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Familie
11/12/24

Entwaffnend

Entwaffnend

Ein Vormittag im Café, Picknick mit Freundinnen, der erste Freibadbesuch oder Livekonzerte – alles Dinge, die gerade fehlen. Mindestens genauso fehlt mir aber etwas Anderes: der Handschlag …

Ich erinnere mich ziemlich genau an den Tag, als mein Freund meine Großmutter umarmte. Ich sah ihren Gesichtsausdruck und wäre vor Lachen am liebsten umgefallen. Umarmungen gehörten nicht zum Alltagsrepertoire meiner Großmutter, sie kam eben nicht aus der „Generation Kuscheln“. Für sie gab man sich zur Begrüßung die Hand. Und ich mochte das. Schon als Kind. Jedenfalls bei Menschen, die mir nur mittelnah waren. Zwar hätte ich Oma auch gern umarmt, allein schon, weil ich ihren Geruch nach Kölnisch Wasser mochte. Aber von allen wollte ich nicht gedrückt werden. Auf unübersichtlichen Familienfeiern fand ich die Vorstellung wenig verlockend, wie mich all die viel zu großen Menschen, die ich zweimal im Jahr an Ostern und Weihnachten sah, an Brust oder Busen quetschten.

Ich bin damit aufgewachsen, dass man Leuten die Hand gibt, und ich mag es. Es ist genau das richtige Zeichen an Verbundenheit mit fremden oder halbvertrauten Menschen: Hallo, ich komme ohne Waffen, ohne Hinterhalt, ohne böse Absicht. Leider stimmt das in Coronazeiten nicht mehr. In meiner Hand könnte ein ganzes Arsenal an Waffen lauern, nämlich Viren. Die möchte ich natürlich nicht weitergeben. Also winke ich seit neuestem. Es sieht etwas unbeholfen aus, wenn man nur einmeterfünfzig voneinander entfernt steht. Ich lächele dann entwaffnend, was zumindest an maskenfreien Orten hilft.

Letztens las ich, dass Winken der Vorläufer des Handschlags sei. Man winkte dereinst, um seine friedliche Gesinnung zu zeigen. Ich habe kein Schwert, kein Messer, keinen giftigen Skorpion und auch sonst nichts Böses gegen dich in der Hand. Der Gedanke gefällt mir, weil das auch heute eine super Demonstration sein kann: Winken gegen Ellenbogengesellschaft.

Susanne Niemeyer

lässt sich gerne inspirieren von Pippi Langstrumpf und der polnischen Dichterin Wisława Szymborska. Vor dem Einschlafen denkt sie an etwas Schönes, denn irgendwas – da ist sie sicher – gibt es immer.

www.freudenwort.de

Foto: privat

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  • Veröffentlicht: 13.05.2020
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