Für die deutsche Wirtschaftsexpertin Henrike von Platen ist der Gender-Pay-Gap ein „Lieblingsthema“. Und: Sie hat konkrete Ideen, wie wir noch heute mit dem Schließen der Lohnschere loslegen können.
Wie wichtig ist es, das Thema Gender-Pay-Gap immer wieder zu thematisieren?
Es ist extrem wichtig, dass wir viel mehr über Geld sprechen. Das tun wir nämlich viel zu wenig – in Österreich wie in Deutschland und in allen anderen Ländern. Man redet nicht über Geld, egal, ob man es hat oder nicht. Dabei würde der Austausch über Geld und speziell über Gehälter zu einer viel größeren Transparenz führen. Was kann ich in welchem Job verdienen? Das ist schon für Kinder und Jugendliche wichtig, weil es genau da anfängt. Und es endet beim Glauben, dass das eigene Gehalt „schon passen wird“ – dass der Mann neben mir das doppelte verdient, weiß ich nicht. Deshalb ist das Darüber-Reden der erste wichtige Schritt, weil er zu Transparenz führt und die Aktivität mit anderer Kraft einsetzt.
Welche Aktivität ist damit gemeint?
Aktivität kommt von allen Seiten. Wenn wir jetzt mehr über Gehälter sprechen, wird offenkundig, dass es eine Schieflage gibt, und so trauen sich mehr Menschen, beim Arbeitgeber nachzufragen, warum das so ist. Dazu kommt, dass durch unterschiedliche Transparenzgesetze in vielen Ländern gute rechtliche Grundlagen entstehen. Es wird zur Normalität, über Geld zu sprechen, das ist der gesellschaftliche Teil des Weges. Junge Frauen wie Männer, die nach der Ausbildung in einen Job starten, haben noch nicht einmal darüber nachgedacht, wie viel Geld sie dort verdienen können und wie viel Geld sie eigentlich brauchen.
Ist die Transparenz per Gesetz ein geeignetes Mittel gegen den Gender-Pay-Gap?
Transparenz hat viele Facetten und das deutsche Gesetz alleine reicht in diesem Fall nicht aus. Denn auch wenn die Menschen wissen, dass sie zu wenig verdienen, müssen sie es immer noch einklagen. Es ist gut, dass immer mehr Gesetze kommen – wie die EU-Direktive zur Gehältertransparenz die bereits verhandelt und hoffentlich schnell wirksam wird. Was aber bereits wirkt, ist, dass Menschen allein durch die Ankündigung eines solchen Gesetztes selbst animiert sind, sich zu bewegen, nachzufragen. In Großbritannien müssen Unternehmen seit einigen Jahren die Lohnlücken veröffentlichen und es ist spürbar, dass die Unternehmen aktiver sind, wenn es um faire Bezahlung geht. Denn es tut weh, wenn schlechte Zahlen veröffentlicht werden müssen. So etwas wirkt.
„Eine Stunde Arbeit an einer Maschine ist mehr wert als eine Stunde Arbeit am Menschen. Ein Grund dafür ist auch der Kapitalismus: Durch Pflege gibt es keine Wertschöpfung.“
Was hängt alles am Gender-Pay-Gap – es geht ja um mehr als „nur“ Geld, oder?
Was mich am meisten bewegt, ist, dass der Wert der Arbeit, die ein Mensch verrichtet, sehr unterschiedlich bemessen wird. Das Geld als unser Wertmaß zeigt, dass bestimmte Arbeit von uns nicht wertgeschätzt wird. Am deutlichsten ist das im Care-Bereich, wo klassischerweise Frauen gratis arbeiten – seit Jahrhunderten wird das Putzen, Pflegen und Hegen den Frauen zugeschrieben. Menschlich betrachtet ist uns diese Arbeit extrem wichtig, aber wir bezahlten sie nicht entsprechend. Da gibt es eine Schieflage: Eine Stunde Arbeit an einer Maschine ist mehr wert als eine Stunde Arbeit am Menschen. Ein Grund dafür ist auch der Kapitalismus: Durch Pflege gibt es keine Wertschöpfung.
Was braucht es für Veränderungen?
Was wir auf keinen Fall brauchen, ist es, Frauen Techniken beizubringen, dass sie in Verhandlungen im Zweifel genauso rüberkommen wie Männer. Vielmehr brauchen wir Trainings für die Personalverantwortlichen, die – vielleicht unbewusst – Frauen und Männer unterschiedlich bewerten. Dort müssen wir etwas beheben. Wir brauchen die Veränderungen in den Strukturen von Unternehmen, nicht an den Frauen. Alle Coaches, die jetzt Frauen trainieren, zu verhandeln, sollten umschulen und Personalverantwortliche coachen, gendergerecht und vorurteilsfrei einzustellen.
Wer ist denn nun gefordert, den Kampf gegen den Gender-Pay-Gap anzutreten?
Im Grunde müssen wir alle unseren Teil erfüllen. Die Menschen reden mehr über Geld und Gehälter, die politische Seite verändert Strukturen durch gute Gesetze, die Unternehmen analysieren ihre Entgeltstrukturen und schließen die eigenen Lohnlücken. Was ich über die Jahre gelernt habe, in denen ich mich mit diesem Thema beschäftige: Um den Wandel zu beschleunigen, ist es am effektivsten, wenn die Unternehmen sich bewegen. Deshalb habe ich auch ein Zertifikat ins Leben gerufen, das Unternehmen auszeichnet, die fair bezahlen. Für sie ist die Umsetzung auch nicht schwierig – sie müssten nur den Ist-Stand analysieren, die Gehälter anpassen und dann dafür sorgen, dass das auch so nach außen transportiert wird. Es wäre ein großer Schritt, der schnell umsetzbar wäre und uns so dem Ziel einer fairen Arbeitswelt rasch näherbringen würde. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter ist im Übrigen dazu aufgefordert, diesen Prozess bei der Personalabteilung anzustoßen, nachzufragen: Zahlen wir eigentlich fair?
„In der Regel kostet das Schließen der unerklärbaren (bereinigten) Lohnlücke zwischen einem und drei Prozent der Jahreslohnsumme. Das ist nicht viel. Die positiven Folgewirkungen gleichen das leicht aus.“
Ist faire Bezahlung ein finanzieller Nachteil für Unternehmen?
Nein. Sie ist vielmehr von Vorteil. Zum einen werden sich mehr Menschen – Stichwort: Fachkräftemangel – bewerben, wenn klar ist, dass hier fair bezahlt wird. BewerberInnen achten auf Fairness und eine gute Unternehmenskultur. Zum anderen ist es auch günstiger, als man denkt. In der Regel kostet das Schließen der unerklärbaren (bereinigten) Lohnlücke zwischen einem und drei Prozent der Jahreslohnsumme. Das ist nicht viel. Die positiven Folgewirkungen gleichen das leicht aus.
Wieso ist faire Bezahlung ein Vorteil für alle?
Wir alle wollen Chancengerechtigkeit haben. Der erste Schritt, dies zu erreichen, ist, Frauen und Männer gleich zu bezahlen. Es gibt keinen einzigen Nachteil von fairer Bezahlung.
Wie lange denken Sie, wird es dauern, bis sich die Lohnschere schließt?
Den unbereinigten Gender-Pay-Gap unternehmensübergreifend auf Deutschland bezogen von rund 18 Prozent zu schließen ist aufwendig und fordert uns alle, weil daran die Großbaustellen der Gesellschaft hängen, wie etwa, dass typische „Frauenberufe“ unterbezahlt sind. Da braucht es politischen Willen und eine gesellschaftliche Veränderung. Auf Ebene der Unternehmen, wäre es relativ rasch erledigt, innerhalb eines Jahres könnten Unternehmen faire Bezahlung umsetzen. Wir könnten sofort anfangen, über Geld und Bezahlung zu reden, die Unternehmen könnten morgen mit ihrer Analyse beginnen und die Politiker, Gesetze auf den Weg zu bringen. Wenn wir alle daran arbeiten, sind wir in ein paar Jahren am Ziel. Es passiert aber nicht von alleine.