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09/24

Echter Zorn

Echter Zorn

Der Salzburger Germanist Manfred Mittermayer folgt nicht nur den Lebensspuren Thomas Bernhards, sondern er ordnet diese wirren Fäden immer wieder akribisch: Wer wollte dieser Autor sein, wer war er, wie gab er sich und wen wollte er erreichen, begeistern und verstören? Zeitzeugen sind hier ebenso befragt wie Rezensionen und die überbordenden Reaktionen auf Bernhards Bühnenstück „Heldenplatz“: Am 12. Februar 1989 starb Bernhard und hinterließ KritikerInnen, die sich soeben noch über „Heldenplatz“ ausgelassen hatten und nun die Nachrufe schrieben. Er sei, so der damalige Tenor, eine durchaus widersprüchliche und zwiespältige Persönlichkeit gewesen, von den einen sogar gehasst, von den anderen zutiefst bewundert. Dazwischen hin und wieder die Rülpser, die Thomas Bernhard als Nestbeschmutzer charakterisierten, sehr wohl aber seine autobiografischen Werke wie u. a. „Ein Kind“ immer gern als Lieblingslektüre nennen und nannten. Ein bisschen Bernhardlektüre macht sich nie schlecht, wenn es dann aber zur Sache geht, dann war einem die Kritik des kirchlichen Internats dann wohl doch zu viel.

Ohne Polemik, so richtig anständig, analysiert Manfred Mittermayer Leben und Werk, dabei setzt er den Beginn dieser verschlungenen Wege bereits bei Bernhards Großeltern, Anna Bernhard und Johannes Freumbichler, deren gemeinsame Tochter Herta Paula Bernhard 1940 in Basel geboren wird: Ökonomisch schwierige Zeiten, Anna Bernhard ist noch nicht geschieden, das Paar wechselt häufig seinen Wohnsitz. Orte wie Salzburg und Henndorf kehren immer wieder, in Wien schreibt Johannes Freumbichler ohne nennenswerten Erfolg. Die Familie unterstützt ihn, auch in jenen elf Jahren, in denen Freumbichler seinen Roman „Philomena Ellenhub“ verfasst. Freumbichler ist Thomas Bernhards größter Lehrer, im vertraut er, ihn liebt er.

Bleibt die Frage, was so viele Menschen bis heute für Thomas Bernhard begeistert – eine Frage, auf die in diesem Band nur ansatzweise Antworten versucht werden können. Ist es der unverkennbare Sound, die Kraft seiner Sprache, die Fähigkeit, eine ganz eigene Ausdrucksweise und wiedererkennbare Formulierungen zu prägen? Ist es …

Diese Biografie erzählt von Werk und Leben, von Streit, Liebe und Treue, die Nachkriegsgeschichte(n) fließt ein, wer in Salzburg lebt, kann noch das Internat suchen, Bilder des zerstörten Domes aus Archiven holen und den Anblick ein wenig nachzuempfinden versuchen, der sich dem Schüler Bernhard bot. Ob sich der nationalsozialistische Erziehungsstil so sehr vom kirchlichen Regiment im Internat durch Franz Wesenauer unterschied, bezweifelt der Autor und kassiert prompt eine Klage Wesenauers, des Pfarrers der Salzburger Pfarre St. Elisabeth, vom Bernhard als „Onkel Franz“ geschildert.

 

Was Sie versäumen, wenn Sie dieses Buch nicht lesen: einen möglichen Zugang zum Schriftsteller Thomas Bernhard, eine akribische Aufarbeitung der Haltung des intellektuellen, publizistischen – muss sich nicht decken! – Österreichs. Der Autor schreibt keinen Nachruf, er ist auch kein zum Lebenerwecker, er ist redlich, er begleitet Thomas Bernhard durch sein Leben, sein Schreiben, seine Kämpfe, seine Krankheiten. Was Sie außerdem noch versäumen: Jedes Wort, mit dem Thomas Bernhard Österreich den Spiegel vorhält, ist heute noch genau so wahr wie es damals wahr. Am besten, Sie lesen nach dieser Lektüre gleich bei Bernhard weiter, hier gibt es keine Obergrenze und keinen Richtwert!

 

Zum Autor: Der Bernhard-Experte Manfred Mittermayer, Jahrgang 1959, lehrt an der Universität Salzburg, leitet seit 2012 das Literaturarchiv Salzburg und ist gemeinsam mit Ines Schütz Kurator der Rauriser Literaturtage. Mehrere Ausstellungen und zahlreiche Publikationen zu Bernhard verdanken wir ihm, der fundierte Vielfalt der Rezeption und Werkbetrachtung fördert und dem Polarisierungen fremd sind.

 

 

Manfred Mittermayer:

Thomas Bernhard.

Eine Biografie.

Wien – Salzburg: Residenz Verlag 2015.

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  • Veröffentlicht: 09.03.2016
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