17 Kapitel erzählen vom Schmerz des englischen Uhrmachers Alister Cox, dessen Versuch, diesen zu lindern und sich dafür technischen Herausforderungen zu stellen. Die Reise führt weg von England, weg vom Grab der fünfjährigen Tochter Abigail und seiner seit deren Tod in Schweigen verfallenen Ehegattin Faye. Alles, was Cox außer Mechanik und Präzision je etwas bedeutet hat, ist gestorben, ist ausgelöscht und vergangen.
So nimmt Cox die Einladung des Kaisers von China an, segelt mit dreien seiner besten Handwerker zu ihm, um in der Verbotenen Stadt Uhren nach dessen Geschmack, dessen Vorgaben und Befehlen zu erbauen bzw. zu erschaffen. Genau zwei Monate Bedenkzeit hatte sich Cox erbeten, bevor der diese Einladung Quánlóngs angenommen und zum Zeichen seines Einverständnisses den mit Tusche gezeichneten Plan eines Eisvogels nach Beijing geschickt hat.
Der Hofstaat des Kaisers von China, seine Konkubinen und die Übersetzer sind überrascht von dem Vertrauen, das Meister Cox und seinen Gehilfen – selbst wahre Meister – geschenkt wird. Keine Materialbestellung ist zu speziell oder kostspielig: Die Intrigen beginnen zu brodeln und erreichen ihren Höhepunkt, als der Kaiser die Hütte der Handwerker nur in Begleitung seiner Lieblingskonkubine und des Übersetzers betritt.
Der Zauber dieser Momente liegt in deren detailreicher Beschreibung, Meister Cox hat genau diese Konkubine vom Schiff aus gesehen und verzehrt sich seither vor Sehnsucht nach ihr. Sie erinnert ihn an seine Frau, die er seit sie ein Kind ist, kennt. Sie hat ihn bewundert, ihr Vater, dessen Brotherr Cox ist, drängte sie zur Heirat und ignorierte ihre Verzweiflung ob der sexuellen Begierden ihres Ehemannes, so hatte sie sich Erfüllung nicht vorgestellt.
Furcht herrscht in der Verbotenen Stadt, niemand wagt es, dem Kaiser zu widersprechen, nur diese Konkubine darf ihn foppen und mit ihm lachen und er – der Engländer, der so Kurioses produziert, der stets neue Ideen aufbringt und den Herrscher auf magische Weise zu verstehen scheint. So konstruiert er für ihn auch das Silberschiff und reist mit ihm nach Jehol am heißen Fluss; auf dieser Reise stirbt einer der Gehilfen und wird – sei es Zufall oder Bestimmung – so begraben, dass sein Grabmal den Lauf und das Verrinnen der Zeit symbolisiert.
Daß der Kaiser seine Ankunft im Sommer mit dem ersten Ton des Glockenspiels dieser Uhr verbinden wolle und mit diesem Klang den Beginn einer neuen Jahreszeit festlege, sagt Kiang, sei vielleicht ein Zeichen der höchsten Gunst, das allein seinen Gästen galt. … Selbst ein graues Ding der Wirklichkeit, das unter Verschluß gehalten und nur selten gezeigt wurde, konnte dadurch ins Maßlose, ja Wunderbare überhöht werden und adelte jeden damit Befaßten. (S. 204)
Hierarchien, Graumsamkeit und Willkür eines Herrscher, Intrigen, Sehnsüchte, Verzweiflung und Ergriffenheit sind hier verwoben; es gelingt auf einmal nicht mehr den Kaiser von China nur noch als machtbesessenen Egomanen zu erleben, der sich an Hinrichtungen zu erfreuen mag. Cox empfindet Zuneigung zu seinem Auftraggeber und willigt ein, das perpetuum mobile als Verwirklichung einer jahrhundertealten Sehnsucht für ihn zu bauen. Cox erinnert sich an Faye und Abigail, an sein Sehnen nach diesen beiden Menschen, die er verloren glaubte.
Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Zeitgefühl, Lust, über Zeit zu philosophieren, Nachdenken über Macht und Machtgebärden, Sehnsucht und Leidenschaft, Facetten des maßlosen Kaisers von China und dessen Insignien der Macht, Ideen zum Verrinnen der Zeit und der Zeitmessung.
Der Autor, 1954 in Wels geboren, macht mit Werken wie „Die letzte Welt“, „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ und „Morbus Kitahara“ das Erzählen selbst immer wieder zum Thema; seine Bücher, in mehr als 30 Sprachen übersetzt, führen gleich nach ihrem Erscheinen sofort die Bestenlisten an.
Christoph Ransmayr:
Cox oder der Lauf der Zeit.
Roman.
Frankfurt: Fischer Verlag 2016.
302 Seiten.