiniert dein Selbstbewusstsein! Oft wurde Integration auch wie ein Aufputschmittel für den Selbstwert eingesetzt: „Wir mögen keine Türken. Aber dich, Esra, mögen wir schon, weil du eine integrierte Türkin bist.“ Für einen Augenblick fühlte ich mich dann besser, aber schnell stellte ich fest, dass so ein Lob MigrantInnen-Kinder nur gegeneinander ausspielt.
Das war auch der Grund, warum ich vor zehn Jahren, als Sebastian Kurz Integrationsstaatssekretär war und mich als Integrationsbotschafterin anwerben wollte, sein Angebot ablehnte. Es widerstrebt mir, mich für politische Zwecke als „besserer Tschusch“ instrumentalisieren zu lassen und andere zu belehren. Ich bin gerne Vorbild und Hoffnung, aber auf meine Weise. Mehrmals im Monat bieten mein Bruder und ich Rap-Workshops an Schulen an, um das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken. Auch in Sonderschulen sind wir zu Gast. Die sind voll von Tschuschenkindern. Alle dort gelten als verhaltensauffällig, nur weil sie aufgrund ihres südländischen Temperaments lauter reden. Ihre Wunschberufe sind Lagerarbeiter oder Supermarkt-Kassiererin. Sie wagen es nicht einmal mehr zu träumen! Abschieben und Isolieren ist nicht die Lösung. Integration gelingt am besten durch Liebe und Wohlwollen. Dann öffnet man sich gerne für neue Kulturen und Sprachen.
Esra Özmens Vater ist Spengler, ihre Mutter Reinigungskraft und sie selbst angehende Doktorin.
Ich sehe es an der Akademie der bildenden Künste, wo ich Konzeptkunst studierte und gerade meine Doktorarbeit schreibe. In meiner Klasse sitzen Studierende aus aller Welt. Im Unterricht reden wir Englisch, und auch sonst finden wir eine gemeinsame Sprache und nehmen Rücksicht aufeinander. Diversität wird sehr geschätzt. Jede und jeder darf sagen, was sie oder er denkt, und hört den anderen zu. Das ermöglicht einen echten Austausch und holt das Beste aus uns allen hervor. Auch die Politik könnte sich an diesem Erfolgsmodell orientieren, statt die Gesellschaft durch die Integrationsdebatte noch mehr zu spalten. Bei vielen Einheimischen und MigrantInnen löst der Zuzug von Flüchtlingen Angst, Eifersucht und Neid aus. Auch ich habe Ängste, trotzdem zählt für mich jedes Menschenleben mehr als die Sorge um den Arbeitsplatz. Punkt, aus. Machen mir solche Angst- und Neidgefühle zu schaffen, beschäftige ich mich mit ihnen und arbeite an mir. Wir alle sollten an uns selbst arbeiten statt an anderen. Wir alle sollten uns selbst verbessern, statt andere zu verbessern.
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