Eva Menasse nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Diese Haltung hat sie sich lange erarbeiten müssen. Ende vergangenen Jahres erhielt die Schriftstellerin den Österreichischen Buchpreis.
Einige Wochen vor ihrem vierzigsten Geburtstag im Mai 2010 machte sich die Schriftstellerin Eva Menasse ein spezielles Geschenk: Sie beschloss, Gesangsstunden zu nehmen. Dass sie einige Monate später auf der Bühne mit Liedern brillieren würde, hätte sie nicht gedacht. Denn eigentlich ging es ihr bei diesem Experiment um etwas anderes, nämlich die Schmach zu überwinden, die ein Lehrer ihr zugefügt hatte, als er sie beim Vorsingen verspottete. Damals war Menasse zwölf. Fortan wollte sie es schaffen, Niederlagen nicht „egozentrisch zum Charakterfehler aufzublasen“, sondern furchtlos nach vorn zu blicken, ins Auge des Sturms. Eva Menasse, 1970 in Wien geboren und seit 2003 in Berlin ansässig, ist eine unerschrockene Autorin. In ihren Romanen, Erzählungen und Essays zu Literatur und Politik macht sie sich immer wieder selbst zum Thema. Auf diese Weise hat sie ein Œuvre geschaffen, das unverwechselbar und kraftvoll ist und zugleich ein Spiegel unserer Zeit. Ihre Stimme ist selbstbewusst, die Sprache sicher in den Melodien, Rhythmen und Tonlagen.
PROPHETISCHE BELEIDIGUNG
Dabei war Eva Menasse eine zwar hochbegabte, aber überaus scheue junge Frau, als sie sich mit 18 Jahren der Wochenzeitschrift „Profil“ als Praktikantin andiente. Nach einer Probezeit nahm man sie als Redakteurin im Ressort „Gesellschaft“ unter Vertrag und machte sie zuständig für alles, was „nicht Kultur, Politik oder Wirtschaft“ war. Ein Intensivkurs in Sachen Leben und eine perfekte Schule. Als sich einer der arrivierten Redakteure anschickte, ihre eigenwilligen Texte stilistisch zu bearbeiten, wehrte sie sich gegen die Eingriffe und musste sich daraufhin eine boshafte Bemerkung gefallen lassen: Ob sie denn meine, eine Schriftstellerin zu sein? Eine fast schon prophetisch anmutende Beleidigung. Es dauerte lange, ehe Eva Menasse im Frühling 2005 mit ihrem ersten Roman an die Öffentlichkeit trat. „Vienna“, die Geschichte einer jüdisch-sudentendeutschen Familie, bescherte ihr heftigen Applaus des Publikums und entließ sie aus dem Schatten ihres damals noch ungleich berühmteren Halbbruders Robert Menasse.
DER SCHWEIGENDE VATER
Sie sei mit der Freude an Wortwitz und Anekdotischem aufgewachsen, berichtet die Autorin. Die heimischen Gespräche am Mittagstisch und beim Abendessen hätten ihre Lust am Schreiben und Fabulieren entzündet. Schon in „Vienna“ schlägt sie jenen Ton an, der ihre Prosa so unverwechselbar macht: eine subversive Mischung aus Komik, Satire und Boshaftigkeit. In den folgenden Büchern – darunter der Erzählband „Lässliche Todsünden“ (2009) und der sinnliche, perspektivisch spannende Roman „Quasikristalle“ (2013) – tauchte sie weiter in das Gefüge familiärer Verstrickungen ein und beschrieb dabei Beziehungsgeflechte und weibliche Lebenswelten in vielerlei Spielarten; sie ist unterhaltsam und subtil in der Analyse festgefahrener Rollenmodelle. Spätestens mit dem Erfolg ihrer Bücher hat Eva Menasse ihre Schüchternheit überwunden. Sie scheut sich nicht, Stellung zu beziehen. Dieses Auftreten hat sie sich mühsam aneignen müssen. Ihr Vater Hans, ein Fußballstar der Nachkriegsära, hat ungern über seine Jugend gesprochen: Man hatte den Buben 1938 von den Eltern getrennt und ihn im Zuge einer britischen Hilfsaktion vor dem Holocaust nach England in Sicherheit gebracht. Im Nachkriegsösterreich beschloss er, sich anzupassen und über die Verbrechen der Nazis zu schweigen. Auf diese Weise glaubte er seine Familie vor antisemitischen Angriffen zu schützen. Seine Kinder mahnte er zur Mäßigung.
Eva Menasse: Kunstwerke mit Hintersinn
Literatur „hat dunkle Farben und trübe Winkel, nur deshalb leuchtet sie und deshalb klärt sie auf“, so lautet das poetische Credo Eva Menasses. In ihrem Essayband „Lieber aufgeregt als abgeklärt“ zeigt sich die 47-Jährige als scharfzüngige Feuilletonistin. Ob es die Briefe Virginia Woolfs sind, über die sie schreibt, oder die Romane von Imre Kértesz, ob sie Überlegungen zur Meinungsfreiheit anstellt oder zur Hassliebe zwischen Deutschen und ÖsterreicherInnen: Menasses Reden und Aufsätze öffnen den Blick. Ähnlich erhellend sind die Geschichten aus dem Erzählband „Tiere für Fortgeschrittene“. Ausgehend von kurzen, skurrilen Tiermeldungen aus Zeitungen entwirft die Autorin ein Panorama menschlicher Irrungen und Wirrungen: Da erlebt die Patchworkfamilie auf Urlaub eine fragile Idylle. Oder es erlebt eine Mutter, die öffentlich Partei für einen muslimischen Buben ergreift, wie widersprüchlich das Wissen um Recht und Unrecht eigentlich ist. Eva Menasses Menschenfabeln stecken voller Scharfsichtigkeit und Humor; es sind sprachlich funkelnde Kunstwerke mit Hintersinn.
Eva Menasse:
Lieber aufgeregt als abgeklärt.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, 19,60 Euro
Eva Menasse:
Tiere für Fortgeschrittene.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, 20,60 Euro
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Erschienen in „Welt der Frauen“ 01-02/18