Aktuelle
Ausgabe:
Bewegung
04-05/24

Buchempfehlung: „Null“

Buchempfehlung: „Null“

Was passiert in einem Ich, das keine Grenzen kennt, das der Welt gegenüber vollkommen offen ist? Die junge Frau in „Null“ ist gewillt, bis zum Äußersten zu gehen, auf ihrer Suche nach einer eigenen Identität. Gine Cornelia Pedersens Debütroman wurde in Norwegen begeistert aufgenommen. Er ist eine lebensbejahende und poetisch-explosive Tirade darüber, verletzlich zu sein, froh, verzweifelt, grenzenlos und voller Hoffnung.

Ich werde ich

Dieser Entwicklungsroman erzählt die vielen Wege und Versuche einer 16-Jährigen, eines 16-jährigen Ich, das gnadenlos mit sich und seiner Mitwelt, mehr über sich selbst zu erfahren, endlich einmal, vielleicht auch nur für einen kleinen Augenblick zu wissen, wer man ist.

Schonungslos mit sich offenbart die Erzählerin ihre Psychose, dazwischen ihre Versuche, ihre eigene „Normalität“ zu finden, Liebeswirren eingeschlossen. Selbst beim Lesen braucht man gute Nerven, um den starken Schmerz, die Verzweiflung und die unbändige Liebe dieser Ich-Erzählerin lesend auszuhalten.

Wenn sie liebt, dann 100%ig, wenn sie hasst, dann bis zur Grenze der Selbstzerstörung: Sie hinterfragt die Gesellschaft, die ÄrztInnen, die Mutter, die geliebten Männer und natürlich ganz beharrlich sich selbst.

Die Rückblenden sind ebenso gnadenlos wie die Beschreibung der aktuellen Situation: Ja, sie sagt es uns LeserInnen ja auch gleich, dass sie eine „ohne Filter“ sei.

„Ich habe Mitleid mit Mama und Papa; Ich begreife, dass das Konzept Zuhause nicht existiert hat, ... ich denke, ich werde ewig leben, und denke gleichzeitig fast jeden Tag an den Tod.“
Seite 11

Idylle gibt es in diesem Roman keine, selbst das Leben am Land zeigt seine widerwärtigen und hässlichen Seiten: Die Ich-Erzählerin beschreibt ihre Tage in der „Klapse“ mit Akribie, sie verweigert das Wassertrinken, raucht so viel wie möglich und sperrt sich aus versehen im Kasten ein.

Hier ein kurzer Blick zur Krankenschwester, die sie aus dem Kasten befreit, mit ihr so richtig herzhaft lacht. Doch dann eilt die junge Erzählerin weiter, heiratet ihre große Liebe, fordert auch diese bis zum Extrem heraus: Dazwischen immer wieder kurze Ruhepausen, in denen man eine möglichst lebbare Normalität sucht.

Dass ich hier so schreibe, als wäre der Text in einem Block gesetzt, soll Sie nicht täuschen: Ohne Satzzeichen, ohne Absätze, drischt die Ich-Erzählerin auf die Lesenden ihre Gefühle, Aktionen und Gedanken ein. Ein Beistrich wäre hier unpassend wie ein Spitzendeckchen, eher kommen Rufezeichen zum Einsatz.

Bei aller Direktheit und Brutalität lässt einen die Lektüre nicht zum anlysierenden Voyeur werden, dazu staunt man zu intensiv, beginnt die eigene Reflexion, wo es sich in der Jugend doch auch gelohnt hätte, Widerstand zu zeigen.

Was Sie verpassen, wenn Sie diesen Debütroman nicht lesen:

das pure Leben, den puren Wahnsinn, das Ringen um die eigene Identität, versuchte Anpassung, Auseinandersetzung der Generationen, Empathie für junge Menschen, besonders junge Frauen, Infragestellung der so genannten Normalität.

Die Autorin Gine Cornelia Pedersen

ist 1986 in Oslo geboren, studierte Schauspiel in Oslo, arbeitet als Schauspielerin und Schriftstellerin, ihr Romandebüt „Null“ regte die literarische Welt in Norwegen bei seinem Erscheinen im Jahr 2013 ordentlich auf.

Gine Cornelia Pedersen
Null
Luftschacht Verlag
192 Seiten.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

Mehr Lesestoff von Christina Repolust erscheint regelmässig in der „Welt der Frauen”, Rubrik Staunen & Genießen. Hier können Sie ein kostenloses Testabo bestellen.

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 09.02.2022
  • Drucken