Weder über ihr Vermögen noch über die eigene Endlichkeit reden Menschen gerne. Doch Gespräche darüber, was wer wann geschenkt oder vererbt bekommt, sind ratsam. Sie machen es möglich, den familiären Zusammenhalt für die nächsten Generationen zu festigen.
Die Mutter von Sabine W. war zehn Jahre hilfsbedürftig gewesen. Der jüngste Sohn hatte sich um sie gekümmert. Nie war in der Familie über Erben und Vererben gesprochen worden. Der Einladung zur Verlassenschaftsabhandlung der toten Mutter lag eine Kopie ihres Testaments bei. Außer den Pflichtteilen war das Vermögen an den jüngsten Sohn gegangen. „Als wir Geschwister ins Haus der Mutter kamen, waren die schönen Stücke bereits weg und keines ihrer Schmuckstücke mehr da“, erzählt Sabine W. In einer Lade fand sie alte Sparbücher mit hohen Geldeinlagen. Die Anfechtung des Testaments durch eine Schwester, die sich total benachteiligt fühlte, brachte keinen Erfolg. Der Kontakt zum Alleinerben ist abgebrochen.
Keine Frage des Alters
Laut Schätzung des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) werden jährlich Vermögenswerte in der Höhe von circa 27 Milliarden Euro zu Lebzeiten verschenkt oder vererbt. Sukzessive übergibt die „Wiederaufbaugeneration“ ihr Eigentum an die Nachfolgenden. ProfiteurInnen der „Immobilien-Erbschaftswelle“ sind fast ausschließlich Familienmitglieder oder nahe Verwandte. Doch weniger als ein Drittel der ÖsterreicherInnen verfassen ein Testament. In juristischen Fachkreisen ist von einer regelrechten Testamentsphobie die Rede. Wird über Ableben und das eigene Vermögen so ungern nachgedacht? „Ja“, weiß Notar Ulrich Weichselbaumer aus Erfahrung, „dabei lassen sich viele Erblasser die zahlreichen Gestaltungsmöglichkeiten entgehen, die das österreichische Erbrecht bietet.“
Der letzte Wille sollte seiner Meinung nach rechtzeitig dokumentiert und nicht auf die lange Bank geschoben werden. Denn sein Inhalt ist nicht „für die Ewigkeit“ gemacht. Sinn und Zweck ist vielmehr, den aktuellen Willen zu bekunden: „Wie und wem will ich vererben, wenn ich morgen die Augen zumache?“ Die Abfassung eines Testaments ist keine Frage des Alters. Vor allem junge Menschen sollten sich mit dem Thema „Hinterlassenschaft“ auseinandersetzen, „weil noch sehr viele Lebensveränderungen anstehen können“.
Aus seiner Praxis weiß Weichselbaumer von Fällen, in denen verstorbene Häuselbauer Frau und Kinder mit einem großen Schuldenberg hinterließen, da die Hinterbliebenen testamentarisch nicht abgesichert waren und sich das Haus letztlich nicht mehr leisten konnten. Oder er erzählt von einem Lebensgefährten, der mit den Kindern aus der Wohnung ausziehen musste, da seine verstorbene Partnerin kein Testament hinterlassen hatte.
Junge Eltern können in einem Testament auch Wünsche betreffend die Person, die das minderjährige Kind im Falle ihres gemeinsamen Todes betreuen sollte, äußern. Notar Weichselbaumer empfiehlt, ein Testament regelmäßig auf seinen Sinngehalt zu überdenken. Schließlich ändert sich das Leben, manchmal auch die Nähe zu Menschen. Abhängig von gesundheitlichen, familiären oder persönlichen Umständen kann sich damit auch der Blick auf den „letzten Willen“ verlagern. Notare und Notarinnen bieten kostenlose Erstgespräche an. Vorteilshaft ist es mit klaren Vorstellungen zu kommen: Was ist bereits geregelt? Was muss noch geklärt werden oder was sollte in Etappen abgehandelt werden?
Veraltetes Erbrecht?
Das österreichische Erbrecht geht im Wesentlichen auf das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) von 1811 zurück. Doch seine Adaptierung an gesellschaftliche Veränderungen dauern dem Juristen Weichselbaumer zu lange. „Besonders die Diskussion um die rechtliche Gleichstellung von Lebensgefährten gestaltet sich in Fachkreisen sehr langatmig.“ Ebenso „der Kampf um das Pflichtteilsrecht“, wie Christian Rabl, Professor an der Universität Wien, in einem gleichnamigen Artikel in der Österreichischen Notariatszeitung formulierte. Er sieht im Recht auf den Pflichtteil „einen Kompromiss zwischen Testierfreiheit und Verwandtenerbrecht“. Ob der Pflichtteil seine historische Funktion, nämlich die Versorgung der Kinder, noch erfüllen muss?
Mit der ständig steigenden Lebenserwartung findet eine Weitergabe des Vermögens in Form des Pflichtteils in einer Lebensphase statt, in der die EmpfängerInnen oft eine jahrzehntelange Ehe hinter sich haben, Kinder großgezogen haben und vielleicht in Pension gegangen sind. „Jeder Staat hat innerhalb der Europäischen Union sein national gewachsenes Erbrecht“, erklärt Weichselbaumer.
Fakt ist, das Pflichtteilsrecht bleibt vorerst erhalten. In Österreich bedeutet die Pflichtteilsberechtigung einen Anteil am Erbe, in Geld ausbezahlt. Anders bei einer Miterbengemeinschaft, die alle Entscheidungen über das Geerbte gemeinsam treffen muss. „Da erbt der oder die Betreffende nach der berechneten Quote von allem. Von den Kaffeetassen im Küchenschrank über sonstige Einrichtungsgegenstände bis hin zum Grundstück und zur Eigentumswohnung.“ Verstehen sich ErbInnen gut und sie können sich einigen, wer was behalten oder nutzen darf, dann kann eine Erbengemeinschaft gut funktionieren. Herrscht keine Einigkeit, ist Streit fast unvermeidlich.
Verantwortung der Erblasser
„Beim Erben können sich Besitzer ganzer Häuserzeilen um eine Tasse streiten“, formulierte der Schweizer Theologe Josef Kopp (1906–1966) treffend. Viele Menschen verlieren ihre alten Eltern erst, wenn sie selber schon in die Jahre gekommen sind und der Kontakt mit den Geschwistern längst nicht mehr so eng ist wie damals in der Kindheit. Manche haben sich durch Ortswechsel ganz aus den Augen verloren. Ist es da nicht Aufgabe der Eltern, im Rahmen der bestehenden Erbregelungen dafür zu sorgen, dass der Nachlass von den Kindern einmal friedlich abgewickelt werden kann? „Die Eltern nehmen oft gar nicht wahr, dass Kinder sich über die Jahre entfremdet haben“, so der Münchner Entwicklungspsychologe und Familienforscher Hartmut Kasten, „oder sie wollen sich gar nicht vorstellen, dass ihre geliebten Kinder später einmal übereinander herfallen, um sich das größte Stück vom Erbe zu sichern.“
Doch der Tod von Vater und Mutter kann ungelöste Konflikte zwischen den Geschwistern hochschwappen lassen. „Erbstreitigkeiten spiegeln die herrschende Familiendynamik und Rollenverteilungen wider“, sagt die Salzburger Erbmediatorin und Juristin Claudia Garstenauer. Die Älteste, die immer schon das Sagen hatte. Der Jüngste, der als Mamas Liebling immer bekam, was er wollte. Die Mittlere, die schon immer fühlte, zu kurz gekommen zu sein. „Häufig wird Erbe mit einem Liebesbeweis verwechselt oder als Ausgleich für subjektiv erlittenes Unrecht angesehen.“
Offenes Gespräch
Gegen Familienstreitigkeiten empfiehlt die Erbmediatorin Garstenauer das Gespräch aller Beteiligten, einberufen durch die ErblasserInnen, und am besten unter professioneller Leitung. „Sich ehrlich und offen“ über das Erbe auszutauschen, erlebte Ungerechtigkeiten und subjektive Benachteiligungen zur Sprache zu bringen, könne das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Familie stärken. „Mit Sinn und Verstand zu vererben bedeutet für die Generation der Vererbenden, viel familiäre Arbeit zu leisten, damit das, was sie geschaffen haben, den Frieden unter den Erben sichern kann“, ergänzt Notar Weichselbaumer.
Der Aufforderung des Vaters „Macht euch das Erbe untereinander aus“ kamen vier Geschwister nicht nach. Sie ließen die Verantwortung bei ihm. In Einzelgesprächen erfuhr er von den Wünschen seiner Kinder. Nach dem Verkauf einer Immobilie teilte er das Geld zu gleichen Teilen auf. Das zweite Haus übernahm Tochter Anna mit garantiertem Wohnrecht für den Vater. „Alle Geschwister sind bis heute mit den Erbregelungen einverstanden“. Der Familienfrieden war trotz heftiger Diskussionen nie in Gefahr. Das gemeinsame Weihnachtsfest ist fix geplant. So wie die Jahre davor.
Wissenswertes in Sachen „Erben“
Wie lautet die gesetzliche Erbfolge?
Es gibt vier Linien, sogenannte „Parentelen“. Wenn keine Personen in einer Linie mehr vorhanden sind, kommt die nächste Parentel zur Anwendung. Zur ersten Linie zählen die Kinder, die nach Köpfen erben. Ist ein Kind verstorben, dann rücken dessen Kinder auf seinen Platz vor. Gibt es keine direkten Nachkommen, dann sind in der zweiten Parentel die Eltern erbberechtigt: Jeder Elternteil bekommt eine Hälfte. Ist ein Elternteil verstorben, geht dessen Hälfte an die Geschwister des Verstorbenen. Ist ein Geschwisterteil verstorben, treten an seine Stelle seine Kinder.
Zur dritten Parentel gehören die Großelternpaare des/der Verstorbenen oder deren Nachkommen. Bei den Urgroßeltern (vierte Parentel) wird die Erbrechtsgrenze gezogen. Lebt in der vierten Linie niemand mehr, geht das Erbe an den Staat.
Erbe für Ehefrau/Ehemann, eingetragenen Partner/ eingetragene Partnerin?
Die Ehefrau erbt neben den Kindern ein Drittel. Sind keine Kinder da, bekommt sie zwei Drittel. Das dritte Drittel fällt zurück an ihre Schwiegereltern. Ist ein Elternteil verstorben, geht dessen Anteil an dessen Kinder weiter. Das „gesetzliche Vorausvermächtnis“ bedeutet für Witwe/Witwer, lebenslänglich in der Wohnung/im Haus wohnen zu können.
Haben ExpartnerInnen Anspruch auf ein Erbe?
Mit der Scheidung verliert man das gesetzliche Erbrecht. Alte/bestehende Testamente bleiben weiterhin aufrecht. Achtung: Hier würde der/die Geschiedene noch erben!
Erbt ein Lebensgefährte/eine Lebensgefährtin?
LebenspartnerInnen haben per Gesetz weder Anspruch auf Vermögenswerte noch persönliche Gegenstände. Da braucht es zur Absicherung unbedingt ein Testament. Geschützte Bereiche gibt es im Mietrecht, im Sozialversicherungsrecht und bei Eigentumswohnungen: Der bei der Wohnung angeschriebene Lebenspartner respektive die Lebenspartnerin kann den Erwerb der zweiten Hälfte der Eigentumswohnung zu einem reduzierten Wert verlangen.
Erbregelung bei Ehepaar ohne Kinder?
Siehe gesetzliche Erbfolge, daher unbedingt Testament erforderlich. Auch bei einem Testament hat ein Schwiegerelternteil einen Pflichtteilsanspruch von einem Achtzehntel des Vermögens. Sonstige Verwandte sind in diesem Fall nicht pflichtteilsberechtigt. Auch Schwiegereltern können vorweg durch Notariatsakt auf ihren Pflichtteil verzichten.
Meine, deine, unsere Kinder?
Dies erfordert in der notariellen Praxis viel Fingerspitzengefühl, da auf die jeweilige familiäre Konstellation unter Berücksichtigung der Vorgeschichten der Familienmitglieder ausführlich einzugehen ist. Beispielsweise die jeweiligen Vermögenswerte der Partner, das gemeinsame Vermögen, die „Bedürftigkeit“ der Kinder und auch das emotionale Naheverhältnis zu den Angehörigen (Kinder, Stiefkinder, Lebensgefährten et cetera).
Ist Pflichtteilsregelung zu Lebzeiten möglich?
Alle Vermögenswerte (Bargeld, Immobilien, Wertpapiere …) können zu Lebzeiten von den Eltern an Kinder weitergegeben werden. Es könnte hier eine Ungleichbehandlung entstehen, die in gewissen Fällen nach Ableben des Geschenkgebers einklagbar zu Nachforderungen führen. Für deren Beseitigung bedarf es eines Notariatsakts, in dem allfällige Ausgleichszahlungen und verbindliche Verzichte geregelt werden. Für den Fall umfassender Verzichte der Kinder den Eltern gegenüber haben die Eltern die Möglichkeit, über ihr Vermögen mit einem Testament frei zu verfügen.
Erbrecht für Landwirtschaften?
Das Anerbenrecht will die Aufsplitterung von landwirtschaftlichem Besitz verhindern und den geeigneten Hofübernehmer/die geeignete Hofübernehmerin finden. Die Basis für die vom Hoferben oder von der Hoferbin an weitere Erbbeteiligte zu leistende Pflichtteilsansprüche – oder Erbansprüche – ist nicht der Verkehrswert (Verkaufswert) des Hofes, sondern der Übernahmepreis. Zur Ermittlung wird beispielsweise der Jahresnettoertrag, der bei normaler Wirtschaftsführung übrig bleibt, auf 20 Jahre hochgerechnet.
Anrechnungen auf das Erbe?
Das Gesetz ermöglicht den Erb- und Pflichtteilsberechtigten, eine Gleichbehandlung zu verlangen. Erhalten Kinder Vorausempfänge, zum Beispiel ein Grundstück, ein Sparbuch et cetera, sollte anlässlich der Schenkung eine Anrechnung auf das Erbe vereinbart werden, um Streitigkeiten zu vermeiden. Diese „Gleichbehandlungs“-Verfahren sind in der Praxis sehr kompliziert (Bewertungsfragen) und aufwendig. Kosten für ein Studium sind Teil der Unterhaltsverpflichtung der Eltern und werden daher nicht wertmäßig angerechnet.
Schenken mit warmer Hand?
Neben emotionalen Gefühlen (Dankbarkeit) bei Schenkungen zu Lebzeiten haben Schenkungen gegenüber Vererbungen auch sozialrechtliche Vorteile. Der Widerruf oder die Anfechtung ist nur in seltenen Fällen möglich. Ein bloßer Streit oder Enttäuschung genügt nicht.
Schenkung auf Todesfall?
Ein Schenkungsvertrag auf den Todesfall wird zu Lebzeiten in einem Notariatsakt abgeschlossen. In Kraft tritt er aber erst nach dem Tod des Schenkenden. Der Geschenkgeber bleibt zwar Eigentümer bis zu seinem Tod, kann den Vertrag aber nicht mehr einseitig widerrufen.
Pflege und Erben?
Für freiwillig geleistete Pflege- und Betreuungsarbeiten gibt es keinen gesetzlichen Anspruch auf damit verbundenes Erbe. Bei nahen Angehörigen ist es üblich, für Care-Arbeiten nichts zu verlangen. Eine Würdigung beim Erben wird derzeit von ExpertInnen diskutiert.
Unterschied zwischen Erb- und Pflichtteilsverzicht?
Wer auf sein Erbrecht verzichtet, wird so behandelt, als ob es ihn nicht gäbe. Verzichtet jemand auf seinen Pflichtteil, so kann dieser keine Forderungen an den Testamentserben stellen. Er wird jedoch rechnerisch für die Festlegung der Ansprüche der übrigen Pflichtteilsberechtigten mitgerechnet. Das heißt, die übrigen Pflichtteilsberechtigten erhalten deshalb nicht mehr aus dem Nachlass. Diese Unterscheidungen können von Vorteil sein, wenn es mit einem von mehreren Kindern Konflikte gibt.
Wie Erbstreitigkeiten verhindern
„Was will ich? Was wollen wir? Wie können wir das erreichen?“
Diesen Fragen sollten ErblasserInnen genügend Zeit und Aufmerksamkeit widmen. Wenn es zum Beispiel darum geht, dass ein Familienunternehmen erhalten bleiben soll. Oder um die Entscheidung, welche Person mögliche Pflegearbeiten in Zukunft übernehmen soll.
Im Vorfeld abklären:
Ein Gespräch, bei dem es um das eigene Ableben geht, kann für alle belastend sein. Reden Sie aber dennoch beizeiten mit Ihren Nächsten. Stellen Sie diese nicht vor vollendete Tatsachen.
Machen Sie Ihre Pläne verständlich:
Das ist eine Möglichkeit, Empfindungen wie Wut, Enttäuschung, Neid oder Gier unter den Kindern zu verhindern.
Ein Gespräch am „runden“ Tisch:
Ein gemeinsames Gespräch, in dem jeder und jede offen und ehrlich seine und ihre Wünsche und Hoffnungen einbringen kann, hat die besten Aussichten auf Erfolg. Hingegen könnten Einzelgespräche die Konkurrenz und das Misstrauen zwischen Ihren Nächsten schüren.
Erschienen in „Welt der Frau“ Dezember 2014