Die Österreicherin Ida Pfeiffer lebte zwei Leben: Ein erstes als Mutter und Hausfrau zur Biedermeierzeit – und ein zweites als furchtlose Weltreisende. Die Geschichte einer großen Abenteurerin.
Ida Pfeiffer stand an der Reling des Dampfschiffes, als es sich langsam in Bewegung setzte. Vom Ufer aus winkten ihr ihre beiden Söhne zu. Sie konnte die Sorge in ihren Gesichtern erkennen. Eine Witwe mittleren Alters, die ganz allein und ohne Geld auf Pilgerreise nach Konstantinopel fuhr! Was hatte sie sich nur dabei gedacht! Ida winkte zurück, doch als Wien langsam am Horizont verschwand, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Was sie vorhatte, war keine Pilgerreise. Sie würde Konstantinopel besuchen, das stimmte, doch dann auch Beirut, Jerusalem, Damaskus und Kairo. Sie würde den ganzen Nahen Osten bereisen, und zwar alleine. Es war der 22. März 1842, und es sollte neun Monate dauern, bis Ida Pfeiffer wieder nach Wien zurückkehrte.
Ida hatte schon als Kind davon geträumt, die Welt zu sehen. Sie wollte Soldatin werden, kleidete sich wie ein Junge und schnitt sich mit Absicht in die Finger, um nicht sticken oder musizieren zu müssen. Doch ihr Vater setzte alles daran, seinen Kindern das Träumen auszutreiben. Immer wieder verhängte er willkürlich Verbote, damit sie auf Enttäuschungen vorbereitet waren.
Die erste dieser Enttäuschungen erlebte Ida mit siebzehn Jahren. Ihre Mutter verbot ihr, den Mann zu heiraten, den sie liebte, und arrangierte stattdessen eine Ehe mit einem älteren Anwalt. Ihr Ehemann hatte Geldsorgen und war die meiste Zeit auf Arbeitssuche im Ausland. Ida zog die beiden gemeinsamen Söhne alleine in Wien auf. Doch im Frühjahr 1842 war ihr Moment gekommen. Sie war vierundvierzig Jahre alt, ihr Mann und ihre Mutter waren verstorben und ihre beiden Söhne ausgezogen. Nichts hielt sie mehr zurück.
Die Reise in den Nahen Osten war Idas erstes Abenteuer. Ihre Erlebnisse hielt sie täglich in einem Reisetagebuch fest. Zurück in Wien veröffentlichte sie das Buch unter dem Titel „Reise einer Wienerin in das Heilige Land“. Die ehrlichen Schilderungen und der trockene Humor, der zwischen den Zeilen aufblitzte, machten das Buch zu einem großen Erfolg. Von den Einnahmen bezahlte Ida ihre nächste Reise, die sie durch Nordeuropa bis nach Island führte.
1846 brach Ida dann zu ihrer ersten Weltreise auf. Sie reiste nach Brasilien, Chile und Tahiti, dann nach Hongkong, Singapur und in den Süden Indiens. Anschließend zog sie ein weiteres Mal in den Nahen Osten, bevor sie über Südosteuropa wieder nach Österreich zurückkehrte. Auf dieser Reise wurde sie mehrmals angegriffen, ging auf Tigerjagd und ritt mit einer Karawane durch die Wüste. Die Reise dauerte zweieinhalb Jahre, und der Reisebericht umfasste drei ganze Bände.
Danach wollte sich Ida Pfeiffer sich eigentlich zur Ruhe setzen, doch mit Mitte fünfzig zog es sie erneut in die Welt hinaus. Sie reiste nach Südafrika, überquerte von dort aus den Indischen Ozean und erkundete Singapur und Indonesien. Sie war die erste europäische Frau, die die Insel Borneo durchquerte. Auf Sumatra besuchte sie das kannibalische Volk der Batak. „Ich hoffe, mein Fleisch wird ihnen schon zu alt sein“, schrieb sie, „sie lassen mich gewiss laufen.“ In ihrem Reisetagebuch notierte sie anschließend, dass die Batak zwar tatsächlich Menschen äßen, aber ein gutes Rechtssystem besäßen und sehr gebildet seien. Ihr ehrliches, unerschrockenes Interesse an anderen Kulturen war für ihre Zeit revolutionär.
Danach segelte Ida über den Pazifik nach Nordamerika. In den USA sah sie Sklavenmärkte und erlebte die letzte Zeit des großen Goldrauschs, bevor sie weiter nach Südamerika zog. Auf all ihren Reisen sammelte Ida Pflanzen, Steine und Tiere, die sie zurück nach Österreich brachte und an Museen verkaufte. Obwohl sie keine Wissenschafterin war, wurde sie auf Initiative des Naturforschers Alexander von Humboldt in mehrere Forschungsgesellschaften aufgenommen. Nach ihrer zweiten Weltreise war Ida Pfeiffer eine Berühmtheit, von Forschern geschätzt, mit Machthabern bekannt und bei ihrer Leserschaft beliebt.
Doch ihre nächste Reise sollte ihre letzte werden. Ida wollte Australien sehen, den einzigen Kontinent, den sie noch nicht besucht hatte. Dazu reiste sie zuerst nach Madagaskar, wo sie unverschuldet mitten in ein politisches Komplott geriet. Europäische Verschwörer hatten versucht, die Königin Ranavalona I. zu stürzen, und Ida war zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie wurde gemeinsam mit den Putschisten von der Insel verwiesen und wochenlang durch malariaverseuchte Sümpfe getrieben. Sie erkrankte und musste ihre Reise abbrechen. Zwei Monate nach ihrer Rückkehr verstarb Ida Pfeiffer in Wien an den Folgen der Malaria. Sie hatte 240.000 Kilometer zur See und 32.000 Kilometer zu Land zurückgelegt und sämtliche Konventionen ihrer Zeit zugunsten ihrer Träume hinter sich gelassen. Ihre Bücher werden bis heute verkauft und gelesen.
Ricarda Opis
wurde 1996 in Graz geboren und studierte ebendort Journalismus und Public Relations (PR). Sie erzählt am liebsten die Geschichten von Frauen und Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Für diese Serie verbindet sie ihre beiden größten Leidenschaften, indem sie die Geschichten großer Frauen nicht nur erzählt, sondern auch bebildert. Wenn sie nicht gerade schreibt oder zeichnet, begeistert sie sich für alles, was sonst noch kreativ ist, und die Geschichte, Kulturen und Politik des Nahen Ostens.