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04-05/24

Es ist mehr als gut geworden

Es ist mehr als gut geworden

Vor vier Jahren stand Barbara Pachl-Eberhart, Buchautorin, Coachin und Vortragende, auf der Bühne einer „Wendezeiten“-Veranstaltung. Seither hat sich ihr Leben zum wiederholten Mal komplett gewendet.

Die Frau, die 2008 ihre beiden Kinder und ihren Mann durch einen Unfall verloren hatte, war sich damals sicher: Sie würde nie wieder ein Kind haben. Gerade als sie diese Tatsache akzeptiert hatte, wendete sich ihr Leben erneut. Heute, auf der Bühne der aktuellen „Wendezeiten“-Veranstaltungsreihe, die einmal quer durch die Steiermark führt, erzählt die Frau, die durchgestanden hat, was man für undenkbar hält, wie sie es geschafft hat, ihren „Angstgespenstern“ ins Auge zu sehen.

Da war die Angst vor Verlust, der sie entgegentrat, indem sie das Vakuum, das sie fühlte, neu zu befüllen versuchte. Oder die Angst vor den negativen Gefühlen, die sie besiegte, indem sie sich selbst und diese Gefühle akzeptierte. Und auch mit der Angst, es nicht allein zu schaffen, setzte sie sich auseinander, indem sie lernte, Hilfe anzunehmen.

Die erste Wende

Als ihr Mann Heli und ihre Kinder Thimo (6) und Valentina (2) bei einem Autounfall starben, verbohrte sich Barbara Pachl-Eberhart regelrecht in einen Wunsch: Sie wollte ein neues Kind, „am besten sofort“. Allen Ernstes überlegte sie, zu einer Samenbank zu gehen oder einen schwulen Freund um die Vaterschaft zu bitten. „Gott sei Dank habe ich nichts davon umgesetzt“, sagt Pachl-Eberhart. „Ich durfte lernen, mich zu fragen, was sich hinter meinem Kinderwunsch eigentlich verbirgt. Was es ist, das ich am meisten vermisse? Unbeschwertheit, Lachen, Spielen, Kuscheln – es lag an mir, mir diese Qualitäten zurückzuerobern, auch ohne Kind.“

Im März 2015 wendete sich ihr Blatt. Auf einer Lesereise bemerkte Pachl-Eberhart, die inzwischen eine neue Partnerschaft eingegangen war, dass ihre Menstruation schon recht lange auf sich warten ließ. „Vielleicht bin ich im Wechsel“, dachte die damals 41-Jährige, doch als sie sich beim Frühstück im Hotel dabei ertappte, wie sie ein Essiggurkerl in ihren Obstsalat schmiss, keimte ein Verdacht auf. Wenige Stunden später hielt sie einen Schwangerschaftsstreifen mit positivem Ergebnis in Händen. Sie jubelte, spürte: „Mein Leben darf noch einmal ganz anders werden!“ – und wusste im selben Moment, dass ein Kind neben Leichtigkeit und Spaß auch radikale Veränderung und Verantwortung bedeutete. Verantwortung, nicht mehr nur für sich allein.

Ein Rettungsring für Viele

Zu jener Zeit war Pachl-Eberhart ausgelaugt und erschöpft von ihrer Arbeit als Trauerbegleiterin, die sie nach dem Unfall begonnen hatte. Ständig war sie für Lesungen und Seminare unterwegs. Der Stress zehrte an ihr. Sie sah die Vortragsanfragen als Verpflichtung an: „Das Leben hat mich an einen Platz gesetzt, an dem ich vielen anderen helfen und Mut schenken konnte. Diesen Auftrag wollte ich so gut erfüllen, wie ich nur konnte.“
Außerdem war sie längst eine Marke: die Frau, die Vorträge über Trauer hielt. Ein Leuchtturm, der gebraucht wurde und scheinbar unermüdlich strahlte. Ein Rettungsring, an den viele sich klammerten. Doch wo sie auftrat, schwang der Tod mit. Signierstunden wurden zu langen Trauersprechstunden. Zu spät merkte die zierliche Autorin, dass dieser Einsatz längst über ihre Kräfte hinausging.

„Tiefe Seelenrufe hört man nicht, wenn man in Arbeit ertrinkt.“
Barbara Pachl-Eberhart
Barbara Pachl-Eberhart mit ihrem Kind

Feindliche Lebensumstände

Der positive Schwangerschaftstest fühlte sich wie eine Erlösung an. Zugleich trieb Pachl-Eberhart der Blick in ihren vollen Terminkalender den Schweiß in den Nacken: „Wie soll ich das alles schaffen mit der neuen Herausforderung? Ich habe doch erst meinen Rhythmus gefunden. Jetzt soll wieder alles anders werden?“ Zwei Wochen später, rund um ihren 41. Geburtstag, an dem sie mit Grippe im Bett lag, verabschiedete sich das Wesen in ihrem Bauch. „Die Fehlgeburt machte mir meine eigenen feindlichen Lebensumstände bewusst. Als ich mir diese Wahrheit eingestand, heulte ich Rotz und Wasser. Sieben Jahre nach dem Tod meiner Familie ging mein drittes Kind von mir.“

Barbara Pachl-Eberhart deutete dieses Erlebnis als „Abschlussprüfung“: In ihren Vorträgen sprach sie von der Fähigkeit, Verluste in Würde anzuerkennen. Nun sollte sie beweisen, dass sie in der Lage war, das zu leben, was sie anderen predigte. „Ich stellte mich der Endlichkeit. Ich akzeptierte, dass ich mit 41 wohl zu alt für ein Kind war. Ich würdigte den gefühlten Verlust meiner Fruchtbarkeit und weinte so lange, bis sich jeder Widerstand, jedes Ankämpfen löste“, sagt sie.

Die Leichtigkeit begrüßen

Barbara Pachl-Eberhart begriff, dass sie die Leichtigkeit begrüßen und etwas aus ihr machen durfte. Sie nahm keine weiteren Anfragen für Trauervorträge mehr an und erlaubte ihrem Kalender, leerer zu werden. „Das war die beste Entscheidung. Tiefe Seelenrufe hört man nicht, wenn man in Arbeit ertrinkt.“
Pachl-Eberhart begab sich in einen Dialog mit ihren Gefühlen. Um schwarz auf weiß zu sehen, was sich in ihr abspielte, griff sie zu Stift und Papier und notierte die vielen feinen Stimmen in ihr. So kamen ihre Traurigkeit, Wut und Angst ins Fließen. Dass sie zu jener Zeit viel schrieb, erwies sich als hilfreich. „Was mir am Schreiben so gefällt, ist, dass es uns zugleich in die Ehrlichkeit und in die Einfachheit führt.“

Das Leben hat Humor

Vertrauen, Zuversicht, Hingabe – Werte, die sie erworben hatte und an andere Menschen weitergab. Nicht mehr, indem sie über Trauer und Schicksalsbewältigung sprach, sondern indem sie Schreibseminare hielt. Auch der Poesie und dem Blödeln widmete Pachl-Eberhart ganze Seminarwochenenden. Im Juni 2016 hielt sie ein Seminar zum Thema „Schreiben für Kinder“. Vom Spaß in der Gruppe angesteckt, beschloss sie, sich 2017 freizunehmen, um selbst ein Kinderbuch zu schreiben. Sie betete: „Liebes Leben, lieber Gott, ich wünsche mir wieder mehr Anschluss an die kindliche Welt. Könnt ihr mir da vielleicht helfen?“

Wenige Wochen später war die Antwort da: Sie, die Frau, die dachte, zu alt für Kinder zu sein, und sich endlich zugestand, auch ohne Kind glücklich sein zu können, hielt erneut einen positiven Schwangerschaftstest in Händen. „Das Leben hat Humor“, sagt Pachl-Eberhart. „Sobald wir glauben, wir hätten etwas begriffen, überrascht es uns aufs Neue. Mit Erika, meinem Überraschungskind, das ich im März 2017 zur Welt bringen durfte, hatte ich nicht mehr gerechnet. Es ist alles mehr als gut geworden“, sagt sie.

Fotos: Alexandra Grill, Nina Goldnagl

Erschienen in „Welt der Frauen“ Oktober 2019 – Sonderausgabe Steiermark

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  • Veröffentlicht: 15.10.2019
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