Vergangene Woche stimmte das Europaparlament dem geschlossenen EU-Beitritt zur Istanbul-Konvention zu. Damit setzt man ein wichtiges Signal im Kampf gegen Gewalt an Frauen. Dennoch gibt es – auch in Österreich – weiterhin großen Handlungsbedarf.
Rund 62 Millionen Frauen – und damit jede dritte – haben in Europa mindestens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. 55 Prozent wurden Opfer von einer oder mehreren Arten sexueller Belästigung, elf Prozent erlebten Cybermobbing und jede zwanzigste Frau wurde vergewaltigt. Das geht aus einer Erhebung der Grundrechteagentur aus dem Jahr 2014 hervor.
„Genug ist genug! Geschlechterspezifische Gewalt ist das größte ungelöste Alltagsproblem in Europa“, betont der polnische EU-Parlamentarier Lukas Kohut. Für ihn gilt das Übereinkommen „als das wirksamste Instrument zur Bekämpfung von geschlechterspezifischer Gewalt, da es konkrete Verpflichtungen mit sich bringt.“
Das 2011 von 13 Staaten in Istanbul unterzeichnete „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ trat 2014 in Kraft und wurde 2017 von der EU unterzeichnet. Im Mittelpunkt stehen vier Handlungsfelder: die Prävention von Gewalt gegen Frauen, der Schutz der Frauen, die Strafverfolgung der Gewalt sowie das koordinierte Vorgehen bei der Umsetzung von politischen Maßnahmen. Damit ist es das erste völkerrechtlich verbindliche Instrument zur umfassenden Bekämpfung aller Formen von Gewalt an Frauen in Europa. Wer es ratifiziert, ist dazu verpflichtet, dieses umzusetzen.
Sechs Länder fehlen
Doch genau da hakt es trotz der nunmehrigen Beitrittsentscheidung in Europa nach wie vor. Denn der EU-Beitritt entbindet die Mitgliedsstaaten nicht davon, das Übereinkommen auch selbst zu ratifizieren. Während alle unterzeichnet haben, nahmen nur 21 Länder auch die Ratifizierung vor. Sechs Länder – Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Lettland, Litauen und die Slowakei – sind dem trotz mehrerer Aufforderungen bisher nicht nachgekommen. Sie beriefen sich dabei auf Rechtsunsicherheit und Unvereinbarkeit mit ihrem verfassungsrechtlichen Rahmen. Ebenfalls ein Wermutstropfen: Obwohl in der Türkei unterzeichnet, beschloss diese 2021den Austritt aus der Konvention, der 2022 bestätigt wurde.
Anders sieht die Situation in Österreich aus: „Österreich hat als eines der ersten EU-Länder bereits 2014 die Istanbul-Konvention ratifiziert. Nun gehen wir als EU diesen Schritt gemeinsam“, betont die ÖVP-Frauensprecherin im Europaparlament Angelika Winzig. Sowohl Winzig als auch die österreichische Frauenministerin Susanne Raab sind sich einig: „Der EU-Beitritt ist ein aktiver und sichtbarer Schritt zur Stärkung von Gewaltschutz und Gewaltprävention, für den sich Österreich seit Jahren eingesetzt hat. Gewalt an Frauen macht nicht vor Grenzen Halt. Alle Frauen in Europa verdienen Schutz und Gerechtigkeit, egal, wo in der EU sie sich befinden.“
„Rechte verteidigen und stärken“
Für Grünen-Frauensprecherin Meri Disoski ist das Fehlen der sechs Staaten eine Schande, wie sie gegenüber „Welt der Frauen“ betont. Hier herrsche dringender Handlungsbedarf. Zum Beitritt macht sie klar: „Seit Jahren beobachten wir weltweit – und damit auch in Europa – reaktionäre, rückwärtsgewandte Attacken gegen hart erkämpfte Frauenrechte und einen Anstieg von Gewalt gegen Frauen. Angesichts dieser Entwicklungen muss die EU nach innen wie außen die Selbstbestimmungsrechte von Mädchen und Frauen verteidigen und stärken und eine kompromisslose Zero-Tolerance-Politik gegen jedwede Form von Gewalt verfolgen.“
„Massives Problem mit Männergewalt“
Auch die Frauenvorsitzende der österreichischen Sozialdemokraten, Eva-Maria Holzleitner, sieht in der Entscheidung des Europaparlaments einen wichtigen Schritt: „Das ist ein Meilenstein im Gewaltschutz, der garantiert, dass alle Mitgliedstaaten die Konvention umsetzen müssen.“ Obwohl dies in Österreich bereits vor Jahren geschehen sei, gäbe es aber auch hier noch viel zu tun. Sie appelliert an die Bundesregierung, die Empfehlungen der internationalen ExpertInnen ernst zu nehmen. 228 Million Euro zusätzlich seien für den Gewaltschutz notwendig. „Es gibt ein massives Problem mit Männergewalt in unserem Land.“ Eine zentrale Rolle bei der Prävention haben laut Holzleitner Frauen- und Mädchenberatungsstellen inne. „Es ist untragbar, dass viele Einrichtungen Jahr für Jahr nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Es braucht endlich eine solide Basisfinanzierung statt langwieriger Projektanträge.“
Steigender Bedarf verschlingt Großteil des Frauenbudgets
Befürwortet wird der Beitritt weiters von den Freiheitlichen, wie Frauensprecherin Rosa Ecker gegenüber „Welt der Frauen“ hervorhebt: „Wir haben uns auch bisher für die Umsetzung der Istanbul-Konvention ausgesprochen. Im Frauenbudget 2023 verschlingt der steigende Bedarf nach Gewaltschutzmaßnahmen den Großteil des Budgets. Wenn nunmehr die EU plant, beizutreten, gehen wir davon aus, dass auch vonseiten der EU ausreichend finanzielle Mittel – etwa für Beratungsstellen, Übergangswohnungen, et cetera – zur Verfügung gestellt werden.“