Aktuelle
Ausgabe:
Konsum
03/24

Geht Liebe durch die Nase, Herr Frasnelli?

Geht Liebe durch die Nase, Herr Frasnelli?

Kann man Riechen wieder lernen? Duften Frauen oder Männer besser? Und warum haben werdende Mütter eine so gute Nase? Johannes Frasnelli hat sich vollends der Erforschung des Geruchssinns verschrieben. Der geborene Schweizer ist in Südtirol aufgewachsen, hat in Wien Medizin studiert und arbeitet seit 2014 als Professor für Anatomie an der Universität Quebec Trois-Rivieres. Ein Gespräch über sein Buch „Wir riechen besser als wir denken“ und ein Blick in die vielversprechende medizinische Zukunft des Riechens.

Sabine Kronberger: Herr Frasnelli, woher kam der Impuls, dem Geruchsinn ein ganzes Buch zu widmen?

Johannes Frasnelli: Ich habe in Wien studiert und der Zufall wollte es, dass ich in der Universitätsklinik im Bereich Hals-Nasen-Ohren aufgeschlagen bin, wo man Doktoranden suchte, die sich mit dem Thema „Riechen und Schmecken bei chronischer Niederinsuffizienz“ beschäftigen. Mein Interesse dafür war groß. Schließlich hatte ich als Student schon in der Wohngemeinschaft regelmäßig Weinverkostungen organisiert, also war das Thema Riechen aus dem privatem Umfeld und zugleich vor dem medizinischen Hintergrund spannend. In den Lehrbüchern war damals kaum oder wenig dazu zu finden. Etwas später ging ich nach Deutschland, hatte die Möglichkeit, in die Forschung  zu gehen und es folgten Stationen in Kanada und in den USA.  Immer tiefer bin ich dabei in die Materie eingetaucht. Ich gab auch Medieninterviews, hielt Vorträge, veröffentlichte Artikel und damit stieg meine Freude, dieses Wissen zu vermitteln.

Im Buch beschreiben Sie medizinisch, aber dennoch verständlich den Geruchssinn. Es scheint, als hätten Sie große Freude am Erklären.

Richtig! Ich finde, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sollten raus aus dem Elfenbeinturm und hin zu den Menschen. Für mich ist das in dieser Zeit wichtiger denn je, besonders weil es in der Bevölkerung eine große Wissenschaftsskepsis gibt. Wir müssen den Menschen unsere Forschungen erklären. In meinem Fall: Den Geruchssinn. Ich merke: das ist ein beliebtes Thema, das sofort auf Interesse stößt und neugierig macht. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. und es sollte ein Buch für meine Mutter werden. Sie liest sehr viel, deshalb war es ein Ansporn, etwas zu schreiben, das ihr gefällt.

Warum sollte es der Mutter gefallen?

Ach, meiner Mutter hätte wahrscheinlich alles gefallen, was ich schreibe. Aber sie war es auch, die mir immer wieder Bücher gegeben hat, die ich lesen sollte. Am besten Bücher,  aus denen ich etwas lernen konnte.

Was ist Ihre große Faszination am Thema Geruch?

Je mehr ich mich in die Materie vertieft habe, desto faszinierender wurde es. Eine besondere Erkenntnis sticht dabei hervor: Wir alle riechen dieselben Dinge, nehmen sie aber komplett unterschiedlich wahr. Wenn wir beide den Himmel ansehen, ist er für uns beide blau. Aber wenn wir dasselbe riechen, können wir danach eine Stunde darüber reden, weil jeder diesen Geruch anders empfindet. Nicht ich oder Sie werden recht haben, sondern beide. Das ist ganz unglaublich faszinierend für mich. Dabei haben wir so wenige Wörter, die Gerüche beschreiben können, aber wir müssen trotzdem Riecheindrücke in Worte fassen. Ich erinnere mich an die Weinverkostungsabende in meiner WG. Der eine sagte, das riecht nach Vanille, der andere fand das überhaupt nicht. Beide haben recht und nicht recht.

Sie haben sich international mit ihrem Forschungsgebiet einen Namen gemacht. Was ist heute die meist gestellte Frage an Sie?

„Was ist denn das überraschendste Forschungsergebnis, das Sie gehabt haben?“ Wahrscheinlich werden Sie mich das auch gleich fragen. Was ich aber auch häufig höre ist die Frage, was man tun kann, um den Geruchssinn wieder zu erlangen.

Nun, ich folge Ihrem Impuls: Was ist das überraschendste Forschungsergebnis?

Grundsätzlich das Spannendste der gesamten Forschung zum Thema Geruch ist, dass wir Menschen hundertmal mehr verschiedene Rezeptoren für unseren Geruchssinn haben als für den Sehsinn. Wir haben vier verschiedene Rezeptorarten, die uns erlauben, zu sehen: Eine für schwarz-weiß, drei für die Farben. Über 400 sind es beim Riechen. Diese Rezeptoren nehmen zwei Prozent unseres gesamten Genoms, also unserer gesamten genetischen Information, ein. Die Evolution bewahrt nichts, was für unser Überleben nicht wichtig wäre. Der Geruchssinn muss also bedeutend sein. Für diese Entdeckung gab es auch 2004 den Nobelpreis für die BiochemikerInnen Richard Axel und Linda Buck. Was ich in meiner Forschung am Spannendsten finde, ist, dass der Geruchssinn bei sehr vielen Erkrankungen früh verloren geht. In der Theorie wissen wir deshalb, dass er ein Früherkennungsmarker für spätere Erkrankungen sein kann. Bei Alzheimer, der Krankheit der großen Vergesslichkeit, und bei Parkinson, bei der die Menschen irgendwann stark zittern, weiß man heute, dass schon zehn bis 15 Jahre vor der Diagnose der Geruchssinn verlorengeht. Der Geruchssinn erlaubt es uns also, in die Zukunft zu schauen. Momentan können wir aufgrund des Verlusts noch keine Diagnosen stellen, aber ich hoffe fest, dass das irgendwann gelingen wird. Das könnte der Früherkennung dieser Krankheiten ordentlich auf die Sprünge helfen.

„Der Geruchssinn erlaubt es uns, in die Zukunft zu schauen!“

Besonders bei Krebs- bzw. Chemotherapie-Patienten ist es bekannt, dass sie durch die Behandlung ihren Geruchssinn verlieren. Es heißt aber, dass das Riechen aber wieder erlernt werden kann.

Das ist sicher auch ein faszinierendes Merkmal des Geruchssinns. Wenn eine Nervenzelle  abstirbt, ist sie normalerweise für immer verloren. Aber es gibt drei unterschiedliche Bereiche im menschlichen Nervensystem, auf die das nicht zutrifft – und alle drei haben etwas mit dem Riechen zu tun. Einmal ist es in der Riechschleimhaut, dann im Riechkolben und schließlich im Hippocampus im Gehirn – der Stelle für das Lernen – dort gibt es eine Erneuerung der Nervenzellen. Das sehen wir auch bei Corona in der aktuellen Zeit.

Stichwort Corona: Medial wurde auch der Verlust des Geruchssinns bedeutsam kommuniziert. Auch wenn es im negativen Kontext publik wurde: Wie viel höher schlug ihr Herz, dass Ihr Herzensthema plötzlich diese Aufmerksamkeit bekam?

Als Mensch sage ich: Lieber wäre mir, wenn es keine Pandemie gäbe. Als Wissenschaftler ist es für mich aber natürlich interessant, weil wir in sehr kurzer Zeit unglaublich viel gelernt haben. Als Autor kann ich sagen: Die Erstauflage meines Buches erschien 2019, 2020 erhielt es die Auszeichnung zum Wissenschaftsbuch des Jahres – aber erst bei der Übersetzung ins Französische mit dem Zusatz „zum Thema Corona“ wurden noch viel mehr Menschen aufmerksam. Vor der Pandemie war das „Geruch“ so etwas wie das Orchideenfach, man hatte keine Eile Forschungsergebnisse herauszubringen, weil man nicht fürchten musste, dass die Konkurrenz schneller ist. Aber dann kam Schwung in die Szene: Wir haben uns alle noch besser vernetzt. Über 400 international tätige Forscher und Forscherinnen haben sich verbunden, um rasch das Kriterium „Geruchssinn“ in die Liste der Krankheitssymptomatiken aufnehmen zu lassen.

Nun ist unsere Welt ja voll von Gerüchen. Welcher Duft ist bei den Menschen am beliebtesten?

Ob wir einen Duft als angenehm oder unangenehm empfinden, hat unter anderem mit der chemischen Zusammensetzung zu tun. Schwefelverbindungen riechen zum Beispiel nach Stuhl oder faulen Eiern, also eher unangenehm. Ein weiterer Faktor ist die Konzentration. Das heißt: Auch ein angenehmer Duft wird unangenehm, wenn er zu intensiv ist. Das gilt auch umgekehrt: Manche Gerüche wirken erst positiv, wenn sie stark verdünnt sind – Ambra zum Beispiel ist so eine Parfumkomponente. Wie sensibel wir auf Gerüche reagieren, ist individuell. Unsere Erwartungshaltung dazu hat ebenfalls einen Einfluss. In Studien wurde bewiesen, dass Sie positiver auf einen Geruch reagieren, wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihnen jetzt Rosenöl vorsetze. Das gleiche Rosenöl wird unangenehmer empfunden, wenn ich Ihnen davor sage, dass jetzt der Geruch einer Chemikalie auf Sie zukommt. Und am Ende zählt auch noch Ihre Erfahrung. Wenn Sie irgendwann mal eine Ananas gegessen haben und danach eine Lebensmittelvergiftung hatten, dann wird Ihnen das in Erinnerung bleiben und beim nächsten Kontakt Ablehnung hervorrufen.

Unser Körpergeruch ist bekanntlich auch hormonell gesteuert. In Kombination mit der Partnerwahl wird er deshalb oft als Indikator für das Harmonieren genannt. Was ist wissenschaftlich dran an diesen Behauptungen?

Wir wissen, dass Hormone und Gerüche stark miteinander verbunden sind. Der Körpergeruch ist bedingt durch den Hormonstatus – etwa in der Pubertät, wenn der Körpergeruch zunimmt. Zum anderen ist auch die Wahrnehmung von Düften hormonell beeinflusst. Der Körpergeruch von Männern wird von heterosexuellen Frauen je nach Hormonstatus anders bewertet. Grundsätzlich ist der „männliche Geruch“ negativ besetzt. Im Rahmen des Zyklus der Frau, genauer gesagt während des Eisprungs, fällt diese Evaluierung plötzlich positiver aus. Die Antibabypille greift in diesen Zyklus ein, und es kann sein, dass dieses Medikament auch den Geruchssinn verändert. Das ist aber mehr anekdotisch als wissenschaftlich überliefert.

 Es ist immer wieder die Rede davon, dass das Absetzen der Pille oft auch zum Absetzen eines Lebenspartners führt, weil man ihn plötzlich nicht mehr riechen kann. Geht Liebe durch die Nase?

Das kann sein. Es ist äußerst schwierig, dieses Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen. Man müsste Paare finden, bei denen die Frau die Pille schon vor dem Kennenlernen des Mannes eingenommen hat. Dann müsste man beim Absetzen eine Gruppe von Frauen finden, die mittels Placebos kontrolliert wird. Das ist fast unmöglich, diese Untersuchungen kompetent durchzuführen.

Was raten Sie Menschen, die plötzlich nichts mehr riechen?

Schon vor der Corona-Zeit wussten wir, dass es viele Menschen – etwa 20 Prozent – gibt, die mit dem Geruchssinn Probleme haben. Fünf Prozent der Menschen können gar nichts riechen, 15 Prozent haben einen reduzierten Geruchssinn. Der wichtigste Tipp ist, dass diese Menschen zum HNO-Arzt gehen sollten. Meistens hat es etwas mit der Nasenschleimhaut zu tun, und das sollte man gleich zu Beginn abklären lassen. Gewisse neurologische Erkrankungen manifestieren sich auch erstmals über eine Riechstörung. Wenn man eruieren kann, wodurch diese Störung oder ein Ausfall begründet sein können, dann lässt sich in vielen Fälle etwas unternehmen.

Und dann gibt es auch noch jene Menschen, die sehr empfindliche Nasen haben. Schwangeren Frauen etwa schreibt man höhere Empfindlichkeit zu, oder nicht?

Es gibt tatsächlich Studien hierzu und man hat dabei herausgefunden, dass die Riechschwelle von Frauen sich in der Schwangerschaft nicht verändert hat. Das heißt, ihr Geruchssinn wird nicht per se sensibler. Was sich ändert, ist die Wahrnehmung der überschwelligen Gerüche. Diese werden als viel stärker wahrgenommen und unter Umständen emotional besetzt. Der evolutionäre Vorteil ist ganz klar: die schwangeren Frauen bewahren sich und das ungeborene Leben davor, sich toxischen Einflüssen auszusetzen. Interessant ist dabei, dass diese Wahrnehmung von unangenehmen Gerüchen wieder von Frau zu Frau unterschiedlich sind.

Es gibt Menschen, die beruflich mit dem Riechen zu tun haben, etwa Sommeliers. Ist dieses Können erlernt oder genetisch mitgegeben?

Wir haben auch ein paar Studien mit Sommeliers gemacht, wobei mir herausgefunden haben, dass sich im Rahmen ihrer Ausbildung nicht nur deren Wahrnehmung steigert, sondern dass sie auch stetig besser darin werden, die Düfte korrekt zu beschreiben. Einzelne Benennungen von Geruchskomponenten machen es dann anderen Fachleuten möglich, diese Verbalisierung zu verstehen und den Duft anhand der Beschreibung zu erkennen. Was Sommeliers können, ist Düfte zu analysieren; Parfümeure dagegen können Düfte komponieren.

 

„Manche Soldaten, die Opfer einer Bombenexplosion wurden, können beispielsweise keine Barbecues mehr machen, weil der Geruch von verbranntem Fleisch sie an den verhängnisvollen Tag zurückbringt. Düfte sind zutiefst mit Erinnerungen verbunden.“

Haben Sie eine wissenschaftliche Antwort auf die oft diskutierte Frage, ob Männer oder Frauen besser riechen?

Das ist ja ambivalent, so wie Sie es formulieren. Also kann man das auf zwei Arten betrachten: Wer riecht besser? Grundsätzlich riechen Frauen besser als Männer, also der weibliche Geruch wird von Menschen als positiver bewertet. Männer riechen strenger.

Und wer nimmt Düfte besser wahr?

Frauen schneiden auch hier besser ab als Männer! Wir wissen aber nicht: Ist es genetisch oder kulturell bedingt? In unserem Kulturkreis ist es noch immer die Frau, die sich hauptsächlich um das Essen und die familiäre Hygiene kümmert, deshalb lässt sich die Frage nicht mit Sicherheit beantworten. Aber Frauen können in diesem Sinn besser riechen als Männer.

Dennoch sind die Männer in den Rollen der Spitzen-Parfümeure, der Haubenköche und Top-Sommeliers in der Überzahl.

Ja, ich hoffe, dass hier die Frauen bald aufholen. Sie sehen, um Spitzenkoch zu werden, braucht es mehr als eine gute Nase. Das wäre gut, wenn sich Frauen hier mehr einbringen würden oder anders gesagt: wenn jungen Frauen hier mehr Möglichkeiten geboten werden.

Wir bringen Geruch oft auch mit der Kindheit in Verbindung: Vanillekipferln riechen nach Weihnachten, Kren und Schinken nach Ostern, gegrilltes Fleisch nach Sommer.

Das ist der sogenannte „Proust-Effekt“ – der Schriftsteller Marcel Proust beschrieb sehr genau, wie Gerüche  Erinnerungen auslösen. Das funktioniert ins Negative wie ins Positive. Die Wahrnehmung des Parfums einer ehemaligen Geliebten kann uns in unsere Jugend zurückversetzen; manche Soldaten der US-Armee, die Opfer einer Bombenexplosion wurden, können beispielsweise keine Barbecues mehr machen, weil der Geruch von verbranntem Fleisch sie an den verhängnisvollen Tag zurückbringt. Düfte sind zutiefst mit Erinnerungen verbunden.

Welches wissenschaftliche Ziel verfolgen Sie in der Forschung rund um den Geruchssinn?

Ich beschäftige mich intensiv mit einer Frage: Können wir mithilfe von Riechtests die Früherkennung von Parkinson oder Alzheimer verbessern? Bei diesen neurodegenerativen Erkrankungen sterben gewisse Nervenzellen im Gehirn ab. Die Diagnose wird aber heute erst gestellt, wenn schon viele dieser Neuronen zerstört sind – dann können wir sie nicht mehr herstellen. Wenn wir das frühzeitiger bemerken, dann könnten wir vielleicht zehn oder 15 Jahre Vorsprung bekommen. Und dann könnten andere Forschergruppen Therapien entwickeln, die das Fortschreiten dieser Erkrankungen zu diesem früheren Stadium aufhalten oder bremsen. Das wäre ein Meilenstein der Medizin, der nicht mehr unerreichbar scheint. Ich möchte die Forschung dahingehend weiter betreiben.

Wir verlosen!

Johannes Frasnelli Wir Riechen Besser Als Wir DenkenUnter den fünf Sinnen ist der Geruchssinn der am meisten unterschätzte. Dabei hat er den größten Einfluss auf unsere Emotionen und steuert unser Verhalten mehr als wir vermuten. Der Neurowissenschaftler und Geruchsforscher Johannes Frasnelli – sein Werk wurde als Wissenschaftsbuch des Jahres 2020 in der Kategorie Medizin/Biologie ausgezeichnet – erklärt uns, warum wir viel besser riechen, als wir denken, und was die neuesten Erkenntnisse der Geruchsforschung mit unserem Alltagsleben zu tun haben: etwa, warum wir jemanden im wahrsten Sinne des Wortes gut riechen können, was Riechtraining mit unserem Gehirn macht, wie Ängste und Depressionen unser Riechvermögen verändern und was der Verlust des Geruchssinns mit Alzheimer zu tun hat.

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 17.02.2022
  • Drucken