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04-05/24

Ein ausreichend gutes Leben

Ein ausreichend gutes Leben

Wenn wir die Superlative in der Schublade lassen, gelingt es uns, einen klareren Blick auf Wirtschaft, Globalisierung, Wohlstand, Politik, in den eigenen Kühlschrank und auf die nie geschriebene Einkaufsliste zu richten. Wir glauben spätestens seit Kathrin Hartmanns Report „Ende der Märchenstunde: Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“ (Blessing 2009) nicht mehr daran, dass die Supermarktkasse unser neues Wahllokal ist und dass Kaufentscheidungen starke politische Entscheidungen sind. Also wie jetzt weiter? Wir wollen es uns gut gehen lassen, aber auch politisch korrekt leben, unseren Wohlstand nicht aufgeben, aber schon auch ein bisschen teilen. Eigentlich doch sympathisch? Oder doch nicht?

Hans Holzinger geht sein Thema basal an, er provoziert nicht, sondern baut seine Visionen auf solide Mauern: Das tut den LeserInnen, die stets von weiteren Optimierungen bedrängt werden, richtig gut.

Wir können nicht sagen, dass ‚Wenig’ immer gut ist und ‚Viel’ immer schlecht, dass ‚Langsam’ immer besser ist als ‚Schnell’ oder ‚Klein’ immer besser als ‚Groß’. Es geht um das rechte Maß, das immer wieder neu zu finden und zu reflektieren ist. (S. 9)

So baut der Nachhaltigkeitsforscher immer wieder Zitate in seine Analysen ein, die beweisen, dass die Wahrheit doch schon immer mit dabei war. Ein Beispiel mag der Ausspruch Mahatma Gandhis sein: „Die Welt hat genug für alle, nicht jedoch genug für die Gier von wenigen.“ Holzinger lädt seine LeserInnen ein, mit ihm gemeinsam den Suchprozess nach dem richtigen Maß, nach der richtigen Dosis für ein gutes Leben für alle zu beginnen, das Viel, Mehr, am Meisten zu hinterfragen, Defizite zu orten und zu benennen. Nebenbei ist es wunderbare Zusammenschau aller relevaten Publikationen zum Thema „Nachhaltigkeit“, „Globalisierung“, „Gemeinwohlökonomie“: Wer von Ihnen in der Erwachsenenbildung arbeitet, als LehrerInnen tätig ist, Stoff für Deutschmaturen zu relevanten Themen sucht, der findet hier ausreichend Material, genau und mit Liebe und Akribie zusammengestellt.

Wir leben ökologisch über unsere Verhältnisse, doch kulturell unter unseren Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten auszuloten, ist eine lohnende und spannende Aufgabe. Sie trägt dazu bei, Reduktion nicht als Verzicht, sondern als Zugewinn zu begreifen.

11 Kapitel, eine ausführliche Literaturliste, werden vom motivierend-ehrlichen Vorwort und von einem zu Veränderungen Lust machenden Ausblick umrahmt. Selten las ich von WissenschaftlerInnen, dass sie sich irrten, nicht so Hans Holzinger. Man habe, so der Autor, zu stark auf Aufklärung und Bewusstseinsbildung gehofft, man wollte die Menschen aufrütteln, die sich aber ihrerseits an dieses Aufgerütteltwerden ebenso gewöhnten wie an den genussvollen Konsum, aus dem man sie gerade rüttelte. Der Autor setzt auf folgende zwei Strategien:

Erstens auf Veränderungen, die uns selber gut tun und die wir gerade deswegen angehen, weil sie uns gut tun, ohne dass wir dabei an die Rettung der Welt denken. Zweitens auf politisches Engagement, das aus dem Impuls demokratischer Verantwortung auf die Stärke des Rechts setzt, das neben Rechten auch Pflichten auferlegt. (S. 199f.)

 

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: praktische Anregungen, sofortige Umsetzungsmöglichkeiten des Gelesenen, geht halt auch bei Sachbüchern besser als bei den großen Romanen, muss man echt sagen! Einen neuen und klaren Blick auf Wohlstand, die Umsetzung dieser Vision, Aufruf zum kollektiven Teilen.

 

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg, Mitherausgeber der Zeitschrift „Pro Zukunft“ und als Nachhaltigkeitsforscher Mitglieder zahlreicher Nachhaltigkeitsnetzwerke.

 

 

Hans Holzinger:

Von nichts zu viel – für alle genug.

Perspektiven eines neuen Wohlstands.

München: oekom Verlag 2016.

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  • Veröffentlicht: 14.09.2016
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