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04-05/24

Fünf kostbare Essigwurstmomente, die das Herz nähren

Fünf kostbare Essigwurstmomente, die das Herz nähren
Foto: Adobe Stock

Was ernte ich als Erwachsene, wenn ich keine Landwirtschaft betreibe? Auf der Suche nach Ergebnissen, die mich nähren, finde ich fünf persönliche Essigwurstmomente.

„Fei’rabnd“ tönt es laut und zufrieden aus dem Mund meines Opas. Die Heuernte des Sommers ist erledigt und die Rechen und Gabeln werden wieder in die Ecke gestellt. Mein Opa wischt sich mit dem eingesteckten Stofftaschentuch den Schweiß von seiner Stirn. Mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht, das so lebhaft in meinen Erinnerungen erhalten ist, als wäre es gestern gewesen.

Natürlich sind es nicht die geschundenen, staubigen Erwachsenenkörper, die mich an dieser Szene aus meinem Gedankenarchiv so verzücken. Auch nicht das „Brav habt’s geholfen!“, verbunden mit einer festen Umarmung der Oma, die nach dem „Heig’n“ durchgeschwitzt ist. Alles, was danach kommt, leuchtet wie ein heller Stern aus den Bildern meiner Kindheit hervor.

„Eine monströse, grün geflammte Keramikschüssel kommt auf den gedeckten Tisch. Daraus duftet schon die traditionelle Essigwurst.“

Drei Generationen Familie sitzen auf der schattigen Terrasse zusammen. Eine monströse, grün geflammte Keramikschüssel kommt auf den gedeckten Tisch. Daraus duftet schon die traditionelle Essigwurst, garniert mit Scheiben hartgekochter Eier und etwas Schnittlauch aus dem Garten. Gemeinsam wird gegessen und der Durst mit einem eisgekühlten Getränk aus dem Keller gelöscht, wo die Köstlichkeiten für besondere Momente gelagert werden. Es zischt und schmatzt rund um den Tisch, der von einer Dunstglocke der Zufriedenheit, Dankbarkeit und Freude umhüllt ist.

Gesucht: Essigwurstmomente im Hier und Jetzt

Während ich in diesen Erinnerungen schwelge, die etwa dreißig Jahre zurückliegen, frage ich mich: „Was sind meine Erntefreuden, jetzt, wo ich selbst erwachsen bin?“ Wir leben nicht in einem landwirtschaftlichen Betrieb. Meine diesbezüglichen Erträge beziehen sich höchstens auf Minischlangengurken, Cocktailtomaten und Pflücksalat. Für sehr viel mehr reicht mein grüner Daumen nicht – meine Oma möge mir verzeihen. Da ich mein Wirken nicht auf klägliche Gemüseerträge reduzieren mag, suche ich gedanklich nach meinen persönlichen Essigwurstmomenten.

„Gerade als Mutter kann man ein langes Lied davon singen, wie viel Energie, Aufwand und Zeit man investiert, ehe das eigene Tun erste kleine Früchte trägt.“

Wie erkenne ich ehrenwerte Resultate in meinem Leben, meinen Beziehungen? Eine erste Antwort lautet: wenn ich Begegnungen erlebe, die tiefgreifend, bedeutungsvoll, lebendig sind. Situationen, die mein Herz berühren, menschlich und auf Augenhöhe sind. Sie fallen mir nicht zu. Ich arbeite aktiv dafür. Gerade als Mutter kann man ein langes Lied davon singen, wie viel Energie, Aufwand und Zeit man investiert, ehe das eigene Tun erste kleine Früchte trägt.

„In aschling zum Stoaklaub’n“

Lange bevor die später gesäten Samen zu keimen begannen, galt es damals im Frühjahr am Bauernhof meiner Großeltern beim „Stoaklaub’n“ die größten, großen und mittleren grauen Steine zu entfernen. Da wir Kinder „näher am Boden“ waren, schienen wir besonders qualifiziert für diese Tätigkeit. Aufregend an der Plagerei war einzig, dass ich in meinem zarten Alter schon mit dem kleinen Traktor vorfahren durfte, auf dessen Anhänger die Steine gesammelt wurden. Obwohl ich die Kupplung kaum mit dem Körpergewicht treten konnte und meine Oma fast dabei verzweifelte, mir beizubringen, wie ich „in aschling“, also rückwärts, fahre. Ich hatte zwar keine Ahnung, was sie meinte, fühlte mich aber so erwachsen.

Um Wachstum und eine gewinnbringende Ernte in Beziehungen zu gewährleisten, brauchen wir nicht alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Die Fähigkeit, mit Stolpersteinen umzugehen, ist aber dennoch wichtig. Durchhaltevermögen zu zeigen bei dieser schier unendlichen und mühevollen Arbeit, wenn vom erfüllenden Ergebnis noch keine Spur ist. Kräfte zu bündeln und zu verstehen, dass es zusammen besser funktioniert und es dann auch noch leichter und lustiger ist.

Gefunden: fünf ertragreiche Erntemomente

Wenn ich als Mutter nach einem Arbeitseinsatz heimkomme und eine sauber aufgeräumte Küche vorfinde, ist das ein Erntemoment. Weil ich seit vielen Jahren versuche, die Familie aktiv einzubinden. Die Bedeutung der Hausarbeit für ein gutes Zusammenleben scheint nach siebzehntausendmal Vorleben zu sickern. Die gerechte Verteilung der Arbeit, für die ich mich so einsetze, wird nach und nach Wirklichkeit. Denn nein, die kommt nicht von selbst.

Wenn mir Klientinnen berichten, dass ihre dreijährigen Kinder sagen: „Können wir uns das ausreden?“, ist das ein Erntemoment. Weil meine Bemühungen in meiner Arbeit um eine verbindende Kommunikation in Familien wie viele kleine Samen aufgehen. Friedliche Konfliktlösungsstrategien werden gelebt und es bestätigt sich mir: Wenn wir Gutes vorleben, wird Gutes nachgeahmt.

Wenn mein Mann und ich angespannte Alltagssituationen mit Humor und Gelassenheit auflockern oder Konflikte respektvoll austragen können, ist das ein Erntemoment. Weil wir beständig daran arbeiten, unsere Kommunikationskultur zu entwickeln. Die jahrelange Erfahrung zeigt uns, dass wir dichte Phasen im Alltag durchstehen und manches auch so vorbeigeht. Dazu haben wir gelernt, auf uns zu schauen und als Paar Auszeiten zu nehmen, um die Stürme des Lebens besser auszuhalten.

„Die Samen streuen wir seit knapp zwanzig Jahren und wir säen nach, sooft wir die Chance dazu haben.“

Wenn eines der Kinder in der Schule ein „Nicht genügend“ serviert bekommt und sein erster Weg zu mir ist, ist das ein Erntemoment. Weil das bestätigt, dass sie sich bei mir sicher fühlen und wissen, dass sie mit allem ankommen können. Nicht weil ich nie etwas kritisiere, Gott bewahre. Aber weil sie die Gewissheit haben, dass sie geliebt werden, wie sie sind, und die Tür zuhause für sie in allen Lebenslagen die Einfahrt in einen sicheren Hafen bedeutet. Die Samen dafür streuen wir seit knapp zwanzig Jahren und wir säen nach, sooft wir die Chance dazu haben.

Wenn es mir trotz chaotischer Küche und überladenem Schreibtisch gelingt, eine Laufrunde im Wald zu drehen, ist das ein Erntemoment. Weil ich gelernt habe, auf mich selbst zu achten, mir Pausen zu gönnen und gelassen zu bleiben. Jedes Lebensmodell erfordert nun mal seinen Preis. Ich zahle mit Spinnweben im Haus, schimmeligen Resten in der Brotdose oder Bergen unerledigter Wäsche. Einzusehen, dass eben nicht alles hundertprozentig gut unter einen Hut zu bekommen ist, sehe ich als Erfolg. 

Krönender Moment in meinem persönlichen Bullerbü

Die Marinade wird von Opa genussvoll mit dem letzten Bissen Brot aufgetunkt, während wir Enkelkinder schon ungeduldig auf den krönenden Moment warten. Die Älteste der Enkelschar bekommt von ihm einen Geldschein in die Hand gedrückt und die gesamte Rasselbande marschiert für ein Eis zum nächstgelegenen Landgasthaus. „Schaut‘s, dass jeder eins kriegt!“, ruft Opa noch hinterher. Mit dem Gedanken an das cremige Tschisi um fünf Schilling geht sich der Weg fast von selbst. Dieses Mal haben wir besonderes Glück, denn wir bekommen von der gutmütigen alten Wirtin noch ein Milka Naps dazu geschenkt. In meinem ganz persönlichen Bullerbü ist das eine fabelhafte Ausbeute nach dem Erntehelfen.

Arbeit damals auf den Wiesen und Feldern sowie früchtetragende Arbeit heute und immer schon in Beziehungen möchte ich wie folgt beschreiben:

  • Wir säen Samen und warten teilweise lange auf das Ergebnis.
    • Das braucht Vertrauen, Geduld und ein bisschen Segen von oben, damit man von Unwettern und anderen Katastrophen verschont bleibt.
    • Stolperscheine können Wachstum verhindern und es ist mühsam, sich darum zu kümmern.
    • Eine gute Ernte passiert nicht einfach, sie ist das Ergebnis von menschlichem Bemühen.
    • Wenn sich Erfolge einstellen, darf das gefeiert werden.

So wie damals in meiner Kindheit, als diese lauschigen Abende in etwa so endeten: mit klingenden Gläsern, fröhlichem Lachen und echter Dankbarkeit bei Kerzenlicht am Tisch der Erwachsenen. Und mit „1, 2, 3 angeschlagen“, „Schneider, leih mir d’Scha“ oder „Ochs am Berg“ im Garten, wo wir Kinder spielten und das Leben und die Ernte auf unsere Weise bis in die Nacht feierten.

Foto: Marie Bleyer

Kerstin Bamminger

Psychologische Beraterin & Elementarpädagogin

Web: kerstinbamminger.com
Mail: [email protected]
Instagram: @die.beziehungsweise

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  • Veröffentlicht: 19.09.2023
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