Aktuelle
Ausgabe:
Konsum
03/24

Einmal Kloster und zurück

Einmal Kloster und zurück

Ingrid Dullnig entschied sich zuerst für ein Leben im Orden und schließlich dafür, ihn wieder zu verlassen. Über Gemeinschaft, Sinnsuche und das individuelle Glück.

Manchmal wendet sich das Leben um gefühlte 180 Grad, und bei Ingrid Dullnig hat es in den vergangenen Jahren gleich mehrere solcher Wendepunkte gegeben. Wir sprechen über etwas sehr Persönliches: ihre Entscheidung, einem katholischen Orden beizutreten, „ins Kloster zu gehen“, wie es landläufig heißt. Immer weniger Männer und Frauen entscheiden sich für diesen Weg.

Vor allem immer weniger Frauen: Die Zahlen sind seit Langem rückläufig, laut aktueller Statistik der Ordensgemeinschaften Österreich ist mehr als die Hälfte der Ordensfrauen über 75 Jahre alt. 2018 legten im ganzen Land nur 18 Novizinnen die „ewige Profess“ ab. Auch deshalb möchte Ingrid Dullnig nicht, dass ihre Worte ein falsches Licht auf ihren ehemaligen Orden werfen. Da wäre zum einen ihre Entscheidung, dem Orden beizutreten und ihn dann, drei Jahre später, wieder zu verlassen. Und zum anderen ihr großer Mut, sich zu einer neuen Liebe zu bekennen.

Was hat sie dazu gebracht, Job, Wohnung und Besitz aufzugeben und sich ganz dem Glauben zu widmen? Mit ihrer ruhigen, angenehmen Stimme erklärt sie: „Das Leben im Orden hat auf mich eine wahnsinnige Faszination ausgestrahlt. Ich habe vorher schon viel meditiert und wollte meine spirituelle Suche auch praktisch leben und die Präsenz Gottes im täglichen Leben teilen. Man könnte sagen: Ich habe einen festen Boden gesucht, auf dem ich mit anderen Frauen gemeinsam Gott suchen kann.“

Kloster: Für die Gelübde alles loslassen

Sie ist Anfang 40, als sie den entscheidenden Schritt tut. Zuvor war sie erfolgreich im Beruf, hatte BWL studiert, in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei gearbeitet und dann viele Jahre als Wirtschaftsfachfrau in Einrichtungen der katholischen Kirche. Im Großen und Ganzen war sie ziemlich zufrieden. Trotzdem fehlte ihr etwas.

Sie kommt ins Schwärmen, als sie von der Anfangszeit spricht: „Es war beglückend, die Erfahrung zu machen, dass sich andere Frauen die gleichen Fragen stellen und die gleichen Sehnsüchte haben. Im Grunde ist das Gelübde eine Suche nach Antworten auf die Frage, was es eigentlich heißt, Mensch zu sein mit allen Dimensionen. Diese Suche hat mich sehr angezogen.“

Wie es ist, Nonne zu sein

Doch die Gemeinschaft und die Sinnsuche haben ihren Preis: „Armut, Gehorsam und Keuschheit“ – so lauten die Gelübde jener, die sich entscheiden, so ziemlich alles hinter sich zu lassen, was unsere moderne Leistungsgesellschaft für die meisten Menschen ausmacht: Individualität, Selbstverwirklichung, Karriere, Geld, Autonomie, Konsum, Sex.

Für Ingrid Dullnig bedeutet dieser Verzicht kein Problem – zumindest anfangs. Im Gegenteil: Sie hofft, durch die Beschränkungen und die Konzentration auf das Wesentliche eine neue spirituelle Tiefe zu finden. Ihre Vorstellung: „Ich verzichte auf Konsum und spüre meine echten Bedürfnisse besser. Ich verzichte auf Entscheidungsautonomie und verstehe, dass Menschsein bedeutet, in Gemeinschaft mit und auch in Abhängigkeit von anderen zu leben.“

Bei der Entscheidung hilft ihr eine simple Gedankenübung: Sie stellt sich vor, als alte Frau auf ihr Leben zurückzublicken und sich zu fragen, was wirklich wichtig war. Sie spürt: „Wenn ich diesen Schritt nicht gehe, würde er mir am Ende meines Lebens fehlen.“

2012 kündigt sie Job und Wohnung und tritt als Novizin einem katholischen Orden bei. Für diesen Orden entscheidet sie sich, weil ihr „die flachen Hie­rarchien, die Kritikfähigkeit der Schwestern und die hohe Eigenverantwortung“ gefallen.

Ingrid Dullnig

Ingrid Dullnig hat zuerst die Wirtschaftsprüfung gegen das Ordensleben getauscht und dann den Weg in eine Beziehung mit einer Frau und einem Leben als Bäuerin eingetauscht. Jetzt fühlt sie sich „angekommen“.

am Hof

Das Leben als Ordensfrau hat Ingrid Dullnig gegen ein alternatives Landwirtschaftsprojekt eingetauscht. Sie betreibt es zusammen mit ihrer Partnerin.
www.amhof.org

Armut darf nichts kosten

Beim Eintritt ins Kloster gibt die Novizin, der Novize in der Regel allen weltlichen Besitz auf und in der Folge auch die Verantwortung über die eigenen Finanzen. Der Orden, den sich Ingrid Dullnig ausgesucht hat, gilt als fortschrittlich, was die Handhabung der Geldangelegenheiten seiner Mitglieder anbelangt: Die Schwestern berechnen ein persönliches Jahresbudget, das dann in der Gemeinschaft transparent besprochen wird.

Trotzdem empfindet Ingrid Dullnig diesen Aspekt des Klosterlebens als zunehmend problematisch: „Viele der Schwestern haben das Armutsgelübde derart internalisiert, dass es sie eine große Überwindung kostet, nach Geld zu fragen. Vor allem älteren Schwestern ist es manchmal richtiggehend unangenehm, wenn sie einmal etwas Kostenintensiveres brauchen, wie zum Beispiel eine Brille oder ein Hörgerät. Das mitzuerleben hat mich richtig geschmerzt. Viele scheinen das Gefühl zu haben, dass sie die Gemeinschaft nichts mehr kosten dürfen, wenn sie nicht mehr so leistungsstark sind.“ Dullnig macht sich viele Gedanken, wie man das Budgetsystem verändern könnte, und ist sich gleichzeitig bewusst, dass „eine Ordensgemeinschaft nicht unendlich reformierbar ist“.

Die Diskussionen um Geld haben für sie noch einen zweiten negativen Aspekt: „Eigentlich sollte man sich durch das Armutsgelübde ausklinken aus dem kapitalistischen Denken und damit Raum schaffen für Einfachheit. Aber einfache Antworten sowohl für jede Einzelne als auch für die Gemeinschaft gibt es hier eben nicht.“ Zum ersten Mal hat ­Ingrid Dullnig das Gefühl: Die Sache hat einen Haken.

Gehorsam wird erprobt

Bevor sie sich für den Eintritt ins Kloster entschied, hatte Ingrid Dullnig sich verschiedene Ordensgemeinschaften angesehen und war zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei „ihrem Orden“ um die „modernsten Ordensfrauen im deutschsprachigen Raum“ handelt. Probleme und Kritik werden offen angesprochen, auch als Novizin habe man die Möglichkeit, mit der Ordensleitung zu diskutieren – in anderen Gemeinschaften sei das undenkbar. Ingrid Dullnig bezeichnet sich selbst als sehr hierarchiekritisch, sie brauche viel Autonomie.

Früh aufstehen, gemeinsam beten, gemeinsam essen – für viele ist es gerade die klare Struktur, die sie im Kloster suchen. Manchen hilft sie dabei, innerlich zur Ruhe zu kommen. Doch Ingrid Dullnig empfindet das strenge Zeitkorsett zunehmend als „fordernd“. Ein gewisser natürlich entstandener „Gruppenzwang“ sorgt dafür, dass sie ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn sie einmal ein Gebet am frühen Morgen ausfallen lässt. Sofort kommen gut gemeinte, aber von ihr als einengend empfundene Fragen: „Wo warst du heute früh? Geht es dir nicht gut?“

Wie bei den Diskussionen um die finanziellen Spielräume empfindet sie die verinnerlichten Regeln als noch problematischer als die offiziellen. Sie beginnt sich selbst zu fragen, wie zeitgemäß eine ewige Bindung überhaupt noch ist. Sie glaubt zwar, dass es den Wunsch nach Treue, Stabilität und absolutem Vertrauen in die Gemeinschaft einerseits wohl immer geben wird, sieht aber auch, dass sich andererseits immer weniger Menschen trauen, sich lebenslänglich zu verpflichten. In der Vergangenheit hatte Dullnig sich auch mit den Regeln buddhistischer Klöster beschäftigt und weiß, dass dort Modelle existieren, die „Gelübde auf Zeit“ ermöglichen.

Dann wird ihr eigener „Gehorsam“ auf eine harte Probe gestellt. Die Ordensgemeinschaft beschließt, dass sie demnächst Wien verlassen solle, um mit zwei Mitschwestern in einer anderen Stadt zu leben. Die Leitung sieht das als Chance für die Gemeinschaft und als Entwicklungsmöglichkeit für Ingrid Dullnig, sie aber kann sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden: Wien ist ihr Lebensumfeld, hier hat sie Freundschaften und hier wohnt sie seit mehr als einem Jahr in Gemeinschaft mit anderen Schwestern. Sie will bleiben. Wie hart sie diese Situation empfindet, macht sie mit einem Vergleich deutlich: „Im Job betreffen die Entscheidungen des Chefs in der Regel nur das eigene Berufsleben. Im Orden geht es um Entscheidungen über das gesamte Leben.“

Die Hierarchie erweist sich plötzlich als weitaus weniger flach als zu Beginn angenommen. Ingrid Dullnig beugt sich der Anordnung „von oben“ und übersiedelt in die andere Stadt.

Eine schwierige Zeit des inneren Ringens folgt, bis sich Dullnig entscheidet, den Orden zu verlassen. Die Gründe sucht sie bis heute auch bei sich: „Ich weiß nicht, ob ich eine ‚gute Ordensfrau‘ geworden wäre. Ich hätte zwar innerkirchlich etwas bewegen können, aber es gab einfach zu viele kritische Punkte.“

Ehelosigkeit und Eros

Dass auch Ehelosigkeit und Keuschheit nicht ihr Weg sind, verstand Ingrid Dullnig erst, als sie wieder aus dem Orden ausgetreten war. Schon bevor sie ins Kloster ging, hatte sie bereits seit zehn Jahren als Single gelebt. Das Ehelosigkeitsgelübde erschien ihr einfach, kaum der Rede wert. Dann kam alles ganz anders: Noch während ihrer Zeit als Novizin lernte sie eine Ordensfrau aus einer anderen Gemeinschaft kennen. Zwischen den beiden Frauen entstand eine innige Freundschaft, sie redeten stundenlang und entdeckten, dass sie „gleich klingen“, wie Ingrid Dullnig das nennt. Irgendwann merkten sie, dass da mehr war als nur Freundschaft.

„Bis heute wundere ich mich über mich selbst, dass ich das zulassen konnte“, erzählt Ingrid ­Dullnig und strahlt ein tief empfundenes Glück aus. „Es war absolut erstaunlich und faszinierend, dass ich mich verlieben konnte. Ich war überzeugt, dass das Single­dasein, das Alleinsein und die Keuschheit mein Weg sind.“

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in den Bergen sei ihr die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Liebe als undenkbar vorgekommen. Dass sie diese Gefühle entwickeln konnte, habe mit ihrer Zeit im Kloster zu tun. Nur dort habe sie viel Zeit zum Meditieren, Beten, Nachdenken und eine Selbsterfahrung mit therapeutischer Begleitung gehabt.

Die spirituelle Tiefe, die sie zu Beginn ihrer Klosterzeit suchte, habe sie jetzt in der Liebe gefunden, sagt Dullnig: „Auf einmal gibt es da jemanden, der die eigenen Untiefen widerspiegelt. Das Gemeinsame steht plötzlich an erster Stelle, ohne dass sich eine zurücknimmt.“ Sie fand auch eine neue körperliche Nähe: „Sie ist Teil meines Menschseins und ich habe lange darauf verzichtet.“

Mittlerweile lebt sie mit ihrer Partnerin in Deutschland. Gemeinsam haben die beiden Frauen ein Projekt gegründet, das alternative Landwirtschaft, einen integrativen Bauernhofkindergarten und Seminarangebote verbindet. Über ihr neues Leben sagt Ingrid Dullnig: „Ich bin angekommen, und das gibt mir große Sicherheit.“

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 17.06.2020
  • Drucken