Noch ist es nicht so weit, dass wir ständig jemand brauchen“, sagt mein Vater, wenn meine Schwestern und ich wieder einmal der Meinung sind, etwas mehr Hilfe im Haushalt meiner mittlerweile über 80-jährigen Eltern könnte nicht schaden. Oder wenn wir uns sogar überlegen, welche Lösung es zum Thema „Heizung“ geben könnte. Im vergangenen langen, strengen Winter kamen unsere Eltern mit ihrer alten Stückgutheizung manchmal an die Grenzen, vor allem ihre eigenen. Mutter war nach einer Knieoperation nur begrenzt mobil und Vater mit einem schwachen Herzen und dem nächtlichen Nachheizen ebenfalls überfordert. In dieser Phase fiel meine Anregung, doch ein anderes Heizsystem zu installieren, kurz auf fruchtbaren Boden.
Mit den ersten Frühlingsgefühlen verklärte sich der elterliche Blick auf Heizkessel und Scheiter wieder: „Ach, das wird schon gehen.“ Im Scherz erzählte ich ihnen dann von jenem Ehepaar, das ich anlässlich ihres 100. Geburtstages besucht hatte. Die beiden wohnten in einem alten Häuschen mit Stückgutheizung. Sie selbst waren nicht mehr in der Lage, ständig nachzulegen. Ihr Sohn kam jeden Tag vorbei. Der hatte sie, als sie 80 waren, gedrängt, doch eine bequemere Heizung zu installieren, aber sie hatten abgelehnt: „Das zahlt sich doch gar nicht mehr aus!“
Viele Freundinnen und Bekannte haben naturgemäß jetzt auch alte oder alt werdende Eltern. Und viele machen ähnliche Erfahrungen: Von außen betrachtet wüsste man die idealen Lösungen, um das Leben der Eltern effizient zu organisieren und einfach bequemer und leichter zu machen. Aber was von außen logisch scheint, stößt selten auf Gegenliebe bei denen, die eigentlich in den Genuss neuen Wohlbefindens kommen sollten. Sie wollen nicht, dass sich etwas verändert. Da probieren es die Kinder zuerst mit gutem Zureden, dann mit guten Argumenten und schließlich auch mit einer Portion Ärger – der daraus resultiert, dass man sich die wildesten Szenarien ausmalt, die eintreten werden, weil die Eltern dann doch eines Tages nicht mehr alleine zurechtkommen und nichts geregelt sein würde.
In einer solchen Gemengelage ist es vermutlich gut, einen Schritt zurückzutreten und die Situation mit etwas Abstand zu betrachten.
Da kann ich dann gut verstehen, dass man mit reduzierten Kräften keine zusätzlichen Aufregungen möchte, sondern dass ein halbwegs regelmäßiger, selbst bestimmter Tagesrhythmus die ideale Lebensform ist. Kinder, die ungebeten hereinschneien, den Haushalt anders organisieren, Räume umbauen oder Heizungsleitungen stemmen wollen, passen da nicht so gut dazu. Mir scheint es dann auch nicht mehr völlig fremd, dass man nicht wie ein unmündiges Kind behandelt werden möchte, schon gar nicht von jenen, denen man aus den Windeln auf die Beine geholfen hat.
Vielleicht ist es auch der innere Reflex, den Eltern genau für diese „Dienstleistung“ etwas zurückgeben zu wollen. „Jetzt umsorgen wir euch“, das verspricht ein gutes Gefühl. Aber man darf sich das als Kind nicht um den Preis eines Übergriffes auf die Eltern holen, so viel wird mir immer mehr klar. Sie dürfen etwas völlig anderes entscheiden, als mir und uns logisch oder als die beste Lösung für sie und die Familie erscheint. Wir dürfen als Kinder aber auch sagen, wo unsere Grenzen sind, was wir zu tun bereit sind, was wir aufgrund unserer eigenen familiären und beruflichen Situation übernehmen können und was nicht. Das kann in der Folge zu Lösungen führen, für die die Eltern keine Präferenz zeigen. Etwa wenn sie nicht mehr alleine zu Hause leben können und von den Kindern niemand für die Rundumbetreuung zur Verfügung steht.
Im Alter kommen die zahlreichen, oft gar nicht so eindeutigen und auch verqueren inneren und äußeren Bindungen zwischen Kindern und Eltern noch einmal auf den Tisch. Manchmal denke ich, so wie die Eltern unglaublich viel Geduld haben mussten, bis wir halbwegs aus dem Gröbsten heraus waren, sind jetzt wir gefordert, Geduld zu haben: bis wir angefordert oder gebraucht werden, bis wir um eine Lösung gebeten werden oder eben auch nicht. Und wie machen wir das mit der Heizung im nächsten Winter? Warten wir ab.
Christine Haiden fühlt sich schnell einmal verantwortlich für andere. Dumm, dass die oft gar nicht auf ihre Hilfe warten.
Die Hochbetagten werden mehr
- Nach einer Auswertung von „Statista“ wünschen sich die meisten Menschen im Alter „gesund und fit“ zu bleiben (81 Prozent). 70 Prozent wollen vor allem kein Pflege-fall werden, und 62 Prozent möchten bis zum Lebensende in ihren eigenen vier Wänden bleiben.
- Tatsächlich leben dann rund 30 Prozent der Pflegebedürftigen mit externer Hilfe weiter im eigenen Haushalt. Mehr als die Hälfte der PflegegeldbezieherInnen wird ausschließlich von Angehörigen, zu zwei Drittel Frauen, betreut.
- Die Zahl der über 80-Jährigen wird in Österreich nach Schätzungen von derzeit rund 400.000 auf eine Million
- im Jahr 2050 ansteigen.
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Erschienen in „Welt der Frau“ 04/17 – von Christine Haiden
Illustration: www.margit-krammer.at