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04-05/24

Frida Kahlo: Malerin, Liebende und Leidende

Frida Kahlo: Malerin, Liebende und Leidende

Die mexikanische Malerin Frida Kahlo verwandelte die Schicksalsschläge, die sie erlitt, in Kunstwerke. Ihre Selbstporträts machten sie zu einer Ikone – und erzählen die Geschichte einer Frau, die das Leben trotz allem liebte.

Frida sieht doppelt. Hebt sie den Kopf, sieht sie sich im Spiegel, der über ihrem Bett angebracht ist: Ein junges, blasses Mädchen mit dunklen Augen und starken Brauen, dessen Oberkörper in einem Gipskorsett steckt. Ein schwerverletztes Mädchen mit dutzenden Knochenbrüchen und einer Wunde unter dem Nabel, die ihr für immer die Hoffnung auf Kinder genommen hat. Frida senkt den Blick auf die Leinwand in ihrem Schoß. Von dort blickt ihr eine zweite Frida entgegen. Ein gesundes Mädchen mit rosigen Wangen und verführerischem Blick, das ein rotes Samtkleid trägt und dem Betrachter die Hand entgegenstreckt. Frida greift nach ihrem Pinsel. Sie entscheidet sich für die Frida auf dem Bild.

Frida Kahlo wird am 6. Juli 1907 in Coyoacán, einem Vorort von Mexiko-Stadt, geboren. Ihr Vater Guillermo ist ein deutscher Einwanderer, ihre Mutter Matilde Mexikanerin. Mit sechs Jahren erkrankt Frida an Kinderlähmung und behält ein verkümmertes Bein zurück. Sie treibt trotzdem Sport, interessiert sich für Fotografie und Naturwissenschaften und will Ärztin werden.

Frida ist wild, gewitzt und rebellisch. Als sie mit fünfzehn Jahren an eine renommierte Schule kommt, schließt sie sich einer Schülerbande an, die dort Unruhe stiftet. Ein Ziel ihrer Streiche ist der berühmte Maler Diego Rivera, der in der Aula der Schule ein Wandgemälde anbringt. Frida bewundert ihn insgeheim, doch verliebt ist sie in jemand anderen – Alejandro, den Anführer ihrer Bande.

Mit ihm ist sie unterwegs, als sich drei Jahre später der Unfall ereignet. Der Bus, in dem die beiden sitzen, wird von einer Straßenbahn gerammt. Dabei bricht eine Haltestange und durchbohrt Fridas Becken. Sie erholt sich nie ganz und hat den Rest ihres Lebens Schmerzen. Immer wieder muss sie operiert werden und Korsette aus Gips und Stahl tragen, die ihre beschädigte Wirbelsäule begradigen sollen. Auch Kinder wird sie nie bekommen können. Nach dem Unfall liegt die Achtzehnjährige monatelang im Bett. Ihr Vater kauft ihr Farben und eine spezielle Staffelei, damit sie im Liegen malen kann. Alejandro hat den Unfall unverletzt überlebt und verlässt Frida. In ihrem Liebeskummer lässt sie einen Spiegel über ihrem Bett anbringen und malt ihr erstes Selbstporträt. Die ausgestreckte Hand der gesunden Frida im roten Samtkleid, sie gilt ihm.

Danach ist die Malerei alles, was sie noch hat. Auf der Suche nach einer Einschätzung ihrer Fähigkeiten bringt sie ihre Bilder zu Diego Rivera, der Jahre zuvor in ihrer Schule gemalt hat. Der international gefeierte Künstler ermutigt sie, weiter zu malen. Er ist zwanzig Jahre älter als Frida, fettleibig, ein notorischer Frauenheld – und die Liebe ihres Lebens.

Diego und Frida heiraten 1929. Beide sind Künstler und glühende Kommunisten, ansonsten haben sie wenig gemeinsam: Die Leute spotten über das ungleiche Paar und nennen sie „den Elefanten und die Taube“. Es ist eine stürmische, leidenschaftliche Ehe. Diego ist Frida nie treu und versucht auch nicht, das zu verbergen. Einmal betrügt er sie mit ihrer eigenen Schwester. Die beiden lassen sich scheiden, heiraten erneut, betrügen sich gegenseitig und können doch nicht ohne einander. Einmal sagt Frida: „Ich hatte in meinem Leben zwei große Unfälle. Der erste war die Straßenbahn, der zweite war Diego.“

Anstatt zu verzweifeln, stürzt sich Frida ins Leben. Sie trägt traditionelle mexikanische Tracht, Unmengen an Schmuck und flicht Blumen und Bänder in ihr Haar. Sie hat ihrerseits zahllose Affären mit Männern und Frauen, trinkt, tanzt, raucht und gibt rauschende Feste. Ihren Schmerz verarbeitet sie in ihrer Kunst. Meist malt sie sich selbst, mit markanten Brauen und hochgestecktem Haar, umgeben von Pflanzen, Blumen und Tieren. Sie ordnet jeder Farbe eine Bedeutung zu und versteckt oft geheime Symbole und Botschaften in ihren Bildern. Auch ihre politische Überzeugung und ihr Stolz auf ihre indigene Abstammung finden sich in ihren Gemälden wieder.

Frida hat immer wieder Ausstellungen im Ausland, wird von europäischen Surrealisten bewundert und von Picasso verehrt. Auch das Louvre kauft eines ihrer Selbstporträts. Doch ihre erste Ausstellung in ihrer Heimat hat sie erst 1953. Da geht es ihr gesundheitlich schon so schlecht, dass sie mitsamt ihrem Bett in die Galerie getragen werden muss. Gekleidet wie eine Königin liegt sie inmitten der Besucher und hält Hof. In den Jahren zuvor ist sie dutzende Male operiert worden und hat ihr rechtes Bein an Wundbrand verloren. Ihre Schmerzen betäubt sie mit Medikamenten und Alkohol. Ein Jahr später verstirbt sie im Alter von nur siebenundvierzig Jahren. Ihr letztes Bild trägt den Titel „Viva la vida“ – Es lebe das Leben.

Ricarda OpisRicarda Opis

wurde 1996 in Graz geboren und studierte ebendort Journalismus und Public Relations (PR). Sie erzählt am liebsten die Geschichten von Frauen und Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Für diese Serie verbindet sie ihre beiden größten Leidenschaften, indem sie die Geschichten großer Frauen nicht nur erzählt, sondern auch bebildert. Wenn sie nicht gerade schreibt oder zeichnet, begeistert sie sich für alles, was sonst noch kreativ ist, und die Geschichte, Kulturen und Politik des Nahen Ostens.

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  • Veröffentlicht: 15.11.2019
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