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03/24

Mann, das ist ein Abenteuer! Ein Joker für Männer?

Mann, das ist ein Abenteuer! Ein Joker für Männer?

Es gibt Situationen – und zwar gar nicht so wenige –, bei denen die Frage, welchem Geschlecht man sich zugehörig fühlt, ziemlich unwichtig wird. Außer man hat ein Problem.

„Alle Männer aufstehen!“, rief unsere zweijährige Tochter vor einiger Zeit frühmorgens. Eine klare Ansage, wenn man der einzige Mann im Haus ist. Normalerweise bin ich der Erste, der ohne Anlaufschwierigkeiten den Tag beginnt. Aber Aufstehen ist kein Wettkampf mit anschließendem Ranking.

Apropos Wettbewerb! Als Musiker bin ich in den letzten Jahren in vielen Jurys gewesen, um bei Auswahlspielen und -verfahren meine Stimme zu erheben, indem ich sie abgebe. Ich halte Um-die-Wette-Musizieren für problematisch. Wir können auch nicht um die Wette leben, auch wenn manche so tun. Aber es kann als pädagogisches Ziel eine gute stimulierende Wirkung haben.

Vor einigen Jahren habe ich bei so einem Wettspiel eine sehr junge Musikerin gehört, die mich durch ihr Spiel und ihre Präsenz, die sich auch in feinen Zwischenmoderationen offenbarte, für sich eingenommen hat. „Ganz schön selbstbewusst“, wurde aus der Jury kommentiert. In diesem Moment ist mir erstmals aufgefallen, dass dies in solchen Fällen immer nur über Frauen gesagt wird. Nicht nur von Männern, auch von Frauen. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, einen Jüngling oder einen Mann so zu disqualifizieren!

Vor nicht langer Zeit war ich als Mitentscheider an einem Hearing in einem Feld beteiligt, in dem vor allem Frauen tätig sind. Daher schlug eine Frau vor, man sollte Jokerplätze für Männer vergeben, da sich zu wenige beworben und vor allem qualifiziert hätten. Da bin ich richtig narrisch geworden, wie man auf gut Oberösterreichisch sagt. Geschlecht ist doch kein Qualitätsmerkmal!

In vielen Bereichen sind Frauenquoten notwendig, um männerdominiertes Auswahldenken zu qualitativem Denken und Entscheiden zu nötigen. Jahrtausendelang haben Männer das Geschehen bestimmt. Bei uns im Bruckner Orchester Linz ist das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen, und ich bin mir sicher, dass der Frauenanteil in absehbarer Zeit höher sein wird.

Beim Probespiel  – so wird das Auswahlverfahren in der Fachsprache bezeichnet – zählt nur die Qualität, die eine fast zwanzigköpfige Jury feststellt. Um Objektivität zu gewährleisten, finden die ersten Runden hinter einem Vorhang statt, und die Mobiltelefone werden abgesammelt. Die Vorspielenden aus aller Welt bekommen erst mit dem Verschwinden des Vorhangs Gesicht und Namen zurück. Sie waren nur über ihr Spiel hörbar. Geschlecht, Nationalität, Religion, sexuelle Orientierung oder sonst etwas spielen keine Rolle. Beim Aufwachen und Aufstehen übrigens auch nicht!

Norbert Trawöger ist Vater zweier Töchter, Ehemann, Musiker, Intendant des Kepler Salon und Künstlerischer Direktor des Bruckner Orchester Linz.

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  • Veröffentlicht: 17.10.2019
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