Was kann Literatur? Trösten, aufwühlen, inspirieren – und mehr. Und wie entstehen (unsere) Geschichten? Vielleicht auch so. Pressekonferenz am 10. März 2020. Die Regierung kündigt Maßnahmen im Kampf gegen Corona an. Meine Freundin Susanne und ihr Mann Ulrich bereiten sich auf unberechenbare Wochen und Monate vor, so wie wir alle. Doch die eigentliche Sorge gilt ihrer Tochter Lea, die gerade als Sprachassistentin in Ibiza arbeitet. Die Zahl der Infizierten, die Madrid meldet, sind besorgniserregend. Doch Lea bleibt vorerst gelassen. Auf den Balearen zeigt sich der Frühling von seiner schönsten Seite. Bis die Nachricht eintrifft, dass den Spaniern strengste Ausgangssperren verordnet worden sind.
Jetzt wird auch Lea unruhig. Ihre Familie ist ohnehin desperat: Wenn nun als nächster Schritt die Grenzen geschlossen werden? Wenn die Fluglinien ihren Betrieb aufgeben müssen, wie schon angedeutet? Die Linienboote nach Barcelona verkehren bestenfalls unregelmäßig.
In Wien und Ibiza ist man stundenlang online, um mögliche Reiserouten aufzuspüren. Das Österreichische Außenministerium verspricht Rückführungen, ist aber von der Zahl Heimzuholender überfordert. Die Unsicherheit zerrt an den Nerven, Lea fühlt sich in ihrem Zimmer mit Blick auf den Lichthof eingesperrt.
Susanne hält mich am Laufenden. Als mir ein Gedicht von Hilde Domin in die Hände fällt, schicke ich es ihr, als Gruß in schwierigen Zeiten.
Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.
Nach einer Woche des Bangens, der Enttäuschungen und falschen Fährten gelingt es Lea, einen Flug von Ibiza nach Düsseldorf zu ergattern und von dort mit dem Zug – dreimal umsteigen und ein Schaden an der Oberleitung – bis nach Salzburg zu gondeln, wo sie Freund und Bruder in Empfang nehmen. Die drei fahren mitten in der Nacht auf der ungewohnt leeren Autobahn nach Wien und begeben sich gemeinsam in Quarantäne, zur Vorsicht.
An jenem Morgen kommt ein Anruf von Susanne, sie ist vollends erschöpft und müde, aber überglücklich. Happy End. Wenig später liegt ein Päckchen im Postkasten. Zwei Gesichtsmasken aus beigem Leinen, bestickt mit Hilde Domins Gedicht. Ob ich sie wirklich trage? Sie sind mir zu kostbar, in ihnen stecken Erinnerungen – und eine Geschichte, die wir wohl alle nie mehr vergessen. Und die vielleicht noch in eines von Susannes Bildern – sie ist Malerin – einfließt.
Eines Tages wird Corona Geschichte sein.
Susanne Schaber
lässt sich im Morgengrauen vom Vogelgezwitscher inspirieren und denkt vor dem Einschlafen noch gerne an Reisen und Abenteuer im Kopf, um am nächsten Tag beherzt ins Leben zu springen.
Foto: Karl Mühlberger