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04-05/24

Ein Fernziel ist noch lange kein Ausweg

Ein Fernziel ist noch lange kein Ausweg

Klarheit zu erlangen, das wünschen sich viele, manche machen Yoga, andere konsultieren Therapeuten und manche lesen ein Buch. Gerade heraus sind die Typen, die durch den vorliegenden Roman hasten: ein wenig irre, aber dabei recht sympathisch. Sie sind Künstler, Rechtsanwälte, aus Susanne wurde eine Apothekerin, aber der völligen Spießigkeit konnte sie entgehen, die meisten anderen Frauen agieren verliebt, eifer- und/oder trunksüchtig, leidenschaftlich und verrückt. Eine ist auch Historikerin, manche haben Kinder, nicht immer Wunschkinder.

Doch eigentlich begannen diese Geschichten doch damit, dass Engelhardt, der Regisseur von Rezas Feuertreppe aus dem ersten Stock in den Hof springt. Reza ist übrigens Filmproduzent und mächtig stolz auf seine neue Wohnung in einer alten Backsteinfabrik. War Engelhardt nur sturzbesoffen, wie treffend doch dieser Begriff manchmal ist!, oder doch manisch oder doch einfach nur verrückt. Susanne ist seine Freundin und liebt Küchenpsychologie, besonders dann, wenn sie in der Küche steht und Tomaten schneidet. Er macht Schluss, sie weint und er tut es auch: Ende einer Beziehung.

On- und Off-Beziehungen dominieren in diesem rasanten Erzählfluss, alle haben vor, das Beste für sich rauszuholen, endlich die Liebe zu finden, die alles versteht und dabei auch noch was hermacht. Doch ausgerechnet Susanne ist es, die erfährt, dass ihr vierundsiebzigjähriger Vater Frau Mack, die Frau mit den Hunden, liebt und dabei war, seine Frau zu verlassen. Wäre nur nicht der Schlaganfall gekommen. Helmut, der Vater, ein begehrens- und liebenswerter Mann, so lernt Susanne ihren Vater neu kennen, sich selbst und vor allem ihre willensstarke Mutter auf neue, beängstigend klare Weise. Ausbruch, in diesem Alter?

Bereit für eine neue Beziehung und nach wie vor unter Druck, sich zu beweisen, dass er kein Mittelmaß, sprich kein Langweiler, war, verliebte er sich Hals über Kopf in die erste Frau, der er nicht im Internet begegnete. Die Frau, Maren, sexuell eher zurückhaltend, aber im alltäglichen Umgang komplett durchgedreht, war das exakte Gegenteil der Frauen, die er online kennengelernt hatte.

 

Ein zügig erzählter Text, der gern auf bekannte Romane bzw. Filme anspielt, der die Kunst des Zitats beherrscht und dem Irrsinn in feiner Umgebung huldigt. Irre? Ja, alltagstauglich irre, überspannt, sich immer neu erfinden müssend und dazu halt noch das richtige Getränk in der Hand habend. Mittelmaß ist das schlimmste Schimpfwort, doch irgendwo, da wartet die große Liebe!

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Geschwindigkeit, Persönlichkeiten, Witz, Dynamik, manchmal einen Hauch von sich selber, Lust, nie wieder auf eine Party zu gehen und eine Woche niemanden mehr zu treffen, weil eh alle spinnen.

 

Die Autorin: Jackie Thomae, 1972 in Halle geboren, arbeitet als Fernsehautorin und Journalistin, „Momente der Klarheit“ ist ihr Romandebüt.

 

 

Jackie Thomae:

Momente der Klarheit.

Roman.

Berlin: Hanser Verlag 2015.

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  • Veröffentlicht: 02.09.2015
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