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03/24

Grüne Märchenstunden

Grüne Märchenstunden

Wenn sich der deutsche Nachhaltigkeitstag selbst zelebriert, betrachtet die Journalistin Kathrin Hartmann die Szene kritisch, merkt sich auch Ausdrücke wie „Familientreffen der Nachhaltigkeit“. Dabei weiß sie genau, wie gern Deutsche in ihre grüne Zukunft blicken, egal, dass jeder Deutsche mit 60 Kilo pro Kopf und Jahr überdurchschnittlich viel Fleisch konsumiert. Es gibt für alle, die viel Auto fahren, viel fliegen und auch sonst die Umwelt schädigen, eine Zauberformel: Green Economy.

Laut Green Economy Report soll durch eine grüne Wirtschaft menschliches Wohlergehen gesteigert und soziale Gleichheit sichergestellt werden. Da wird einerseits versucht, destruktive Techniken und Rohstoffe durch „nachhaltigere“ zu ersetzen: Wer Elektroautos herstellt, wer auf Solarzellen und Windräder setzt, benötigt Konfliktrohstoffe, entweder aus Kriegsgebieten oder aus dem Regenwaldgebiet, das man einfach abholzt und so den Indigenen die Lebensgrundlage nimmt. Und nochmals ja: Seit Lebensmittel zur Energiegewinnung herangezogen werden, hat sich der Hunger weltweit verschärft.

Kathrin Hartmann nennt die Dinge einfach beim Namen, sie reist undercover in jene Gebiete, die als Vorzeigeregionen regionalen Anbaus gelten. Doch warum? Wenn Shrimps in Aquakultur gezüchtet werden, gilt das als nachhaltig. Warum hinterfrägt weder die Konsumentin, der Konsument, die Wirtschaft und jene, die Zertifikate so großzügig verteilen, wie dort das Land aussieht: Das Salzwasser überschwemmt die umliegenden Felder und macht sie schließlich unfruchtbar, Indigene müssen ihre Heimat, also genauer gesagt auch ihre Lebensgrundlage, ihre Felder, verlassen. Sie beginnen in einer der vielen Fabriken zu arbeiten, zu Niedrigstlöhnen, die Shrimps im reichen Norden munden, satt machen sie weder die dortigen GenießerInnen noch jene ArbeiterInnen, die für geringes Geld hart schuften. Hartmann nimmt auch große Stiftungen unter ihre Lupe. Halt, wie war das mit der Bill Gates-Stiftung? Wer sitzt in deren Vorstand, wofür votet diese Stiftung. Zurück in Deutschland führt uns die Journalistin in den Supermarkt, genauer zur Packerlsuppe: Hier wird der Lohnsklave des Nordens nach seinem Stress-Tag vermeintliche Vielfalt und Nahrung suchen, die er und sie sich schnell mal zubereiten kann. Richtig, in der Tüte, im Sackerl also, da wird an Palmöl nicht gespart, minderwertige Zutaten in bunter Verpackung im schönen Supermarkt. Eine echte Alternative am Schluss der Reise, der Recherche, dieses wunderbaren Buches:

 Ich bin mit der Christlichen Initiative Romero auf einer Maquila-Reise in El Salvador, wir sind zu Besuch bei den Heldinnen von Hermosa. In jener Textilfabrik, die für Adidas produziert hatte, haben die Frauen gearbeitet. … Diese wunderbaren Frauen haben nicht nur dem Weltkonzern Adidas die Stirn geboten, sie haben ihr Leben und das vieler Menschen verändert, die ihnen auf ihrem Weg aus der Unmündigkeit folgten. … Folgen wir ihnen doch. Mit Solidarität, Mut und Entschlossenheit. Mehr braucht es dafür nicht.

 

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Gerechtigkeit, Wahrheit, Schilderungen der schauderhaften Zustände in Bangladesch, Indonesien und El Salvador, gekonnte Süffisanz in Richtung „grüner Kapitalismus“, generell Sprache auf Höchstniveau. Was, ich bin nicht neutral? Dann beginnen Sie einfach zu lesen!

 

Die Autorin, 1972 in Ulm geboren, geht ihre Themen von Grund auf an. Nach ihrem Volontoriat bei der „Frankfurter Rundschau“ hat sie dort als Redakteurin für Nachrichten und Politik gearbeitet, von 2006 bis 2009 war sie bei „Neon“. Dann öffnete sie mit ihrem ersten Buch „Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“ den KonsumentInnen die Augen: Man kann sich diese Welt weder schönkaufen, noch schönsaufen – mit Krombacher den Regenwald retten, beispielsweise!

 

 

Kathrin Hartmann:

Aus kontrolliertem Raubbau.

Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren.

München: Blessing 2015.

 

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  • Veröffentlicht: 03.02.2016
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