Betty Feathers hält nicht viel von Anpassung, sie trägt Sandalen, wenn andere in wunderschönen Schuhen zum Empfang stöckeln, ihre Haare sind zerzaust, wenn die der anderen Frauen in Wellen gelegt sind. Sie ist in Hongkong aufgewachsen, liebt diese bunte, turbulente Welt: Eigentlich fühlte sie sich Zeit ihres Lebens als Chinesin und ist immer noch erstaunt, wenn der chinesische Priester vom Kantonesischen ins Englische wechselte, als er ihr das Brot reichte. Umso lieber besucht sie die laute Familie Amys, ihrer Freundin seit Kindheitstagen, hier herrscht Liebe, Verständnis und Normalität. Bettys rotbraune Locken ähneln denen ihres zukünftigen Mannes, eines Juristen namens Edward Feathers. Das ist ein ganz und gar verlässlicher und unromantischer Brite, der als Anwalt die meisten Fälle im fernen Osten gewinnt. Die Geschichte dieser Liebe und dieser tragischen Beziehung beginnt in Hongkong, vielleicht erlebt sie sogar so kurz vor der Hochzeit ihren Höhepunkt. Mit einem Kuss, den der schüchterne Edward Betty gibt. Und da steht er auch mitten in der Halle, Terry Veneering, Edwards Rivale im Gerichtsaal und charmante Plauderer auf Empfängen.
Betty begegnet Veneerings Sohn Harry auf diesem schicksalhaften Empfang, unterhält sich unbefangen mit dem Buben und erfährt, dass er am nächsten Tag auf Wunsch seiner Mutter zurück nach England soll. Betty ist traurig, den jungen Mann fern zu wissen, und entsetzt, als sie vom Absturz seines Flugzeuges erfährt. Als sie Veneering in dessen Hotel aufsucht und Harry dort leibhaftig und gesund stehen sieht, ist der Beginn einer leidenschaftlichen Beziehung gelegt und die beginnt gleich am Abend des vermeintlichen Unglücks. Betty kauft sich mit ihrem Notgroschen ein Seidenkleid mit passenden Schuhen.
Erst vor wenigen Stunden war sie entschlossen gewesen, ebenfalls eine tugendhafte Dame zu werden, wie die auf dem Foto. Sie hatte neben ihrem zukünftigen Ehemann gestanden – ihre Eltern wären begeistert gewesen von Edward Feathers – und hatte die Sterne am Himmel betrachtet und daran gedacht, wie sie ihren Kindern eines Tages erzählen würde, wie sie „ja, ich will“ gesagt und es auch so gemeint hatte. Sie sah das Gesicht ihrer Mutter vor sich, gefangen in den Gepflogenheiten des Empire und der Diplomatie. (S. 59)
Betty ist wild entschlossen, mit Edward Feathers glücklich zu werden, mit ihm, dem gänzlich steifen und wenig auf Familie fokussierten Mann, eine ebensolche zu gründen. Dazwischen taucht Ross, dieser seltsame kleinwüchsige Mann mit seinem riesigen Hut auf, will seinen Freund Edward vor Enttäuschung bewahren und lernt erst mit der Zeit Bettys Treue kennen und schätzen. Edward und Betty werden gemeinsam alt, Betty vergräbt eine geheimnisvolle Perlenkette in der Gartenerde und sein Erzrivale Terry Veneering zieht nach Bettys Tod neben Edward Feathers ein: Sie sind die Überlebenden einer langen, verzweigten, wilden Liebesgeschichte, in deren Verlauf sich Leidenschaft in Freundschaft verwandelte. Ja, Ross taucht auch noch auf mit seinem merkwürdigen Hut, den er nie absetzt, doch, am Ende des Romans, bei der Gedenkfeier für seinen langjährigen Freund Edward, tut er es. Es ist Zeit, Geheimnisse aufzulösen, Perlenketten zu verschenken und für erfüllte Sehnsüchte zu danken.
Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Ihr Gespür fürs Skurrile bleibt ungeküsst, das wäre bedauerlich; Sie versäumen eine große Liebe und eine ebenso große Liebesgeschichte; Sie lernen nichts über die vielen Gesichter von Treue; Sie verpassen einen genialen Schluss.
Die Autorin, 1928 in North Yorkshire geboren, kassierte zahlreiche Preise, lebt in East Kent und wurde gleich zweimal mit dem Whitbread/Costa Prize ausgezeichnet, der sagt mir zwar nichts, aber es klingt beeindruckend.
Jane Gardam:
Eine treue Frau.
Roman.
Aus dem Englischen von Isabel Bogdan.
Berlin: Hanser 2016.