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04-05/24

Buchempfehlung: „Im Namen des Kindes“

Buchempfehlung: „Im Namen des Kindes“

Dieser Roman zeigt klar, wie destruktiv Mütter sein können und stellt auch Fragen nach künstlicher Befruchtung.

Ich werde dich erinnern, dass du eine Mutter hast

Rebecca hat sich durch ihre Kindheit und Jugend gekämpft. Jetzt arbeitet sie in der IT-Branche, geht zur Opferberatungsstelle und erschrickt, als ihre größte Feindin, ihre Mutter, ihr vor ihren ArbeitskollegInnen eine Szene macht, sogar eine Ohrfeige gibt: Jetzt ist Schluss! Rebecca beginnt, sich zu wehren.

Maya arbeitet gern in der Opferberatungsstelle, Rebecca liegt ihr sehr am Herzen, daneben kümmert sich die über 60-Jährige noch über ihre strenge Mutter in der Seniorenresidenz. Beinahe zufällig erfährt sie den wahren Grund der Scheidung ihrer Eltern: Die Mutter, eine Ärztin, hatte eine Beziehung zur Ordensschwester, die bei ihr im Krankenhaus tätig war. Es sei Liebe gewesen, man habe auch für sie, Maya, nur das Allerbeste gewollt. Als Rebecca plötzlich verschwindet, sorgt sich ihre Therapeutin Maya sehr, Suizidgedanken könne sie bei ihrer Klientin nicht ausschließen, sagt sie der zaghaft ermittelnden Polizei.

Geschickt verbindet die Autorin die Reflexionen Mayas mit denen Rebeccas. Rebeccas Kindheit war geprägt vom Hass, den ihre Mutter auf Mann und Kind hatte. Liebe gab es von der Kinderfrau, als diese jedoch während eines Streits die Polizei rief, musste sie gehen. Die Mutter hasst ihr kleines Mädchen, das ihr nichts rechtmachen kann und dem der Vater keine Stütze ist. Als er schließlich stirbt, Liebhaber in die große Villa am See einziehen, erkennt Rebecca, dass sie Macht besitzt: Ihre Ess-Brechanfälle schlagen viele in die Flucht, niemand hat gern Erbrochenes in den Toiletten. So ein Pech, dass sie immer vergisst, die Spülung zu ziehen. Rebecca treibt sich herum und schwänzt die Schule, bis sie erkennt, dass sie erst dann Ruhe vor der zerstörerischen Mutter hat, wenn sie sich aus ihrem Einflussgebiet entfernt.

Dieser Roman zeigt klar, wie destruktiv Mütter sein können und stellt auch Fragen nach künstlicher Befruchtung. Rebecca verschont auf ihrem Rachefeldzug weder den allzu verständnisvollen Psychiater noch den allzu freundlichen Gynäkologen: Die Ehefrau des letzteren äußert sich Maya gegenüber dankbar für dessen ungewöhnlichen Unfalltod.

Die Geschichte rund um zwei Frauen, zwei Familien und natürlich zwei sehr dominante Mütter wird immer verstrickter und damit spannender: Freiheit suchen sowohl Rebecca als auch Maya. Und ja, sie finden sie, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, Enttäuschung inklusive.

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen:

Mutter-Tochter-Beziehung, Fragen rund um das Thema Mutterschaft, Hass und Verachtung, verschreckte Kinder, Lügen und Lieben: Mächtige, starke Frauen, Fragen nach Recht und Gerechtigkeit, viele Spielarten von Liebe, Szenen einer toxischen Beziehung, Hoffnungssplitter, Selbstbefragungen

Evelina Jecker Lambreva

1963 in Bulgarien geboren, lebt seit 1996 in der Schweiz u. a. niedergelassene Psychiaterin und Klinische Dozentin an der Universität Zürich. Der Gedichtband „Niemandes Spiegel“ sowie die beiden Erzählbände „Unerwartet“ und „Bulgarischer Reigen“ sind ihre ersten Werke auf Deutsch. Sehr zu empfehlen sind auch ihre bei Braumüller erschienen Romane „Vaters Land“, „Nicht mehr“ und „Entscheidung“.

Evelina Jecker Lambreva
Im Namen des Kindes.
Roman.
Wien: Braumüller 2022.
232 Seiten.
ISBN 978-3-99200-327-3

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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  • Veröffentlicht: 28.06.2022
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